Betrieb und Gewerkschaft, In eigener Sache, Linksammlung

Aus unseren Kämpfen lernen: Auf zur Streikkonferenz!

Kolleginnen und Kollegen, die an einer kämpferischen Erneuerung ihrer Gewerkschaften arbeiten, sollten sich diesen Termin auf jeden Fall freihalten: „Die ‚Streikkonferenz‘ ist mittlerweile die größte linksgewerkschaftliche Diskussionsplattform in Deutschland. Zur vierten Konferenz gewerkschaftlicher Erneuerung vom 15.-17. Februar 2019 laden Rosa-Luxemburg-Stiftung und regionale Gewerkschaftsgliederungen diesmal nach Braunschweig ein“, so heißt es in einem Artikel von Fanny Zeise, der einen Überblick über den Stand der gewerkschaftlichen Erneuerung bietet.

CC BY-NC-ND 2.0, Foto: Jonas Priester, via Flickr

Das Programm für die Konferenz 2019 ist jetzt online.

Wie auch schon 2014 und 2016 tragen Aktive von „Lernen im Kampf“ Verantwortung für die Streikkonferenz und bereiten dieses Mal zwei Arbeitsgruppen und ein Themenseminar mit vor. Während wir uns 2016 schwerpunktmäßig mit der Frage von Solidaritätsarbeit für Streiks beschäftigten, stehen dieses Mal mehrere Themen in unserem Fokus:

  • wirtschaftliche Perspektiven
  • eine neue Arbeitszeitoffensive
  • beteiligungsorientierte Gewerkschaftsarbeit.

Arbeitszeit

In einigen Tarifrunden 2017/18 spielte die Arbeitszeit wieder eine größere Rolle, so in der Metall- und Elektroindustrie, bei der Deutschen Bahn (EVG-Tarifvertrag) und bei der Telekom. In Niedersachsen ist die GEW mit einer beteiligungsorientierten Arbeitszeitstudie in die Offensive zur Entlastung von Lehrkräften gegangen.

Die Arbeitgeberseite war bei Arbeitszeitfragen noch nie zu Späßen aufgelegt, da es hier – wie kaum bei anderen Themen – um Macht geht, um die Verfügungsgewalt über die Lebenszeit der Beschäftigten. Ob sich hier gesamtgesellschaftlich etwas bewegt, hängt vor allem am Agieren der IG Metall und von ver.di im Öffentlichen Dienst. In der nächsten Tarifrunde zum TVöD wird das Thema 2020 voraussichtlich auch aufgegriffen werden.

Nachdem die IG Metall in der Tarifrunde 2018 neue Regelungen zur Arbeitszeit durchsetzen konnte, zeigen sich jetzt die Probleme bei der betrieblichen Umsetzung. In der Tageszeitung „neues deutschland“ stellt Jörn Boewe dar (13.11.2018), dass die tariflichen „freien Zusatztage“ als Wahloption gegenüber einem „tariflichen Zusatzgeld“ derart nachgefragt sind, dass die Arbeitgeber große Probleme bei der Bewilligung sehen. Die Betriebsräte müssen nun in Erörterungsgesprächen mit ihrem Arbeitgeber auf Neueinstellungen drängen, während die Kapitalseite auf freiwillige Arbeitszeitverlängerung anderer Beschäftigter und auf eine zeitweise Erhöhung der Leiharbeitsquoten setzt.

Hier werden grundsätzliche Probleme deutlich: Die Arbeitgeber versuchen Arbeitszeitverkürzung als Arbeitszeitverlagerung umzusetzen, solange sie nicht tariflich für alle und vor allem mit Personalausgleich durchgesetzt wird. Und die Betriebsräte vor Ort müssen es ausbaden. Angesichts des Fachkräftemangels werden sie in den „vertrauensvollen“ Erörterungen oft schlechte Karten haben. Zudem haben viele Betriebsräte eine langjährige sozialpartnerschaftliche Routine kultiviert, die es schwer machen wird, die nötige beteiligungs- und konfliktorientierte Herangehensweise zu entwickeln, um die Tarifergebnisse im Sinne der Beschäftigten durchzusetzen.

Eine weitere Gefahr sieht Daniel Behruzi in der „jungen Welt“ (13.11.2018): „Der Tarifvertrag bietet die Möglichkeit, den Anteil von Beschäftigten mit 40-Stunden-Verträgen – der bislang auf maximal 18 bzw. 13 Prozent einer Belegschaft begrenzt ist – auszuweiten. Es ist durchaus möglich, dass auf diesem Weg Arbeitszeitverkürzung für die einen mit Arbeitszeitverlängerung für die anderen (über?)kompensiert wird.“

Er resümiert: „Arbeitszeitverkürzung ist nur dann attraktiv, wenn der Lohnverlust (zumindest teilweise) ausgeglichen wird. Wie viele Kollegen würden ebenfalls gerne weniger arbeiten, können sich das aber nicht leisten? Darüber gibt es leider keine Zahlen. Eine weitere Erkenntnis: Arbeitszeitverkürzung wird als Antwort auf Überlastung gesehen. Nicht zufällig findet die Regelung am meisten Zuspruch unter besonders belasteten Schichtarbeitern. Daher ist Arbeitszeitverkürzung gerade angesichts der erfolgten Arbeitsverdichtung dringend nötig – nicht nur in der Metallindustrie. Und wenn möglich bei vollem Lohn- und vor allem Personalausgleich. Denn wenn die Kollegen dieselbe Arbeit in kürzerer Zeit schaffen müssen, bleibt von der Entlastung nicht viel übrig.“




Beteiligungsorientierung

Beteiligungsorientierung ist seit der ersten Konferenz 2013, die sich schwerpunktmäßig mit „Erfahrungen mit einer aktivierenden und demokratischen Streikkultur“ befasste, ein zentrales Anliegen der Streikkonferenzen. Wir haben dazu eine Sammlung von Lesetipps zusammengestellt und freuen uns sehr über Hinweise auf weitere interessante Texte zu diesem Thema!

Lesetipps:

Diskussion und Erfahrungen in ver.di

David Matrai / Ulrich Wohland: Vom Bohren dicker Bretter – zur gewerkschaftspolitischen Relevanz der Lidl-Kampagne – In: WSI Mitteilungen, 01/2008, S. 51-54.

Ulrich Wohland: Vor ver.di, in ver.di und um ver.di herum – Eine kleine Geschichte des Organizing – In: OrKa, 04/2010

Catharina Schmalstieg: Partizipative Arbeitskämpfe, neue Streikformen, höhere Streikfähigkeit? Rosa-Luxemburg-Stiftung, 02/2013.

Bernd Riexinger: Demokratisierung von Streiks. Revitalisierung der Gewerkschaftsarbeit. Rede auf der Konferenz „Erneuerung durch Streik“ in Stuttgart. Rosa-Luxemburg-Stiftung, 04/2013. (auch als Video auf youtube)

Klasse gegen Klasse: Streikdemokratie statt „Partizipation“! Flugblatt für die Konferenz „Erneuerung durch Streik“ in Stuttgart, 2013.

Stefan Schmalz / Luigi Wolf / Monika Neuner: Gewerkschaftliche Erneuerung durch Beteiligungsorientierung? Präsentation zur Tagung „Gewerkschaft. Macht. Demokratie.“ der ver.di-Bundesverwaltung, 06./07.12.2013.

Michael Fütterer / Markus Rhein: Erneuerung geht von unten aus. Neue gewerkschaftliche Organisierungsansätze im Einzelhandel – Das Beispiel H&M. Rosa-Luxemburg-Stiftung, 08/2015.

Lernen im Kampf: Beteiligungsorientierte Gewerkschaftsarbeit und Durchsetzungsfähigkeit. Vier Wortbeiträge beim ver.di-Bundeskongress, 20.-26.09.2015.

Jörn Boewe / Johannes Schulten: Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten. Labor des Widerstands: Gewerkschaftliche Organisierung im Onlinehandel. Rosa-Luxemburg-Stiftung, 11/2015.

Violetta Bock: ver.di@Amazon. Aufbau und Stabilisierung eines gewerkschaftlichen Kerns. OKG Praxis Nr. 1. 2016.

Carsten Becker / Daniel Behruzi / Stephan Gummert / Meike Jäger / Kalle Kunkel / Dana Lützkendorf: Mehr von uns ist besser für alle! Der Kampf um Entlastung und Gesundheitsschutz an der Berliner Charité. 2017.

Diskussion und Erfahrungen in der IG Metall

Detlef Wetzel, Jörg Weigand, Sören Niemann-Findeisen, Torsten Lankau: Organizing: Die mitgliederorientierte Offensivstrategie für die IG Metall. Acht Thesen zur Erneuerung der Gewerkschaftsarbeit. Ohne Jahresangabe.

IG Metall Baden-Württemberg: GEP – Film, 11/2015.

IG Metall Berlin: „Erschließung – Wie geht das?“ Transfertagung in Berlin, 12/2015.

IG Metall Baden-Württemberg: GEP in Bewegung! Wir bei der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gemeinsam gewinnen! 10/2016.

IG Metall Baden-Württemberg (Hrsg.): aufrecht gehen. Wie Beschäftigte durch Organizing zu ihrem Recht kommen. VSA 2018.

IG Metall: Website zur Erschließungsarbeit

Diskussion in Wissenschaft und Gesellschaft

Ulrich Brinkmann / Oliver Nachtwey: Krise und strategische Neuorientierung der Gewerkschaften. – In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 13-14/2010.

Detlef Wetzel (Hrsg.): Organizing. Die Veränderung der gewerkschaftlichen Praxis durch das Prinzip Beteiligung. VSA 2013. Leseproben hier und hier.

Luigi Wolf: Strategien gewerkschaftlicher Erneuerung. – In: Marxismus & Gewerkschaften, S. 31-78, theorie21, 2013.

Jeffrey Raffo: „Die schwerste Arbeit liegt noch vor uns!“ Ein Gespräch mit Jeffrey Raffo über Organizing in Deutschland – In: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 01/2014.

Thomas Goes: Aus der Krise zur Erneuerung? Gewerkschaften zwischen Sozialpartnerschaft und sozialer Bewegung. PapyRossa 2016. (Rezension in der SoZ)

Thomas Goes: Gewerkschaften: wieso weshalb warum. – In: Ada, 07/2018.

Bernd Riexinger: Neue Klassenpolitik. Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen. VSA 2018.

Fanny Zeise: Aus unseren Kämpfen lernen. Rosa-Luxemburg-Stiftung, 09/2018.

Sebastian Wertmüller: „Gewerkschaften müssen sich in öffentlichen Belangen positionieren.“ Rosa-Luxemburg-Stiftung, 11/2018.

Jörn Boewe: Revival am Nullpunkt? Ansätze gewerkschaftlicher Erneuerung nach drei Jahrzehnten Neoliberalismus. – In: Z 116 – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, 12/2018, S. 70-80.

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