Teile der Redaktion des Blogs „Lernen im Kampf“ arbeiten im Vorbereitungskreis der Konferenz „Erneuerung durch Streik III“ mit. Wir haben dort die Verantwortung für das Thema „Solidaritätsarbeit für Streiks“ übernommen. Dazu dokumentieren wir hier unseren bisherigen Diskussionsstand. Was sind eure Erfahrungen und Meinungen zu diesem Thema? Wir freuen uns über Zuschriften.
von der Redaktion
Es ist eine grundlegende Erfahrung der Arbeiterbewegung – sowohl in historischer wie auch in internationaler Dimension – dass die Solidarität innerhalb unserer Klasse eine der notwendigen Voraussetzungen für die Durchsetzung unserer Interessen darstellt. So selbstverständlich dies auch klingt – so schwierig ist im Einzelfall die konkrete Realisierung.
Wir wollen auf der Konferenz in Form einer Podiumsdiskussion („Arbeitsgruppe“) über die Fragen diskutieren, die sich bei praktischer Solidaritätsarbeit stellen. Daran anschließend wollen wir in Form eines kleineren Praxisseminars zusammen mit Interessierten lernen, wie wir diese wichtige Arbeit genau angehen können.
Eingeladen sind Aktive aus Solidaritätsbewegungen und Menschen, die das erst noch werden wollen, wie auch Kolleginnen und Kollegen, die in ihrer betrieblichen Arbeit selber auf Solidarität angewiesen waren, sind oder es vermutlich noch sein werden.
Betrieblich Aktive stehen einer Übermacht von Kapital und/oder Staat gegenüber. Anlass zur Solidarität mit ihnen können Angriffe der Gegenseite sein, die zur Verteidigung zwingen, zum Beispiel Entlassungen oder gewerkschaftsfeindliches Handeln („union busting“), im Extremfall sogar die Betriebsschließung. Diese Fälle werfen Fragen auf, die einer eigenen Diskussion bedürfen. Wir grenzen von ihnen hier die Solidaritätsarbeit mit Streiks ab. Es geht uns darum, Fälle der zugespitzten Klassenkonfrontation zu betrachten, in denen Beschäftigte kollektiv den Verkauf ihrer Arbeitskraft verweigern, um tarifliche Ziele zu erreichen.
Wenn wir uns die Situation der letzten Jahre anschauen, dann fallen uns sofort folgende Beispiele ein:
Charité / CFM (seit 2011)
- Berliner Lehrkräfte (seit 2012)
Einzelhandel (2013)
Amazon (seit 2013)
Deutsche Bahn (2014/15)
Sozial- und Erziehungsdienst (2015)
Deutsche Post (2015)
Wir behalten im Blick, dass Solidaritätsarbeit für Streiks im produzierenden Gewerbe eine immense Bedeutung gewinnen kann, besonders wenn es um Abwehrkämpfe gegen Betriebsschließungen geht, wie beim Bosch-Siemens-Hausgerätewerk Berlin 2006.
In den letzten Jahren standen in Deutschland jedoch Streiks im Dienstleistungssektor im Vordergrund. Dies betrifft insbesondere die Gewerkschaft ver.di, die oftmals in Bereichen, die noch schlecht organisiert und von prekärer Beschäftigung zerklüftet sind, Widerstand organisieren muss. Außerdem war die Gewerkschaft GdL gefordert, einen gemeinsamen Angriff von Arbeitgebern und Regierung auf das Streikrecht zurückschlagen zu müssen. In allen genannten Fällen sind Solidaritätsbewegungen entstanden, die einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau der Arbeiterbewegung geleistet haben und zum Teil heute noch leisten.
Akteure der Solidaritätsarbeit sind oft die direkt betroffenen Beschäftigen und deren Angehörige. Wenn es um einzelne Betriebe geht, dann kommt der lokalen Bevölkerung eine große Bedeutung zu. Im Falle von Betriebsschließungen ist hier das klassische Beispiel die Solidarität einer ganzen Region für die Betriebsbesetzung in Rheinhausen 1987. Besonders im Dienstleistungssektor, in dem der wirtschaftliche Schaden, den ein Streik ausrichten kann, manchmal sehr begrenzt ist, muss die Gewerkschaft, die zum Streik aufruft, selber das Bündnis mit außerbetrieblichen Akteuren suchen. Ver.di hat 2012 an der Charité zu einem breiten überparteilichen Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus eingeladen. Entscheidend war dafür die Einsicht, dass die Bevölkerung als (potentielle) Patient*innen die gleichen Interessen hat wie das Klinikpersonal. Dieses Beispiel hat Schule gemacht und wird zur Zeit zum Beispiel im Saarland nachgeahmt.
In vielen lokalen Fällen bringt die Partei DIE LINKE ihre Solidarität für betriebliche oder tarifliche Kämpfe zum Ausdruck. Wir sehen hier ein Potential, das noch längst nicht ausgeschöpft ist. Alle Parteimitglieder, die DIE LINKE zu einer Massenpartei der abhängig Beschäftigten machen wollen, sollten sich vor Ort dafür einsetzen, dass die Partei auch real an der Seite kämpfender Beschäftigter steht. Wir verstehen dies nicht als eine rein propagandistische Intervention. Vielmehr geht es darum, im Klassenkampf einen Unterschied zu machen. Die Konferenz „Erneuerung durch Streik III“ kann einen Beitrag leisten, die Erfahrungen zu diskutieren, die hier in verschiedenen Orten gemacht wurden.
Der Zweck von Solidarität besteht als erstes darin, die Moral der Kämpfenden zu stärken. Wer die Erfahrung der Konfrontation im eigenen Betrieb gemacht hat, der weiß, wie wichtig jedes kleinste Zeichen der Unterstützung von außen ist. Außerdem muss die öffentliche Stimmung beeinflusst und der Arbeitgeber unter Druck gesetzt werden. Bei beidem können auch außerbetriebliche Aktive eine wichtige Rolle spielen. Sie können sich an die lokale Bevölkerung oder an die Nutzer*innen der bestreikten Dienstleistungen wenden und für Verständnis und Unterstützung werben. So haben zum Beispiel beim Streik im Sozial- und Erziehungsdienst örtliche Soli-Komitees geholfen, die Streikunterstützung von betroffenen Eltern zu gewinnen und aufrecht zu erhalten.
Arbeitgeber*innen lenken meist nur ein, wenn sie sich dazu gezwungen sehen. Dies kann der Fall sein, wenn sie merken, dass ihr öffentlicher Ansehensverlust möglicherweise schwerer wiegen wird als erstreikte höhere Löhne.
Die Rolle einer außerbetrieblichen Solidaritätsbewegung hängt auch von der Form der gewerkschaftlichen Kampagne ab. Eine Kampagne, die in Vorbereitung auf einen Streik zunächst auf die Organisierung und/oder Mobilisierung der Beschäftigten abzielt, kann unterstützt werden, indem Unterstützer*innen ihre Hilfe bei den Aktivitäten im Betrieb anbieten. An der Charité wurde zum Beispiel das Tandem-Modell entwickelt. Dabei sind Zweierteams aus jeweils einem Betriebsaktivisten und einer außerbetrieblichen Unterstützerin auf Kolleg*innen zugegangen, um mit ihnen über die Forderungen der Gewerkschaft und mögliche Wege, diese durchzusetzen, zu diskutieren.
Kampagnen, die öffentlichen Druck auf den Arbeitgeber entwickeln und dann kontinuierlich steigern wollen, können geradezu auf externe Unterstützung angewiesen sein. Dabei bieten sich vielfältige Methoden an:
klassische Öffentlichkeitsarbeit (Pressemitteilung, Pressekonferenz, Leserbriefe, Flugblatt, Zeitung, Website, soziale Medien…)
Diskussionsveranstaltungen im Stadtteil
u.U. Spenden- oder Unterschriftensammlung
Flashmob, Kundgebung, Demonstration…
Shitstorm, Boykott, Blockade…
Wir meinen, dass der Austausch von praktischen und politischen Erfahrungen für die Solidaritätsarbeit ein großer Gewinn sein kann. An dieser Stelle seien folgende Fragen in den Raum gestellt:
Was waren die strategischen Ziele, „Knackpunkte“, Besonderheiten und Lehren bei den jeweiligen Bewegungen?
Welche Rolle kann Solidarität spielen, wenn das ökonomische Druckpotential fehlt? Wie gehen wir mit Streiks in Berufen mit sozialer Verantwortung um?
Wie kann Solidarität zwischen verschiedenen Streikbewegungen entwickelt werden?
Welche Rolle spielt die internationale Solidarität?
Wie kann der Entsolidarisierung zwischen einzelnen Gewerkschaften entgegengewirkt werden?
Wie verändern sich die Anforderungen an Solidaritätsarbeit angesichts der Angriffe der Arbeitgeber und der Regierung auf das Streikrecht?
Wir freuen uns, wenn wir schon im Vorfeld der Konferenz Zuschriften zu diesem Thema erhalten: Was sind eure Erfahrungen und Meinungen?
Und hoffentlich sehen wir uns in Frankfurt am Main!
Lesetipps:
John Lütten, Jana Werner: Solidarisch mit den Streikenden, RLS-Standpunkt 8/2014
Peter Nowak: Dein Streik, mein Streik, Jungle World Nr. 48, 27.11.2014
Peter Nowak: Verstärkung am Werkstor, neues deutschland, 21.11.2014.
Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten. Labor des Widerstands: Gewerkschaftliche Organisierung im Onlinehandel. Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung, von Jörn Boewe und Johannes Schulten, November 2015. (darin: „Ein Gespräch über sinnvolle Solidaritätsarbeit“, S. 42-45.)
Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus
Ja zum GDL-Arbeitskampf – nein zum Tarifeinheitsgesetz
Sebastian Bandelin: Streik und Solidarität, SoZ Nr. 11/2015
Johanna Henkel-Waidhofer: Die verlorene Solidarität, Zeit 7.11.2014
ver.di: Solidaritätsstreik
Nelli Tügel: Streik, Solidarität, Selbstermächtigung? Aushandlungsprozesse im Umfeld des wilden Streiks bei den Kölner Fordwerken 1973 und des Besetzungsstreiks bei Krupp in Duisburg-Rheinhausen 1987/88 – In: Arbeit – Bewegung – Geschichte, 01/2016, S. 73-90.
********
Dieser Artikel erschien im September 2016 überarbeitet für die Zeitung betrieb&gewerkschaft: Nelli Tügel / Christoph Wälz: Solidarität neu lernen.