Wir dokumentieren vier Wortbeiträge aus den Diskussionen beim ver.di-Bundeskongress (20. bis 26. September 2015), gehalten von Carsten Becker, ver.di-Betriebsgruppe der Charité Berlin und Helmut Born, Fachbereich 12, Düsseldorf und ver.di-Linke NRW. Die Beiträge enthalten aus unserer Sicht gute Vorschläge zu wesentlichen Fragen: Wie erhöhen wir die gewerkschaftliche Durchsetzungskraft auf betrieblicher Ebene? Und wie kann eine beteiligungsorientierte Gewerkschaftsarbeit aussehen?
„Wir erringen einen Tarifvertrag“
Wortmeldung (22.09.2015) von Carsten Becker, Delegierter beim 4. ver.di-Bundeskongress 2015
Immer mehr Aufgaben in immer kürzerer Zeit – das ist unser Alltag im Krankenhaus. Ich hätte nicht gedacht, dass das auch beim Bundeskongress gilt. (Heiterkeit) Notruf Charité, am Puls eines kollabierenden Systems – das ist der Alltag, das ist die Realität in den deutschen Krankenhäusern. Ich habe die Ehre und den Auftrag meiner Betriebsgruppe in der Charité, euch den Dank zu übermitteln für eure großartige Unterstützung und eure überwältige, anrührende, zu Tränen rührende und Mut machende Solidarität. Vielen Dank. (Beifall)
Für uns zeigt es, dass die Frage von immer schlechteren Arbeitsbedingungen und die Frage von Wertschätzung von Beschäftigten im Betrieb nicht nur weiterhin ein zentrales Thema ist, sondern auch ein Hebel sein kann und sein muss, um Beschäftigte von Betroffenen zu Akteuren zu machen, insbesondere in sozialen Berufen. Dies fordert und fördert ein neues Selbstbewusstsein, das wir für die Zukunft dringend brauchen, um Widerstand da zu leisten, wo er notwendig ist.
Frank hat berichtet, dass wir vor den Arbeitsgerichten erkämpfen mussten, streiken zu dürfen. Ich möchte euch ein Zitat mit auf den Weg geben, das uns ein Arbeitsrichter geschenkt hat: Unternehmerische Freiheit hört da auf, wo der Gesundheitsschutz für Beschäftigte anfängt. (Beifall)
Wir haben nicht nur mit unseren tariflichen Forderungen Neuland betreten, sondern wir haben diese Tarifauseinandersetzung für Mindestbesetzung und Gesundheitsschutz auch mit einer neuen Struktur, die wir der Tarifkommission zur Seite gestellt haben, begleitet. Wir haben diese Kolleginnen und Kollegen Tarifberater und Tarifberaterinnen genannt. Jetzt werden einige sagen: Na ja, Vertrauensleute kennen wir. – Vertrauensleute hört sich aber komisch an für die Kolleginnen und Kollegen. Sie wissen nicht genau, was sie machen, aber Tarifberater und Tarifberaterinnen sind etwas mehr. Denn sie haben uns schon vor Beginn der Verhandlungen als Struktur zur Seite gestanden. Wir hatten eine engmaschige Rückkopplung mit diesen Tarifberatern und Tarifberaterinnen vor Ort gehabt und es damit auch geschafft, schon zu Beginn des Verhandlungsprozesses eine gemeinsame strategische Erwartungshaltung und damit den Einstieg in den notwendigen Arbeitskampf und jetzt auch in die Verhandlungen nach dem Arbeitskampf zu entwickeln.
Ja, das ist mir klar. (Heiterkeit) – Das war wichtig, das ist intensiv für Verhandlungskommissionsmitglieder und Tarifkommissionsmitglieder, aber es schafft Verhandlungs- und Handlungsspielräume, die von einem „Ihr, die ihr verhandelt“ zu einem „Wir erringen einen Tarifvertrag“ geworden sind. Darüber hinaus haben wir seit März 495 neue Mitglieder gewonnen. (Beifall)
Unser Motto „Mehr von uns ist besser für alle“ gilt damit nicht nur in der Frage von Patienten und Beschäftigten, sondern auch in der Frage von Organisierung im Betrieb.
Ich mache jetzt noch einen kurzen Werbeblock für „die-krankenhauspetition.de“. Es ist ganz wichtig, dass ihr sie unterschreibt. Denn ihr seid Multiplikatoren. Bitte sorgt dafür, dass nicht nur 1.600 Petitionsanträge an den Bundestag gehen, sondern dass daraus 1.600 mal 1.600 werden. Ich danke euch.
Beteiligungsorientierte Gewerkschaftsarbeit
Wortmeldung (23.09.2015) von Carsten Becker, Delegierter beim 4. ver.di-Bundeskongress 2015
Kolleginnen und Kollegen, ich würde gern anknüpfen an meinen Redebeitrag von gestern. Da ist mir ja die Zeit gestrichen worden. Ich würde gern noch einmal auf den Aspekt beteiligungsorientierte Gewerkschaftsarbeit eingehen und die Frage, wie wir tatsächlich die Durchsetzungsfähigkeit auf betrieblicher Ebene herstellen.
Ich glaube, zwei wesentliche Aspekte müssen wir berücksichtigen: Erstens, dass viele Mitglieder einen neuen Blick auf Gewerkschaft haben, nämlich eher projektbezogen. Das ist dann eben auch die Frage, wie wir da bei solch einem projektbezogenen Blick Mitglieder halten, das dann auch über Jahre hinweg garantieren können. Denn oft ist es ja so – das ist unsere Erfahrung -, dass die Kolleginnen und Kollegen dann kommen, wenn wir etwas machen, dann aber auch wieder weg sind, wenn einmal etwas Ruhe da ist. Das ist, glaube ich, eine Antwort, die wir neu geben müssen.
Ich glaube auch, dass da die Jugend sicherlich und ich glaube auch, dass die Jugend da konzeptionell auch ganz gut am Start ist. Der andere Aspekt, der eine wesentliche Rolle spielt, ist, dass wir Entlastungskonzepte für die Betreuungssekretärinnen und -sekretäre schaffen müssen. Das sind tatsächlich die Bindeglieder, die den ganzen Laden zusammenhalten. Hier sollte man vielleicht überlegen, ob man da nicht tatsächlich Erfahrungswerte auch von Seniorinnen und Senioren in der Frage von Rechtsberatung oder so etwas mit einbeziehen kann, um hier Entlastungskonzepte zu entwickeln.
Wichtig finde ich aber ganz, ganz deutlich, um als Gewerkschaft ein gewisses Alleinstellungsmerkmal zu haben, dass wir eine Widerstandskultur entwickeln, dass wir sozusagen nicht als Krawallbürsten darstellen, weil wir so viele Streiktage haben, sondern dass es tatsächlich aus der Notwendigkeit heraus geboren ist, aber auch deutlich macht, wozu Gewerkschaft da ist und wozu Gewerkschaft da sein muss, dass diese Widerstandskultur aber auch unterhalb der Streikebene existiert.
Wir haben im Fachbereich hierzu ein sehr, sehr gutes Konzept aus dem Saarland entwickelt bekommen, das sich extrem gut macht, ein Ultimatenkonzept – ihr könnt das am Fachbereichsstand 3 in einer Broschüre nachlesen, wie das funktioniert -, bei dem man unterhalb der Streikebene tatsächlich Widerstandsformen entwickeln kann, die extrem erfolgreich sind, wie man tatsächlich den Kolleginnen und Kollegen unmittelbar Verbesserungsstrategien anbietet.
Aber, was Streiks angeht: Gerade in der öffentlichen Daseinsvorsorge, in den sozialen Diensten ist die Frage wichtig, weil wir dort eben durch die verschiedensten Rahmenbedingungen, die dort herrschen, Schwierigkeiten haben, die Durchsetzungsfähigkeit hinzubekommen. Hier können wir oft gar nicht den finanziellen Druck entfalten, der klassischerweise im Streik Erfolg bringen soll. Es gab ja viele Beiträge dazu, auch aus dem SuE Bereich. Da ist einmal der Aspekt wichtig, die Kolleginnen und Kollegen von Anfang an in die Verhandlungsstrategie mit einzubinden, sodass der Streik eben ein Element ist, um hier auch die Durchsetzung zu erreichen, der Streik aber nicht dazu führt, dass Erwartungshaltungen produziert werden, die dann im Ergebnis letztlich gar nicht erfüllt werden können – dass man also das Ganze als gemeinsamen Prozess ansieht. Das ist das, was wir mit „Tarifberaterinnen und -beratern“ an der Charité meinen, von dem wir denken, dass man da in diese Richtung weiterdenken können sollte.
Und die andere Frage ist die Öffentlichkeitsarbeit. Ich würde euch gern ein Beispiel geben, wie wir das in unserem Arbeitskampf gemacht haben. Wir haben von Anfang an gesagt, wir haben nicht gegen die Patienten gestreikt, sondern wir streiken mit den Patienten und für die Patienten. Wir haben die Patienten sehr gut einbinden können. Wir haben sogar während des Arbeitskampfes eine Pressekonferenz von Patientinnen und Patienten und Angehörigen organisiert, die dann der Presse mitgeteilt haben, wie die alltäglichen Arbeitsbedingungen von uns Auswirkungen auf sie haben. Und es war sehr ergreifend, wenn man dann einen Vater hört, der von seinem kleinen Jungen, der krebskrank ist, berichtet, wie dessen Erfahrungswelt auf der Station ist, der sagt, dass sein Sohn die Kinderkrebsstation als sein zweites Zuhause ansieht und dann frustriert und enttäuscht ist, weil er der Schwester gar nicht erklären kann, weil sie die Zeit nicht hat, dass er jetzt einen neuen Teddybär hat, dass das die Belastungssituationen für Angehörige sind, die sie dazu bringen, uns massiv in unserem Arbeitskampf zu unterstützen. Es ist dann genau diese öffentliche Wahrnehmung, die sich aus diesen Berichten heraus ergibt, die dann eben den Druck entfaltet, der vielleicht auf der ökonomischen Seite gar nicht so entfaltet werden kann, aber so zum Ziel führt.
„Die Frage der Sozialpartnerschaft wird auf der Kapitalseite nur noch nach Nützlichkeit bewertet“
Wortmeldung (22.09.2015) von Helmut Born, Delegierter beim 4. ver.di-Kongress Bundeskongress 2015
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin auch im Fachbereich 12 und komme aus Düsseldorf. Ich möchte zunächst etwas zu dem sagen, was auch der Kollege aus meinem Fachbereich – ich glaube, das war drei Wortmeldungen früher – gesagt hat. Ich glaube, es ist ein generelles Problem, das der Kollege angesprochen hat, nämlich das Problem: Wie ist das Verhältnis zwischen Ehrenamtlichkeit und Hauptamtlichkeit, und wie sind die Entscheidungsstrukturen in unserer Organisation? Ich möchte nur einen Satz dazu sagen: Wir sollen eine möglichst breite Beteiligung unserer Mitglieder gewährleisten an den Entscheidungsprozessen gerade zu Tarifrunden. Da sage ich auch: Autoritäres Gehabe von Hauptamtlichen, egal in welcher Position, ist da ganz fehl am Platze. (Beifall)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es gerade im Fachbereich 12 nicht einfach. Wir haben es mit einem Bereich zu tun, in dem die Tarifbindung immer weiter bröselt. Die letzte Erklärung des Metro-Vorstands, nachdem Metro vor zwei Tagen den Kaufhof für drei Milliarden Euro verkauft hatte, war: „Jetzt gehen wir mit Real aus der Tarifbindung raus.“ Das ist eine Kriegserklärung an unsere Organisation, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall)
Jetzt sage ich mal etwas zu dem Begriff Sozialpartnerschaft. Das hat ja in diesem Jahr in vielen Tarifrunden eine Rolle gespielt. Andrea Kocsis hatte ja einen Brief an die Bundestagsabgeordneten geschrieben, in dem sie bedauert, dass die Sozialpartnerschaft von dem Vorstand der Post aufgekündigt worden sei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen mal zur Kenntnis nehmen, dass in diesem Turbokapitalismus die Frage der Sozialpartnerschaft auf der Kapitalseite nur noch nach Nützlichkeit bewertet wird und dass man kein Abkommen mit den Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Lande haben will, sondern das ist knallharter Klassenkampf, der von denen betrieben wird. (Lebhafter Beifall)
Ich möchte auch nur ganz kurz auf Folgendes eingehen: Bei dem Vortrag von Frank Bsirske habe ich auch gedacht: Na ja, das ist alles ein bisschen schöngeredet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten aber schon auch mal nüchtern sein und vielleicht auch mal manches kritische Wort zu unseren Ergebnissen zur Kenntnis nehmen. Vor allem aber: Wenn wir mit unseren Forderungen, egal aus welchem Grund, nicht durchgekommen sind, dann sollten wir so etwas nicht auch noch als Erfolg verkaufen. Wenn wir nur eine Einmalzahlung bekommen haben, wenn wir gefordert haben, die Arbeitszeit soll verkürzt werden, und das schlägt sich dann entsprechend in den Ergebnissen nieder. Dann sollten wir dazu auch ein paar kritische Worte verlieren. – Schönen Dank. (Beifall)
„Beispielhafte Beteiligung“
Wortmeldung (24.09.2015) von Helmut Born, Delegierter beim 4. ver.di-Kongress Bundeskongress 2015
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin sehr froh, dass wir diese Debatte hier heute Morgen führen. Ich denke, das ist für ver.di eine sehr wichtige Auseinandersetzung (Sozial- und Erziehungsdienst, Anmerkung der Redaktion), und die müssen wir auch so zu Ende bringen, dass die Kolleginnen und Kollegen sich in dem Abschluss wiederfinden und ihre Forderung auch als durchgesetzt ansehen. Ich glaube, das war mit dem Schlichtungsergebnis eben nicht erreicht. Deswegen auch die hohe Ablehnung.
Aber ich möchte auch wiederholen, was Frank gestern auch schon betont hat: Die Beteiligung der Mitglieder in dieser Auseinandersetzung ist wirklich beispielhaft. Ich wäre froh, wenn wir das in der gesamten Organisation so organisieren könnten, dass wir Streikdelegiertenkonferenzen auf örtlicher Ebene haben, dass wir Mitgliederversammlungen, Streikversammlungen und so weiter haben, also eine wirkliche Beteiligung der Mitglieder, wo sie dann auch Entscheidungen treffen. Ich finde, das ist ganz wichtig auch für uns als Organisation.
Warum haben wir diesen Antrag (Initiativantrag „Solidarität mit der Aufwertungskampagne bei den Sozial- und Erziehungsdiensten“, Anmerkung der Redaktion) hier eingebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ein Grund waren natürlich diese 70 Prozent Ablehnung. Aber ich sage auch: Wenn man hier in dieser Republik die ganze Frage der Schuldenbremse auch von uns aus beantworten will, dann kann man, denke ich, sagen: Das ist in diesem Jahr, trotz der Flüchtlinge, trotz allem, wofür eventuell noch Geld ausgegeben werden muss, durchaus möglich. In diesem Jahr werden Steuermehreinnahmen von 21 Milliarden Euro erwartet. Jeden Monat wird gesagt, man habe 6 Prozent mehr als in der Planung, manchmal noch ein bisschen mehr. Es ist also genügend Geld da, es ist nur die Frage, wofür man es ausgeben will.
Gerade in dieser Aufwertungskampagne ist es wichtig, dafür einzutreten, dass diese Berufe auch entsprechend bezahlt werden, was absolut möglich und notwendig ist. Und dann ist es eben Aufgabe der Gesamtorganisation, dafür zu sorgen, dass wir diese Tarifrunde erfolgreich beenden. Deswegen ist es natürlich auch so besonders wichtig, dass alle Fachbereiche sich daran beteiligen. Aber ich gehe auch noch darüber hinaus. Der DGB hat ja auch schon Sachen organisiert wie diese Demonstrationen kurz vor der Schlichtungsempfehlung. Es ist eben Aufgabe der gesamten Gewerkschaftsbewegung, dass wir in dieser Tarifrunde zu zufriedenstellenden Ergebnissen kommen.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Antrag eingebracht worden.