Betrieb und Gewerkschaft, Internationales

USA: Fünf Schlüsse aus den Lehrerstreiks

Gewerkschaften sind stark, wenn die Beschäftigten sie umfassend selbst kontrollieren

von Stan Strasner, Seattle

Am 22. Februar 2018 hatten die Lehrer*innen von West Virginia genug. Sie traten in ei­nen »wilden« – also illegalen – neuntägigen Streik. Und sie konnten eine Gehaltserhöhung von fünf Prozent für alle Staats­be­diensteten erkämpfen. Dies wiederum löste eine Streikwelle in anderen republika­nisch regierten Südstaaten der USA aus, dort also, wo Gewerkschaftsrechte mit Füßen getreten werden. Pädagog*innen in Oklahoma, Arizona und Kentucky folgten. Und nach der Sommerpause 2018 breitete sich die Bewegung auch auf Staaten aus, die nicht von Republika­nern regiert werden, wie auf den Staat Washington. 2019 gab es weitere Streiks, zum Beispiel in Los Angeles, Kalifornien, Denver in Colorado und dann wieder in Kalifornien, diesmal in Oakland. Es war die größte Streikwelle im öffentlichen Sektor seit über 40 Jahren. Welche Schlussfolgerungen können wir aus dieser Bewegung ziehen?

1. Bei einer Gewerkschaft geht es um Solidarität und die Selbstorganisation der Arbeiterklasse.

In West Virginia, einem republikanisch dominierten Staat, in dem Gewerkschaften des öffentlichen Sektors weder das Recht auf Streik noch auf Verhandlungen haben, leisteten die Gewerkschaften zunächst keinen großen Widerstand gegen Angriffe auf den Bildungsbereich.

Als die Pädagog*innen von West Virginia für Streik stimmten, taten sie dies an den Gewerkschaften vorbei. Sie organisierten die Abstimmung selbst, koordinierten sie über Facebook und beschränkten sie nicht nur auf gewerkschaftlich organisierte Pädagog*innen. Sie brachen alle Regeln, wie Streiks »sein sollen«.

Die Gewerkschaftsführung versuchte später, ihre Mitglieder zurück in die Klassenzimmer zu schicken, nachdem eine Erhöhung von fünf Prozent für Lehrer*innen und eine Erhöhung von drei Prozent für die anderen Staatsbediensteten angeboten wurde. Und nach Jahrzehnten der Niederlagen wäre jeder Sieg beachtlich gewesen. Aber da sich die Pädagog*innen zusammen mit anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes organisiert hatten, lehnten sie dies als Spaltung ab.

Mit dem Ruf »Wir sind die Gewerkschaftsbosse« stimmten sie dafür, den Streik fortzusetzen, bis es eine Gehaltserhöhung von fünf Pro­zent für alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gibt. Sie haben damit einer neuen Generation von Beschäftigten gezeigt, dass die Idee, für eine viel breitere Schicht von Beschäftigten zu kämpfen, äußerst effektiv und kraftvoll sein kann.

2. Die Gewerkschaft muss transparent sein und von ihren Mitgliedern kontrolliert werden, auch bei Verhandlungen.

Gewerkschaften sagen den Mitgliedern der Verhandlungskommission oft, dass das im Verhandlungsraum Besprochene nicht nach außen dringen dürfe. Doch in Denver wählten die Streikenden einen radikal anderen Ansatz, indem sie ihre Verhandlungen auf Facebook live übertrugen, damit alle sie sehen konnten.

»Der Bezirk war dagegen«, erzählt Henry Roman, Präsident der Denver Classroom Teacher’s Association (DCTA). »Wir waren definitiv dafür. Wir erhielten erstaunlich viel Unterstützung von unseren Mitgliedern, von Eltern und von der Community. Für uns war es eine Win-Win-Situation. Wir haben absolut nichts zu verbergen.«

3. Streiks funktionieren im ganzen Land.

Der Kampf der Pädagog*innen in West Virginia hat gezeigt, dass politische Streiks sogar gegen republikanisch dominierte Gesetzgeber geführt und gewonnen werden können, selbst in einem Staat, der mit deutlicher Mehrheit für Trump gestimmt hat.

Ein Jahr später, 2019, versuchte die Legislative von West Virginia, Vergeltungsmaßnahmen gegen öffentliche Schulen und Pädagog*innen zu ergreifen, die es gewagt hatten, sich zu wehren. Sie brachte ein Gesetz auf den Weg, das Pädagog*innen eine Lohnerhöhung gewährte, während öffentliche Bildung in jeder anderen Hinsicht attackiert wurde. Die Pädagog*innen im ganzen Bundesstaat lehnten diesen Spaltungsversuch ab und stimmten als Antwort darauf über einen eintägigen Warnstreik ab. Beschäftigte aus allen 55 Bezirken beteiligten sich und marschierten in Richtung Landeshauptstadt. Sie gewannen erneut, diesmal nach nur wenigen Stunden.

Ihre Erfahrung, dass Streiks wirken, verbreiten die Pädagog*innen als Lehre im ganzen Land. »Wir haben Los Angeles und den Vereinigten Staaten beigebracht, wie man kämpft und wie man gewinnt«, fasste Alex Caputo-Pearl das nach dem Streik dort zusammen. »Das ist das Beste, was Lehrer tun können, und ihr habt gerade die beste Lektion eures Lebens unterrichtet!«, so der Gewerkschaftsvorsitzende der United Teachers of Los Angeles (UTLA), am 22. Januar 2019.

4. Wenn Beschäftigte und die Communities sich zusammen tun, sind sie stärker.

Die von Konzernen gesponserten »Reformer*innen« des Bildungswesens verbreiten immer wieder die Lüge, dass Pädagog*innen und ihre Gewerkschaften nur an einer Erhöhung der eigenen Gehälter interessiert seien. Das Ziel dabei ist es, einen Keil zwischen die Pädagog*innen und die breitere Bevölkerung zu treiben. Bevor es zu einem Streik kommt, sind die Pädagog*innen oft zu Recht besorgt, dass Eltern und die Community nicht auf ihrer Seite stehen könnten.

Zwei Jahre vor dem Streik in Los Angeles gewann der linke Flügel die Wahl um die Leitung der Gewerkschaft, indem er für eine Strategie unter dem Namen »Verhandeln für das Gemeinwohl« warb. Sie veranstalteten öffentliche Foren, in denen sie sich die Bedürfnisse der Bevölkerung anhörten, um sich dann am Verhandlungstisch und an den Streikposten für diese Bedürfnisse einzusetzen.

Ein Beispiel für die aus der Bevölkerung vorgeschlagenen Maßnahmen war die Umwandlung von leer stehenden Stadtteil-Grundstücken in Grünflächen, gerade um auch Kindern in armen Gebieten den Zugang dazu zu ermöglichen. Die Gewerkschaft erkämpfte diese Forderung für die Gemeinschaft.

Die Herangehensweise, Gemeinschaftsforderungen an den Verhandlungstisch zu bringen, konterkariert die Behauptung, dass »gierige Lehrer*innen« nur für sich selbst einstünden. Sie trug zur Beteiligung von Zehntausenden aus den Nachbarschaften während der Lehrerstreiks bei. Es zeigte sich, dass Gewerkschaften, die auch für breitere gesellschaftliche Themen stehen, Massenunterstützung aus der Bevölkerung erhalten können und dass man gemeinsam gewinnen kann.

5. Sozialist*innen haben eine Schlüsselrolle gespielt.

Aktivist*innen und Mitglieder der Democratic Socialists of America (DSA) waren stark involviert in die meisten der Lehrerstreiks. Die DSA ist nach Trumps Wahlsieg von 6.000 auf 55.000 Mitglieder angewachsen. DSAler haben nicht nur in West Virginia, sondern im ganzen Land in den Gewerkschaften eine entscheidende Rolle gespielt. An vielen Orten bildeten Sozialist*innen zusammen mit anderen Aktivist*innen Basisplattformen, um sich zu organisieren und die konservativen Gewerkschaftsführungen herauszufordern.

Am weitesten ging dies mit den lokalen ­UCORE-Zentren (United Caucus of Rank and File Educators) in Los Angeles und Chicago. Diese Plattformen gewannen tatsächlich Wahlen um Leitungsgremien, indem sie dafür eintraten, ihre Gewerkschaften zu Organisationen zu machen, die von den einfachen Mitgliedern geführt werden und diesen dienen sollen. Und selbst dort, wo solche Initiativen nicht in der Lage waren, eine Mehrheit zu gewinnen – wie in Seattle –, hatten sie doch Einfluss auf die Demokratisierung der Gewerkschaft und den Verlauf der Ereignisse.

Sozialist*innen wissen, welche Macht die arbeitenden Menschen haben, um die Gesellschaft zu verändern. Sie beschränken ihre Forderungen nicht auf das, was innerhalb des kapitalistischen Systems akzeptabel ist, sondern sie setzen sich für das ein, was Beschäftigte brauchen. Wir Sozialist*innen sind Arbeiter*innen, die glauben, dass eine bessere Welt möglich ist.

Stan Strasner ist Pädagoge in ­Seattle und Vizepräsident des Aushilfslehrerverbandes der ­Seattle Education Association. Außerdem ist er einer der Vorsitzenden der Gewerkschaftsplattform innerhalb der DSA in Seattle.

Dies ist ein Artikel der 2. Ausgabe unseres Magazins, welches du hier bestellen kannst.