Die Linke und die Macht, Hintergrund

Neue Mobilität

Vom Aufbau alternativer Verkehrskonzepte und einer Konversion der Autoindustrie

von Kai Hasse

Die Automobilkonzerne haben keine wirkliche Antwort auf die Krise des Mobilitätssektors. Ihre Antworten, wie die Digitalisierung oder Elektroautos, sind nur von der Gier nach kurzfristiger Profitmaximierung geprägt und werden massive Arbeitsplatzverluste zur Folge haben.

Eine wirkliche Alternative muss zwei Dinge leisten, nämlich den Mobilitätssektor ökologisch umbauen und gleichzeitig die Arbeitsplätze sichern. Das kann nur gegen die kapitalistischen Konzerne und nicht mit ihnen gelingen.

Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel muss zunächst parallel zum noch vorhandenen Autoverkehr erfolgen. Das bedeutet zunächst einen großen produktionstechnischen Aufwand. Er kann nicht von den wenigen Eisenbahn- und Busherstellern allein bewältigt werden. Der Umbau sollte zusätzlich von dem heutigen Automobilsektor übernommen werden, also von VW, BMW oder Opel. Das sorgt in diesen Werken für sichere Arbeitsplätze für mindestens zwei Jahrzehnte.

Ein Großteil der Anlagen der Autoindustrie könnte genutzt werden, um Busse, Eisen- und Stadtbahnen oder auch Seilbahnen herzustellen.

Nach dem Ende der Aufbauphase des neuen Öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV) wird sicherlich weniger Arbeit anfallen. Dann könnte die Arbeitszeit gleitend reduziert werden, so dass alle Arbeitsplätze weiterhin gesichert sind. Die Kaufkraft sollte erhalten bleiben, so dass alle Beschäftigten und ihre Angehörigen sorgenfrei leben können.

Konversion der Autoindustrie

Aber kann die heutige Autoindustrie technisch so umgestellt werden, dass dort auch sinnvolle öffentliche Verkehrsmittel produziert werden können? Eine produktionstechnische Bewertung der Automobilfertigung zeigt, dass ein Großteil der Anlagen genutzt werden könnten, um auch Busse, Eisen- und Stadtbahnen oder auch Seilbahnen herzustellen. Dazu bedarf es natürlich einer anderen Anordnung der Fertigungsschritte und auch anderer Steuerungen. Auch die Baugrößen ändern sich sicherlich in einem gewissen Bereich. Aber die meisten Fertigungsschritte würden auch für andere Verkehrsmittel eingesetzt werden. Auch ein großer Teil des bisherigen Know-Hows aus dem Bereich der Metallumformung, der Metallzerspanung und der Montage wäre vorhanden.

Es wäre die Aufgabe gewerkschaftlicher Arbeitskreise, sich über die Betriebsgrenzen hinweg bereits heute für Produktionsumstellungen einzusetzen.

Nulltarif

Anfang 2018 traten drei Minister der amtierenden Merkel-Regierung an die Öffentlichkeit und schlugen die Einführung eines Nulltarifes für die öffentlichen Verkehrsmittel in fünf deutschen Städten vor. Obwohl die Regierungsvertreter nur mögliche Fahrverbote für Diesel-Pkw verhindern wollten und kein ernsthaftes Interesse am Nulltarif hatten, elektrisierte der Vorschlag. In nur wenigen Tagen entstand in der Öffentlichkeit eine unerwartet große Debatte. Orte, an denen der Nulltarif für den ÖPNV bisher eingeführt wurde, zeigten, dass dabei die Fahrgastzahlen jedes Mal rasant zunahmen.

Wie könnte so ein bundesweiter Nulltarif für den ÖPNV finanziert werden? Es ist festzuhalten, dass der Transport zu den Arbeitsplätzen einen wesentlichen Teil des täglichen Verkehrsproblems verursacht. Könnte man die Unternehmen an der Finanzierung der Nahverkehrskosten beteiligen? Dafür gibt es tatsächlich mehrere Beispiele, allerdings nicht in Deutschland. So beteiligen sich die Unternehmen in Wien bereits seit 1970 mit einer sogenannten „Dienstgeberabgabe” an den Kosten des Nahverkehrs. Aktuell beträgt sie wöchentlich zwei Euro pro Mitarbeiter*in. Und in der französischen Stadt Aubagne, einem 45.000-Einwohnerort in der Nähe von Marseille, wird der kostenlose ÖPNV seit 2009 komplett über eine zusätzliche Arbeitgeberabgabe von 1,05 Prozent der Bruttolöhne finanziert.

Verkehrswende

Wie könnte der weitere Einstieg in eine ökologische Verkehrswende aussehen? Nach dem Krieg wurden in rund 90 deutschen Städten die noch vorhandenen Straßenbahnlinien zerstört, um Platz für den sich ausbreitenden Autoverkehr zu schaffen. Der Einstieg in eine ökologische Verkehrswende sollte zunächst hier ansetzen und diese vergangenen Fehler rückgängig machen.

Aber die Ziele sollten weiterreichen. Ein Start könnte der Aufbau von 200 neuen Straßenbahnlinien in Deutschland sein. Zusätzlich könnte man noch einmal 200 neue Seilbahn-Systeme für Querverbindungen in Städten und Ballungsgebieten entwickeln. Der Kosten- und Zeitplan für ein derartiges Projekt wäre überschaubar. So liegt der Preis für den Aufbau einer komplett neuen Straßenbahnlinie heute bei rund 200 Millionen Euro. Dazu kämen noch die Kosten für rund ein Dutzend Straßenbahnen, die pro Linie erforderlich sind. Sie können mit etwa 40 Millionen Euro angesetzt werden. Realisieren ließe sich das von der Planung bis zur Inbetriebnahme innerhalb von fünf Jahren. Das sind Preise und Zeiten, die beispielsweise für die neue Citybahn in Wiesbaden oder die neue Straßenbahnlinie 2 in Ulm anfallen. Eine überschlägige Rechnung ergibt, dass die Kosten für 200 neue Straßenbahnlinien in Deutschland bei etwa 50 Milliarden Euro liegen.

Urbane Seilbahnen wären für Deutschland ein neues Transportmittel. Ihr Einsatz wird aber mittlerweile in vielen Ländern diskutiert. Man sollte sie auch hierzulande einsetzen. Sie können mit großen Kabinen und einer dichten Folge zehntausende Personen pro Tag transportieren und sind sehr geräuscharm. Der Aufbau einer neuen urbanen Seilbahnline erfordert nur 30 Prozent der Kosten einer Straßenbahnlinie. 200 zusätzliche neue Seilbahnen in Deutschland würden damit nur etwa 15 Milliarden Euro kosten.

Zusammengenommen würde das Projekt für den Einstieg in eine ökologische Verkehrswende dann aus 200 Straßenbahn- und 200 Seilbahnlinien bestehen. Die Gesamtkosten lägen bei nur 65 Milliarden Euro. Der Aufbau könnte bei einer ehrgeizigen Herangehensweise in 15 Jahren realisiert werden. Die Finanzierung wäre einfach, wenn man bedenkt, dass für die Subventionierung des umweltschädlichen Diesel allein in den letzten elf Jahren 74 Milliarden Euro versenkt wurden.

Kai Hasse ist Aktivist der Umweltbewegung und lebt in Frankfurt am Main.

Der Artikel ist Teil der Mai-Ausgabe des Magazins „Lernen im Kampf“, das hier bestellt werden kann.