Betrieb und Gewerkschaft, Hintergrund

Doppelkrise

Die Autoindustrie steckt in konjunkturellen und strukturellen Schwierigkeiten. Ausbaden sollen das die Beschäftigten. Wie reagieren Betriebsräte und IG Metall?

von Daniel Behruzi

Der Verlauf der beginnenden Krise in der Automobilindustrie ist ein anderer als vor zehn Jahren. 2008 kürzten die Hersteller – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – ihre Produktionsprogramme binnen weniger Wochen drastisch zusammen. Der tiefste Absturz, den die Automobilproduktion in Deutschland je erlebte, kam eher überraschend.

Ebenso unerwartet folgte die schnelle Erholung. Dieses Mal wird die drohende Krise von Deutschlands Leitindustrie schon im Vorfeld breit diskutiert. Ihre Dramatik könnte allerdings noch größer sein, da die konjunkturelle mit einer strukturellen Krise zusammenfällt. Für die Beschäftigten kündigen sich schwierige Zeiten an. Ihre Gewerkschaft IG Metall und die betrieblichen Interessenvertretungen werden wohl so reagieren wie beim letzten Mal – kooperativ.

Managementfehler?

Wenn Konzerne die Vernichtung von Arbeitsplätzen ankündigen, verweisen Funktionäre von Gewerkschaften und Betriebsräten in der Regel auf Managementfehler. Da ist meist auch etwas dran. Zum Beispiel beim Autozulieferer Leoni, der wegen Schwierigkeiten bei Produktanläufen in Mexiko und Rumänien große Summen verbrannt hat und jetzt weltweit 2.000 Stellen streichen will. Oder beim Volkswagen-Konzern, der die durch Abgas-Betrügereien verursachten Strafzahlungen in Milliardenhöhe durch Kürzungen bei der Belegschaft wieder reinholen will.

Doch die Fehler der hoch bezahlten Manager sind immer nur ein Aspekt. Die grundlegenden Krisenentwicklungen können sie nicht erklären.

Diese bestehen aus zwei einander verstärkenden Elementen: zum einen aus dem strukturellen Umbruch infolge neuer Antriebstechnologien. Die aktuell insbesondere von VW forcierte Umstellung auf Elektroantriebe könnte laut einer von der IG Metall in Auftrag gegebenen Studie bis zu 70.000 Jobs kosten – die 30.000 neuen Stellen, die in der Batteriefertigung und anderswo neu entstehen könnten, sind dabei schon eingerechnet.

Zum anderen hat der konjunkturelle Abschwung begonnen, der früher oder später kommen musste. In den vergangenen Jahren hat vor allem China für stetig steigende Umsätze gesorgt. Insbesondere bei den deutschen »Premiumherstellern« Daimler, BMW und Audi sorgte die Nachfrage der rasant wachsenden Ober- und Mittelschicht im Reich der Mitte für alljährliche Rekorde. Damit ist es nun vorbei. Erstmals seit über drei Jahrzehnten ist der Autoabsatz in China 2018 zurückgegangen, um etwa drei Prozent.

Arbeitsplatzvernichtung

2018 wurden aus den deutschen Autofabriken insgesamt fast neun Prozent weniger Autos und Autoteile exportiert als im Vorjahr. Ohnehin haben die deutschen Hersteller ihre Fertigung nach der Krise 2008/2009 vor allem im Ausland ausgeweitet. Im Vergleich zu 2009 hat sich die Zahl der von deutschen Autobauern in anderen Ländern produzierten Fahrzeuge mehr als verdoppelt – auf fast elf Millionen 2017. Im Inland stieg sie im gleichen Zeitraum lediglich von 4,9 auf 5,6 Millionen. Die in China und anderswo hochgezogenen Kapazitäten dürften jetzt zur Folge haben, dass vor allem in Deutschland und anderen »Hochlohnländern« Jobs verloren gehen.

Und das nicht irgendwann, sondern jetzt. So verkündete VW-Chef Herbert Diess kürzlich auf einer Betriebsversammlung, der Marktführer in Deutschland und Europa müsse »schlanker, beweglicher, schneller werden«. In Zahlen: 7.000 Arbeitsplätze sollen vernichtet werden. Dem »fehle jede Grundlage«, kritisierte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Bernd Osterloh. Die Beschäftigtenvertretung werde nicht zulassen, »dass der rasante Wandel in der Automobilindustrie vom Management als Vorwand für Arbeitsverdichtung oder Fremdvergabe missbraucht wird«.

Erneut »gemeinsam durch die Krise«?

Markige Sprüche in dieser Art wird man von Belegschaftsvertretern in den kommenden Monaten wohl noch einige hören. In der Praxis aber dürften sie erneut darauf setzen, »gemeinsam durch die Krise« zu kommen, wie es 2008/2009 hieß.

Diese Strategie läuft darauf hinaus, die Stammbelegschaften vor betriebsbedingten Kündigungen zu schützen – zum einen durch Zugeständnisse wie Lohnverzicht, zum anderen auf Kosten der sogenannten Randbelegschaften. Zum Beispiel bei Ford in Saarlouis wurden Ende 2018 bereits 400 Leiharbeiter nach Hause geschickt, ohne dass Protest von Betriebsräten oder IG Metall vernehmbar gewesen wäre. Ende Juni sollen 500 weitere folgen. Doch auch 600 Stammkräfte könnten ihren Job verlieren. Insgesamt sind bei Ford in Europa rund 5.000 Jobs bedroht. Gesamtbetriebsratschef Martin Hennig sagte dazu, »nur Stellenabbau« bringe niemandem etwas. In Arbeitsgruppen würden Betriebsräte und Manager nun »die ganze Kostenstruktur von Ford Europa« durchleuchten, um Einsparpotenziale zu suchen. Ein umfassender Stellenabbau sei zwar nicht zu vermeiden, könne aber womöglich über die nächsten Jahre gestreckt werden.

Derweil schafft der US-Konzern Fakten. Im Werk Saarlouis soll die Produktion des Modells »C-Max« im Juni auslaufen. Eine von drei Schichten wird gestrichen, was neben den 1.600 Arbeitsplätze bei Ford fast 700 weitere in Zulieferbetrieben der ohnehin gebeutelten Saar-Region kosten dürfte. Seine Fabrik im französischen Bordeaux will Ford gleich ganz dicht machen.

Trotz Krise: Arbeitsdruck steigt

Wenn weniger Arbeit da ist, wird nicht etwa langsamer gearbeitet – im Gegenteil. Mit der Umstellung auf Zwei-Schicht-Betrieb solle die Tagschicht schneller getaktet werden, berichtet die Süddeutsche Zeitung über Audi Ingolstadt. Das war schon 2008/2009 so, als die Belegschaften trotz Kurzarbeit und verlängerter Werksferien an den Produktionstagen voll Gas geben mussten.

Die Betriebsräte und die IG Metall stehen vor der Wahl: Wollen sie als Co-Manager den Standortwettbewerb mitmachen und versuchen, Massenentlassung bei den Stammkräften im eigenen Betrieb durch Zugeständnisse zu vermeiden? 2008/2009 hat das vermeintlich gut geklappt – allerdings zu Lasten von prekär Beschäftigten und von Kolleg*innen in anderen europäischen Ländern, wo die Beschäftigung deutlich zurückgegangen ist. Und auch das war nur wegen des rasch folgenden Aufschwungs »erfolgreich«. Das wird sich so nicht wiederholen. Eine alternative Strategie wäre, für drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und alternative Arbeitsplätze zu kämpfen.

Dieser Artikel erschien zuerst in einer längeren Version in der ­Tageszeitung junge Welt. Daniel Behruzi schreibt dort seit vielen Jahren über gewerkschaftliche Themen. In seiner Dissertation ­beschäftigte er sich mit betrieblichen Wettbewerbspakten und linker Betriebsratsopposition in der Automobilindustrie: tinyurl.com/behruzi