Betrieb und Gewerkschaft, Debatte

Comeback der Gewerkschaften?

Stand der Erneuerung: bescheidene Erfolge

von Daniel Behruzi, Darmstadt

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Die Gewerkschaften haben die krasse Defensivsituation überwunden, in der sie noch Anfang des Jahrhunderts steckten. In der Industriesoziologie ist daher seit einigen Jahren vom »Comeback der Gewerkschaften« die Rede. Nach dramatischen Verlusten um die Jahrhundertwende ging die Zahl der DGB-Mitglieder zuletzt nur noch leicht zurück. In den Medien ist schon länger nichts mehr von dem Untergang geweihten »Dinosauriern« zu lesen. Und auch das politische Establishment nimmt die Gewerkschaften wieder etwas ernster. Ausdruck dessen sind einige Reformen im Interesse der Beschäftigten – zum Beispiel die (wenn auch wegen der »Eigenbeiträge« de facto nicht vollständige) Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung.

All das ist allerdings längst kein Grund zur Entwarnung. Denn es gilt, die besonderen Rahmenbedingungen der vergangenen Jahre zu berücksichtigen. So beschert der Boom der deutschen Industrie seit Jahren volle Auftragsbücher und den Staatskassen Rekordeinnahmen. Das schafft Spielräume für – wenn auch sehr begrenzte – Zugeständnisse von Unternehmern und Regierungen. In manchen Branchen herrscht mittlerweile tatsächlich ein Fachkräftemangel, der die individuelle und kollektive Verhandlungsposition der betreffenden Beschäftigten stärkt. In einer Situation, in der Betriebsräte Sonderschichten genehmigen und Unternehmen um Fachkräfte werben, fällt es naturgemäß leichter, eigene Interessen durchzusetzen.

Niedergang trotz Boom

Vor diesem Hintergrund nehmen sich die von den Gewerkschaften erzielten Erfolge eher bescheiden aus. Erst in den vergangenen fünf Jahren sind die Reallöhne merklich gestiegen – was vor allem auf die geringen Preissteigerungen infolge der Niedrigzinspolitik zurückzuführen ist. Die Arbeitnehmerentgeltquote – also der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen – ging zwischen 2000 und 2007 deutlich zurück und hat das Niveau der Jahrhundertwende seither nicht mehr erreicht. Vor allem aber ist der Sinkflug bei der Tarifbindung nach wie vor nicht gestoppt: Waren 1998 noch 76 Prozent der Beschäftigten im Westen und 63 Prozent im Osten durch einen Tarifvertrag abgesichert, waren es 2017 nur noch 57 bzw. 44 Prozent.

Dass die Gewerkschaften diesen Niedergang selbst im Boom nicht aufhalten konnten, zeigt die Dramatik der Lage. Und auch die relative Stabilisierung der Mitgliedszahlen trägt bei näherer Betrachtung nicht zur Beruhigung bei.

Eine ganze Generation ehren- und hauptamtlicher Funktionär*innen steht vor dem Renteneintritt. Es kommen nicht genug Aktivist*innen nach, von denen viele zudem kaum über Kampferfahrung verfügen. Hier haben die Gewerkschaften im zu Ende gehenden Boom die Chance verpasst, für neue Erfahrungen und andere Kräfteverhältnisse zu sorgen. Selbst in ihren Hochburgen der Großindustrie haben sie es nicht gewagt, grundlegende Konflikte mit dem Kapital einzugehen. So positiv zum Beispiel die »Powerstreiks« der IG Metall in der letzten Tarifrunde 2018 waren – mit den in den 1980er-Jahren geführten Auseinandersetzungen um kollektive Arbeitszeitverkürzung sind sie nicht zu vergleichen.

Trotz Beteiligungsorientierung und erfolgreicher Organizing-Projekte, bei denen linke Aktivist*innen eine große Rolle spielen, kann in weiten Teilen der Industrie eher von einem verfestigten Korporatismus ausgegangen werden als von einer Wende zu kämpferischer Gewerkschaftspolitik. Nach 2008/09 haben sich die IG Metall und ihre Betriebsräte als »Helden der Krise« gefeiert. Sie werden im sich ankündigenden Abschwung daher wohl erneut versuchen, die Krisenfolgen für die Stammbelegschaften gemeinsam mit den Konzernen abzumildern – auf Kosten von prekär Beschäftigten und der Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern. Dass das erneut »funktioniert«, ist keineswegs garantiert.

Neuaufbau

Die These ist nur leicht überspitzt: Historisch gesehen stehen wir vor der Aufgabe, die Arbeiterbewegung neu aufzubauen. Im Zuge der Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse in Osteuropa nach 1989/91 und der neoliberalen Offensive ist die Arbeiterbewegung sowohl politisch als auch organisatorisch und ganz praktisch eingebrochen.

Von den fast zwölf Millionen Gewerkschaftsmitgliedern Anfang der 1990er-Jahre sind noch etwa die Hälfte übrig. Vertrauensleutestrukturen sind vielfach nicht mehr existent oder zum Anhängsel sozialpartnerschaftlicher Betriebsräte geworden. Gewerkschaftshäuser wurden verkauft, Bildungsstätten geschlossen, eigene Druckereien privatisiert. Die vor wenigen Wochen erfolgte Schließung der ehemaligen Gewerkschaftsdruckerei apm in Darmstadt steht symbolisch für diese Entwicklung.

Was also ist zu tun? Allein den »Verrat der Führung« anzuprangern, greift deutlich zu kurz. Den Eindruck zu erwecken, die Vorstände müssten nur wollen, dann stünde die Klasse Gewehr bei Fuß, entspricht vielleicht den eigenen Wünschen, nicht aber der Realität.

Es gibt allerdings immer wieder Chancen, die die Arbeiterbewegung nutzen – oder verpassen – kann. Entscheidend wird sein, positive Beispiele zu setzen, Kampferfahrungen zu ermöglichen und diese Erfahrungen zu verbreiten. So, wie es die Kolleginnen und Kollegen in den Unikliniken, bei Ryanair und anderswo vormachen. Eine Erkenntnis aus diesen Kämpfen ist: Einzelne und kleine Gruppen von Aktivist*innen können den Unterschied machen. Hätte sich beispielsweise die Bewegung für Entlastung an den Krankenhäusern so entwickelt und über Monate die öffentliche Debatte bestimmt, wenn nicht eine Handvoll Kolleg*innen am Berliner Uniklinikum Charité den Anfang gemacht hätte? Wohl kaum.

Die vielen guten Ansätze zeigen schon jetzt: Widerstand ist zweckvoll. Das Comeback der Gewerkschaften ist möglich. Doch wir stehen am Anfang.

Und jetzt?

Der nächste Schritt ist, die vielen guten Ansätze zu vernetzen. Es sollte nicht nur beim Austausch von Informationen und guten Beispielen bleiben. Wo immer möglich, wahrscheinlich zunächst auf Branchenebene, sollten konfliktorientierte Kolleg*innen eine konkrete Zusammenarbeit entwickeln – und so perspekti­visch eine innergewerkschaftliche Alternative zur sozialpartnerschaftlichen Mitgestaltung des Kapitalismus aufbauen.

Und genau hier geht die Anforderung an Linke in den Gewerkschaften über Vernetzung hinaus: Die Verbreitung sozialistischer Ideen, die über die Grenzen des herrschenden Systems hinausgehen, ist entscheidend. Ohne revolutionär-sozialistische Anstöße wird es nicht gelingen, den im Nationalstaat verfangenen, pro-kapitalistischen Kurs der meisten Gewerkschaftsspitzen und -apparate herauszufordern.

Das gilt auch für die Dominanz der SPD in den gewerkschaftlichen Apparaten, die sowohl Ausdruck bürokratischer Erstarrung als auch der Schwäche der Linken und der Partei Die LINKE ist. Auch hier gilt es anzusetzen.

Teil der Wiederbelebung der Arbeiterbewegung ist der Kampf um Demokratie, um Kontrolle durch die Kolleg*in­nen und um Positionen und Funktionen in den Gewerkschaften.

Daniel Behruzi ist ver.di-Vertrauensleutesprecher an der TU Darmstadt. Für den 2013 bei Campus erschienenen Band »Comeback der Gewerkschaften?« hat er den Aufsatz »Kurzlebige Kooperation: Betriebliche Handlungsstrategien in der Krise« geschrieben.

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