Betrieb und Gewerkschaft, Kommentar

Aus weniger wird mehr: IG Metall setzt auf Arbeitszeitverkürzung

Die Möglichkeit, Arbeitszeit zu verkürzen, war die zentrale Forderung der IG Metall in der vergangenen Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. Im kommenden Jahr wollen 190.000 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie acht zusätzliche freie Tage haben und verzichten dafür auf das neu eingeführte »tarifliche Zusatzentgelt« in Höhe von 27,5 Prozent eines Monatseinkommens.

von Daniel Behruzi

Wie die IG Metall am Montag bekanntgab, machen vor allem Schichtarbeiter von dieser Möglichkeit Gebrauch. 140.000 von ihnen haben sich für die zusätzliche Freizeit entschieden. 40.000 weitere wollen die freien Tage nutzen, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, 10.000 zur Pflege von Angehörigen. Das belegt: Es gibt unter vielen Beschäftigten das Bedürfnis, weniger zu arbeiten. Sie sind dafür sogar bereit, Lohneinbußen in Kauf zu nehmen. Das ist eine deutliche Bestätigung dafür, dass es richtig ist, wenn die Gewerkschaften die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung wieder auf die Tagesordnung setzen.

Doch dass das neue Tarifmodell der IG Metall eine Erfolgsgeschichte wird, ist keineswegs ausgemacht. Denn ob den 190.000 Antragstellern ihr Wunsch nach mehr Freizeit erfüllt wird, müssen Unternehmen und Betriebsräte bis Jahresende aushandeln. Wahrscheinlich werden sich viele Belegschaftsvertreter die Zustimmung der Manager dadurch erkaufen, dass sie ihnen zugleich mehr Flexibilität »nach oben« gewähren: Der Tarifvertrag bietet die Möglichkeit, den Anteil von Beschäftigten mit 40-Stunden-Verträgen – der bislang auf maximal 18 bzw. 13 Prozent einer Belegschaft begrenzt ist – auszuweiten. Es ist durchaus möglich, dass auf diesem Weg Arbeitszeitverkürzung für die einen mit Arbeitszeitverlängerung für die anderen (über?)kompensiert wird.

Nur Beschäftigte, deren Kinder bis zu acht Jahre alt sind, die pflegebedürftige Angehörige versorgen oder unter bestimmten Voraussetzungen als Schichtarbeiter tätig sind, können zwischen freien Tagen und »Tariflichem Zusatzentgelt« wählen. Alle anderen haben lediglich die Möglichkeit, ihre Wochenarbeitszeit befristet auf 28 Wochenstunden zu reduzieren. Laut IG Metall haben davon bisher nur 8.000 Beschäftigte Gebrauch gemacht. Der Grund dürfte sein, dass diese Arbeitszeitreduzierung beim Lohn voll zu Buche schlägt, während die Unternehmen zwei der acht zusätzlichen freien Tage bezahlen.

Das zeigt: Arbeitszeitverkürzung ist nur dann attraktiv, wenn der Lohnverlust (zumindest teilweise) ausgeglichen wird. Wie viele Kollegen würden ebenfalls gerne weniger arbeiten, können sich das aber nicht leisten? Darüber gibt es leider keine Zahlen. Eine weitere Erkenntnis: Arbeitszeitverkürzung wird als Antwort auf Überlastung gesehen. Nicht zufällig findet die Regelung am meisten Zuspruch unter besonders belasteten Schichtarbeitern. Daher ist Arbeitszeitverkürzung gerade angesichts der erfolgten Arbeitsverdichtung dringend nötig – nicht nur in der Metallindustrie. Und wenn möglich bei vollem Lohn- und vor allem Personalausgleich. Denn wenn die Kollegen dieselbe Arbeit in kürzerer Zeit schaffen müssen, bleibt von der Entlastung nicht viel übrig.

Der Artikel erschien zuerst am 13.11.2018 in der Tageszeitung „junge Welt„.

Sehr lesenswert ist zu diesem Thema außerdem der Artikel „Zeit ist wichtiger als Geld“ von Jörn Boewe in der Tageszeitung „neues deutschland“ (13.11.2018).