Internationales, Theorie und Geschichte

„Ich schlage Trump die Zähne ein“

Eskalierender Handelskonflikt könnte zum Auslöser einer neuen globalen Rezension werden


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von Aron Amm, Berlin

»Die Rezessionsangst erhebt wieder ihr hässliches Haupt«, so Stephen Innes. Der Chefhändler für den asiatisch-pazifischen Raum beim Wertpapierhaus Oanda blickt dabei auf die Zinskurve der US-Staatsanleihen wie das Kaninchen auf die Schlange. Erstmals seit 2007 rentieren die zweijährigen Titel höher als die fünfjährigen. Gemeinhin ein Vorzeichen für eine inverse Zinskurve. Was meint, dass das Niveau der zweijährigen Zinsen das der zehnjährigen aussticht. Was meint, dass bald schon ein Szenario eintreten könnte, das generell als Vorbote einer neuerlichen Krise der Weltwirtschaft gehandelt wird.

In der Regel liegen die kurzfristigen Zinsen unter denen der langfristigen. Erwarten die Anleger indes eine ökonomische Abwärtsbewegung, beginnen sie – wie 2007 geschehen – abrupt umzuschichten.

Was unmittelbare Auswirkungen auf den Geldmarkt hat, auf dem sich die Banken hauptsächlich zu kurzfristigen Zinsen untereinander Geld leihen. Die Folge: Die Profitabilität leidet. Die Kreditvergabe gerät ins Stocken.

Da braut sich was zusammen

»Da braut sich wieder was zusammen«, betitelte die FAZ am 10. Oktober 2018 einen Vorbericht über die Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank – ein Jahrzehnt nach der tiefgreifenden Wirtschafts- und Finanzkrise. Beunruhigt zeigten sich IWF-Chefin Christine Lagarde und Co. vor allem wegen der Schwächeanzeichen im Euro-Raum: stagnierende Produktion, rückläufige Kapazitätsauslastung. Im Fokus diesmal nicht die »Kleinen« wie Griechenland, sondern »Große« wie Frankreich und Italien (so waren in beiden Ländern vormals schon alarmierende Staatsschulden- und Erwerbslosenquoten von 2008 an um etwa ein Drittel in die Höhe geschnellt). Dazu kamen die wirtschaftlichen Turbulenzen in einer Reihe von sogenannten Schwellenstaaten, allen voran Argentinien und die Türkei.

Diese Krisensignale bedeuteten trudelnde Aktienwerte. Der Dax schloss 2018 beispielsweise mit einem Minus von 18 Prozent. Dies fußt auf Ausnahmeentwicklungen seit der »Jahrhundertrezession« (Ex-US-Notenbankpräsident Alan Greenspan). Nie zuvor, abgesehen von den Weltkriegsjahren, häuften die großen Volkswirtschaften vergleichbare Schulden an: In den letzten zehn Jahren erhöhten sich die Defizite in Ländern mit, wie es heißt, »systemisch relevanten Finanzsektoren« von 210 auf 250 Prozent der aggregierten Wirtschaftsleistung. Was einhergeht mit selbst im Aufschwung – und letztlich seit 1999 – stagnierenden Realeinkommen der sogenannten Median-Haushalte.

Abschwächung oder Absturz?

Prognosen sind, wie bereits Mark Twain wusste, schwierig, zumal sie die Zukunft betreffen. Das gilt ganz besonders für die kapitalistische Wirtschaft, ein anarchisches Produktionssystem, in dem viele Prozesse erst im Nachhinein evident werden.

Es gibt mehrere Maßnahmen und Entwicklungen, die durchaus krisenverzögert wirken könnten. In den USA zum Beispiel die, vor allem Konzerne und Reiche begünstigenden, Steuerentlastungen (darunter eine Reduzierung der Körperschaftssteuer von 35 auf 21 Prozent). In Europa der in einem Großteil der Länder bis vor kurzem noch vorherrschende Beschäftigungsaufbau – wenngleich verbunden mit einer Ausweitung der Niedriglohnbereiche.

Noch wichtiger vielleicht, dass viele bürgerliche Drahtzieher, wie die Notenbanken, heute (auch aufgrund ihrer Erfahrungen mit der »großen Rezession« 2007-09) wesentlich vorsichtiger agieren als das unter anderem vor 1929 der Fall war. Allerdings gehen ihnen, dazu unten mehr, allmählich die eine Krise abschwächenden oder hinauszögernden Mittel aus.

Zwar ist der genaue Krisenverlauf offen. Es spricht jedoch viel dafür, dass eine kommende globale Rezession entweder noch heftiger als nach Lehman ausfallen könnte oder sich aber länger hinzieht.

Angespannte Handelsbeziehungen

Ähnlich besorgt wie IWF und Weltbank äußerte sich die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), de facto die Bank der Zentralbanken, kurz vor dem Jahreswechsel. Als Hauptgrund für die Abschwungtendenzen machte die BIZ die fortgesetzt »angespannten Handelsbeziehungen« (nicht zuletzt die Zollkonflikte) und »politische Unsicherheiten« aus.

Die den Spätherbst/Winter anhaltenden Börsenunruhen waren begleitet von reihenweise nach unten korrigierten Wachstumsprognosen. Für Deutschland und Europa erwarten die Forschungsinstitute für 2019 jetzt eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um nur noch ein bis anderthalb Prozent statt zwei und mehr Prozent, für die USA zwei bis zweieinhalb anstelle von über drei Prozent. Angesichts dieses Trends erklärte David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt der Deutschen Bank: »Ich wäre nicht überrascht, wenn es in der zweiten Hälfte 2020 eine Rezession gibt, ich wäre sogar eher überrascht, wenn es keine gibt.«

Ungewöhnlich, dass sich die Institute zu diesem Zeitpunkt überhaupt so pessimistisch äußern. Denn selbst in deutschen Finanzkreisen heißt es zum Beispiel, dass ein Haus wie die Bundesbank üblicherweise erst dann einen Abschwung prophezeie, wenn die Ökonomie bereits in der Krise stecken würde.

Am Ende des Konjunkturzyklus

Zwar hat jeder Abschwung seine Eigenarten, doch ist der Wechsel von im Schnitt in sieben bis zehn Jahren verlaufenden Auf- und Abschwüngen so alt wie der Kapitalismus selbst. Seit etwa dreihundert Jahren vollzieht sich diese Periodizität von Zyklen gesetzmäßig. Und nimmt man diesen allgemeinen Konjunkturzyklus, so passt er auf das vergangene Jahrzehnt sehr gut als Folie: Auf die in der Krise stattfindende Kapitalvernichtung bis 2009 folgte zwischen 2010 und 2013 eine Phase der Neuanlage von Kapital und Akkumulation (erst half den Kapitaleignern der Austeritätskurs, dann die wieder verstärkt einsetzende Spekulation, ihre Profite zu steigern), jetzt in mehr und mehr größeren Ökonomien ein neuerlicher Wachstumseinbruch, der in eine weitere globale Rezession münden könnte.

Im historischen Vergleich ist der nun möglicherweise zum Ende kommende Zyklus überdurchschnittlich lang. Das ist erst mal auf das überdurchschnittliche Ausmaß der Krise 2007 bis 2009 zurückzuführen. Aber auch auf eine international auseinandergehende wirtschaftliche Entwicklung: So waren die Krisenjahre der führenden Industriestaaten von einer besseren Lage in einigen der sogenannten Schwellenländer begleitet, die dann um 2014 herum strauchelten (darunter Russland, Südafrika und Brasilien), während sich die USA, Europa, China (das zwar nicht in eine vergleichbare Rezession stürzte, aber auch von der Krise 2007 bis 2009 erfasst wurde) erholten.

Zur Verlängerung und zur Besonderheit des aktuellen Zyklus trugen zudem die Niedrigzinspolitik, die Schuldenpolitik von Staaten, Unternehmen und Verbraucherhaushalten sowie, im Unterschied zum Beispiel zur Zeit nach 1929, Formen von Absprache und Zusammenarbeit kapitalistischer Staaten bei.

Krisenverstärkende Maßnahmen

Während in der letzten Phase krisenverzögernde Maßnahmen vorherrschten, werden wir jetzt, und damit im Zusammenhang stehend, Zeuge gegenläufiger Prozesse: So könnten die gegenwärtigen Zinserhöhungen (in den USA 2008 in vier Schritten zum Beispiel) den Abschwung noch verstärken. (Spielräume wie vor zehn Jahren existieren heute ohnehin nicht mehr: Schließlich lag der US-Leitzins damals bei 5,25 Prozent und wurde binnen zwölf Monaten um fünf Prozent runtergefahren.)

Hinzu kommt: Während die G20-Staaten, wie die FAZ am 22. März 2018 schrieb, nach der Lehman-Pleite im September 2008 den Freihandel verteidigten, erinnern die heutigen Entwicklungen »an die Zeit zwischen den Weltkriegen, als eine Spirale der Protektion den Welthandel zusammenbrechen ließ«. Dass die »Globalisierung auf dem Rückzug« ist, liegt im Übrigen, wie auch die FAZ einräumt, nicht nur an Trump. Sie verweist darauf, dass die EU zum Beispiel in der Autobranche jahrelang höhere Zölle als die USA verlangte.

Ein weiterer Unterschied zu 2009: Während, wie ausgeführt, einige Schwellenstaaten seinerzeit wenig vom Abschwung erfasst wurden, vollziehen sich in Ländern wie Argentinien und der Türkei dramatische Entwicklungen: So senkte sich der Wert der Währungen beider Länder im ersten Halbjahr um 50 Prozent, Argentinien steht am Rand der Zahlungsunfähigkeit.

»Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten«, spottete Kurt Tucholsky über die Weisheit der Ökonomen. Konkret heißt dies jedoch heute: Da die Schwellenstaaten und viele dortige Unternehmen in Dollar verschuldet sind, trifft sie die weiter steigende US-Verschuldung zusätzlich.

Neue Krise – tiefer, länger?

Einige Indikatoren sprechen dafür, dass die kommende Krise tiefer werden oder sich zumindest länger hinziehen könnte. Abgesehen von den Niedrigzinsen haben sich die Schuldenquoten fast verdoppelt. Ländern wie Griechenland, Spanien oder Südafrika droht der Staatsbankrott. Verelendung, Regionalkrisen, Kriege haben deutlich zugenommen.

Und China? Die zwischenzeitlichen Börsenerschütterungen und der Sinkflug des Yuan 2018 waren keine Unfälle, sondern die Folge von durch die Decke schießenden Immobilienpreisen. Außerdem kündigten chinesische Unternehmen Investitionsstreiks an für den Fall, dass der Staat seine Drohung wahrmachen sollte, eine Reduzierung der privaten Schulden zu erzwingen. Wofür es freilich gute Gründe gibt: Sieht der IWF in diesen Schulden doch einen möglichen Auslöser für eine neue Finanzkrise.

Handelskriege, Währungskriege?

Ein US-Präsident Donald Trump macht die Weltlage zwar unberechenbarer. Trotzdem ist er nicht allein verantwortlich für die Gefahren eines veritablen Handelskrieges. Viele Demokraten im US-Kongress haben noch protektionistischere Maßnahmen vorgeschlagen. Davon abgesehen drängen die Mechanismen des Konkurrenzsystems in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs (und nach dem Wegfall des sogenannten Ost-West-Gegensatzes) zu mehr Spannungen zwischen den Konzernen und Staaten. Die EU möchte, vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron artikuliert, international wieder eine, auch militärisch, größere, eigenständigere Rolle spielen. Und China will den USA die Stirn bieten. Der chinesische Staatschef Xi Jinping soll unlängst gegenüber dem Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab gesagt haben: »Ich schlage Trump die Zähne ein.« (FAZ, 25. Juli 2018)

Und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte kürzlich: »Sie haben den Dollar, wir haben Gott«, aus Unmut über die durch Fed-Zinserhöhungen ausgelöste Aufwertung des Dollar – angesichts der auf Dollar lautenden türkischen Schulden und der Flucht von Anlegern in die US-Währung. Generell liegen die Dollar-Schulden der Schwellenstaaten (mit knapp vier Billionen Dollar) heute fast doppelt so hoch wie 2008.

Es gilt immer noch, was der US-Finanzminister John Connally in den 1970ern ausrief: »Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem!« Wobei sich genau das gerade zu ändern beginnt: Bedeutet die Schwächung einer Großmacht über kurz oder lang doch auch die Schwächung ihrer Währung. Und so wie mit dem Niedergang Großbritanniens der Pfund vom Dollar als Leitwährung abgelöst wurde, wird der Niedergang der USA die Dollar-Dominanz in Frage stellen. Wobei sich anders als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts heute keine Macht auftut, die zur alleinigen Supermacht werden könnte. Wahrscheinlicher ist ein Szenario, das den wechselnden Allianzen, Regionalkrisen und -kriegen ähnelt und dem Ersten Weltkrieg vorausging. Auf Basis einer viel angezählteren Weltwirtschaft allerdings.

Aron Amm arbeitet als Erzieher in Berlin. Im Frühjahr erschien im KLAK-Verlag sein Roman »Moribund«.