Polarisierung in den USA
Die Demokratische Partei ist straff pro-imperialistisch – und trotzdem kämpft ihre Führung mit einem sozialistischen Aufbegehren in den eigenen Reihen
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von Whitney Kahn, Seattle
Die Situation in den USA ist zwei Jahre nach Amtsantritt von Donald Trump von einer intensiven Polarisierung gekennzeichnet, nach links wie nach rechts. So gab es in diesen zwei Jahren zahlreiche offen faschistische Aufmärsche, so viele wie selten in den vergangenen Jahrzehnten. Doch gleichzeitig waren diese Naziaktionen auch von Gegendemonstrationen begleitet, die mehr Menschen mobilisierten als die Rechten. Auf der einen Seite stehen Neonazi-Aufmärsche wie die »Unite the Right«-Demonstration im Mai 2017 in Charlottesville, bei der ein Faschist die Gegendemonstrantin Heather Heyer überfuhr und tötete. Ein von Neonazis unterstützter Kandidat der Republikanischen Partei, Rob DeSantis, wurde in Florida im November 2018 zum Gouverneur gewählt. Auf der anderen Seite sind Hunderttausende offen für linke und sozialistische Ideen, organisieren sich und machen wichtige Erfahrungen.
Die Polarisierung treibt Menschen auf die Straße. 20 Prozent der US-Bürger*innen geben an, seit 2016 an mindestens einer Demonstration oder einem ähnlichen Protest teilgenommen zu haben.
Ein weiterer Ausdruck dieser Aktivierung ist die Verzehnfachung der Mitgliederzahlen der Democratic Socialists of America, DSA, die von 6.000 im November 2016 auf nun mehr als 60.000 Mitglieder angewachsen sind. Und sie zeigt sich auch in der Wahl von Alexandria Ocasio-Cortez zur Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses bei den Midterm-Wahlen im vergangenen November.
Alexandria Ocasio-Cortez
Die von den von großen Konzernen gestützten und finanzierten Kompromissler bei den Demokraten versuchen, diese Entwicklung einfach zu ignorieren. Ganz anders und in Opposition dazu tritt die neue Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez auf. Sie nennt sich, wie Bernie Sanders, eine demokratische Sozialistin und ist (anders als Sanders) Mitglied der DSA. Ocasio-Cortez macht radikale Gesetzgebungsvorschläge und verlangt einen »grünen New Deal«. Gemeint ist ein massives Investitionsprogramm, um die US-Wirtschaft komplett auf erneuerbare Energien umzustellen, während die Arbeitsplätze der Beschäftigten der fossilen Industrien beispielsweise durch Umschulungen garantiert erhalten bleiben sollen. Finanziert werden soll das Ganze durch eine zusätzliche Einkommensteuer für Millionär*innen. Ein Vorschlag, der noch populärer ist als »Medicare for All« und laut Umfragen von 80 Prozent der Wähler*innen unterstützt wird, und zwar von 64 Prozent der Republikanischen und von mehr als 90 Prozent der Demokratischen Anhänger*innen. Das radikale an dem Vorstoß von Ocasio-Cortez ist im übrigen auch, dass genau so ein Job-Programm geeignet ist, die rechte Hetze gegen Migrant*innen, die im Kampf um die raren Arbeitsplätze auf fruchtbaren Boden fällt, zu überwinden.
Obwohl Ocasio-Cortez auf dem Ticket der Demokratischen Partei antrat, wies sie Konzern-Gelder zur Wahlkampfunterstützung prinzipiell zurück. Sie gewann die Vorwahlen in ihrem Wahlkreis, der sich aus den New Yorker Stadtteilen Bronx und Queens zusammensetzt, gegen einen einflussreichen Demokraten, der Politik im Interesse der großen Wirtschaft machte. Eine ihrer ersten Taten im US-Kongress war es, noch bevor sie ihr Büro bezog an einem Protest gegen Klimawandel teilzunehmen – im Büro ihrer Demokratischen Mitabgeordneten Nancy Pelosi, die später zur Vorsitzenden des Repräsentantenhauses gewählt wurde. Sie bewies Millionen von Arbeiter*innen und Jugendlichen im ganzen Land, dass Kandidat*innen auch ohne Unterstützung des Big Business gewinnen können, wenn sie couragierte linke Politik anbieten. So fordert Ocasio-Cortez neben kostenloser Gesundheitsversorgung auch die Abschaffung von ICE (der für Abschiebungen und Razzien gegen illegalisierte Menschen zuständigen Behörde) und kostenlose Universitäten.
»Geh weg, sei still«
Neben Bernie Sanders führt sie nun den linken Flügel der Demokratischen Partei an. Die Antwort des Establishments der Demokratischen Partei? Eine Reihe von herablassenden Angriffen auf Ocasio-Cortez: Von »Sie versteht noch nicht, wie dieser Ort funktioniert« (Kurt Schrader, Abgeordneter der Demokraten aus Oregon), über die Aussage, sie sei halt »ein hell glänzendes Objekt« (Claire McCaskill, Demokratin aus Missouri) bis zum öffentlich geäußerten Wunsch sie möge einfach weg gehen und »still« sein (Doug Schoen, rechter Flügel der Demokraten). Sanders sieht sich mit ähnlichen Attacken konfrontiert. Bevor er auch nur angekündigt hat, zur Präsidentschaftswahl 2020 erneut anzutreten, gehen die Medienkonzerne zum Angriff über. Ins Visier nehmen sie sein Alter, seine Unterstützer*innen und die Bedeutung seiner Ideen.
Gleichzeitig versuchen andere Demokrat*innen, sich linker zu präsentieren und sich als jüngere Version von Bernie auszugeben. So soll der Eindruck erweckt werden, als seien alle Kandidat*innen »fortschrittlich« und als mache es nicht so viel aus, wer am Ende nominiert wird.
Immer freundlich?
In diesem Kontext wird innerhalb der DSA diskutiert, wie man in die kommenden Wahlen eingreifen soll. Ein Teil der DSA argumentiert, man solle »abwarten und sehen«, welche Kandidat*innen man unterstützen könne. Dieser Flügel vertritt auch die Haltung, man solle am besten allen »fortschrittlichen« Demokraten helfen oder ihnen gegenüber zumindest freundlich und positiv eingestellt bleiben.
Die kämpferische Linke innerhalb der DSA, zu der auch die neu gegründete Organisation »Reform and Revolution« gehört, schlägt vor, die DSA solle eine starke Kampagne für Bernie starten und Menschen in der DSA organisieren – unabhängig von der Demokratischen Partei, als deren Kandidat Sanders antreten will, und mit einem unabhängigen Programm. Das würde auch zulassen, dass dort, wo Sanders selbst Schwächen hat, eine eigene, sozialistische Politik sichtbar gemacht werden könnte. In der Außenpolitik ist Sanders beispielsweise eher schwach und bleibt oft sehr allgemein. Oder wenn es darum geht, wie mit der Pharmaindustrie umgegangen werden solle, so kann in der DSA eine ganz andere Diskussion über die Notwendigkeit geführt werden, sie in öffentliches Eigentum zu überführen. Hier kann eine eigene Kampagne auch Positionen vertreten, die Sanders so nicht vorbringt.
»Sie versteht noch nicht, wie dieser Ort funktioniert«
Kurt Schrader, Abgeordneter der Demokraten aus Oregon über Ocasio-Cortez
Trotzdem ist Sanders mit Abstand der beste Kandidat: Er steht wie kein anderer dafür, dass eine andere Politik sich auf die Aktivierung von Menschen stützen muss und nicht (allein) auf Mehrheiten in einem Parlament. Er scheut nicht davor zurück, die Diskussionen um »demokratischen Sozialismus« öffentlich zu führen. Und er trat den größten Teil seines Lebens unabhängig von den Demokraten an.
Die anhaltenden Zusammenstöße zwischen linken Aktiven und der Parteimaschinerie zeigen für viele, die noch immer die Demokraten von innen verändern wollen, immer wieder, wie wenig demokratisch es dort zugeht und wie eisern die Konzerne diese Partei letztlich im Griff halten. Aus diesen Auseinandersetzungen könnte die DSA als breite sozialistische Organisation hervorgehen, 100.000 Mitglieder gewinnen und schließlich auch eine neue antikapitalistische, linke Partei mit Massenanziehungskraft gründen.
Bei den Kämpfen dabei sein
Und eine solche neue Partei ist nötig. Lohnabhängige brauchen eine mächtige Interessenvertretung, um der Macht, dem Geld, den Politiker*innen und der Medienwucht der Konzerne etwas entgegen zu setzen.
Aber, so argumentieren viele, ist es nicht einfacher, die Demokraten zu reformieren? Um die Demokratische Partei zu einer solchen Partei umzumodeln, müsste zunächst mit dem System der Konzernspenden in Wahlkämpfen gebrochen werden. Dieses System führt dazu, dass die meisten der gewählten Abgeordneten den Konzernen Rechenschaft schuldig sind und nicht gegenüber der Arbeiterklasse oder den Menschen, die sie gewählt haben.
Der Apparat der Demokraten müsste ersetzt und neu aufgebaut werden, auf allen Ebenen. Mechanismen wirklicher Rechenschaftspflicht gewählter Vertreter*innen müssten erkämpft und umgesetzt werden, um sicher zu stellen, dass Gewählte auch zu dem Programm stehen, für das sie gewählt wurden. All das müsste auf dem Fundament eines klaren Programms stehen, das die Interessen der Arbeiterklasse und unterdrückter Menschen an erste Stelle setzt. Also ein Programm, das sich nicht den Profitinteressen der Konzerne unterordnet.
Kurz, eine organisierte Kraftanstrengung einer Partei innerhalb der Demokratischen Partei wäre nötig, um auch nur an eine solche notwendige Umkehr denken zu können. Das ist der Grund, weshalb »Reform and Revolution« glaubt, dass Arbeiter*innen letztlich nicht darum herumkommen, eine neue Partei aufzubauen.
Aber das kann nicht als Argument für Sozialist*innen oder linke Aktive gelten, sich aus den aktuellen Kämpfen herauszuhalten. Und es ist klar, dass das größte Potenzial für eine Dynamik, die zum Aufbau einer Arbeiterpartei führen kann, in der DSA liegt – wie auch in einer hoffentlich kommenden Bernie-2020-Kampagne, mit all deren Widersprüchen.
Whitney Kahn ist Vertrauensmann der Lehrergewerkschaft SEA und Mitglied der DSA sowie der »Reform and Revolution«-Gruppe