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Wohnen: Deckel weg, was nun?

Berliner Mietendeckel aufgehoben, Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co Enteignen läuft

von Franka Loewe, Berlin

Mitte April entschied das Bundesverfassungsgericht: Der Berliner Mietendeckel wird aufgehoben. Angeblich liegt die Gesetzgebungskompetenz nicht auf Landes-, sondern auf Bundesebene. Das ist ein heftiger Rückschlag für die Mieterbewegung, deren Zentrum sich nach wie vor in Berlin befindet. Die Begrenzung der Mieten war selbst nur Nebenprodukt der großen Resonanz, die das Volksbegehren zur Enteigung großer Wohnungskonzerne in der Hauptstadt fand: Mit diesem Zugeständnis sollte der Bewegung der Wind aus den Segeln genommen werden. Das Volksbegehren biegt nun auf die Zielgerade.

Was können Linke und die Partei Die LINKE tun?

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»Nach aktueller Zählung der Landeswahlleiterin liegen nun rund 130.000 Unterschriften vor. Davon wurden 50.962 Unterschriften bereits geprüft und 75,2 Prozent dieser Unterschriften für gültig erklärt. Die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen hat demzufolge in der Hälfte der verfügbaren Zeit mehr als 50 Prozent der benötigten 175.000 gültigen Unterschriften gesammelt«, schrieb die Initiative in einer Presseerklärung am 26. April. Mit schönerem Wetter und hoffentlich besserer Pandemielage wird es zudem leichter, Unterschriften zu sammeln. Die Initiative liegt auf Kurs, ihr Ziel zu erreichen. Bis zum 25. Juni müssen die nötigen Unterstützungserklärungen gesammelt sein. Gelingt das, kommt es – zeitgleich mit Berliner Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl – am 26. September zum Volksentscheid.

Unterstützung aufbauen

Um eine Chance zu haben, die nötigen Unterschriften zu sammeln, organisiert sich die Kampagne in verschiedenen Kiezteams und Untergruppen. Eine enge Vernetzung von Aktivistinnen sowie die Einbeziehung neuer Mitstreiterinnen soll den Grundstein legen, nicht nur die Unterschriften zu sammeln, sondern auch im September an der Wahlurne erfolgreich zu sein.
Gewerkschaften wie ver.di und IG Metall unterstützen das Verlangen des Volksbegehrens. Die IG Metall schrieb in einer Presseerklärung: »Diese Forderung deckt sich auch mit dem Satzungsauftrag (§2) der IG Metall, marktbeherrschende Unternehmen in Gemeineigentum zu überführen.«

Die LINKE unterstützt den Volksentscheid. Sie setzte sich das eher bescheidene Ziel, selbst 30.000 Unterschriften zu sammeln. Das sind bei 7.600 Menschen in der Partei in Berlin weniger als 4 pro Mitglied.

Die SPD ist strikt gegen das Volksbegehren.

Auf einem digitalen Parteitag im März erklärten auch die Grünen ihre Unterstützung, zumindest im Groben. Sie befürworten das Ziel, den gemeinwohlorientierten Wohnungsbestands auf 50 Prozent zu erhöhen. Gleichwohl wollen die Grünen auch bei einem Erfolg des von ihnen unterstützten Volksbegehrens nachbessern und statt alle Konzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen, neue, »qualitative Kriterien« erarbeiten, welche Unternehmen in öffentliches Eigentum überführt werden sollen. Hintertürchen offen.

Worum geht’s?

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen brachte 2018 einen Volksentscheid auf den Weg, der das Ziel hat, die Bestände großer Immobilienkonzerne mit über 3.000 Wohnungen in Berlin zu vergesellschaften. In öffentlichem Eigentum sollen diese demokratisch verwaltet werden, so die Initiative.

In einem ersten Schritt wurden 2019 mehr als 77.000 Unterschriften gesammelt. Unter einem SPD-geführten Innensenator dauerte es dann ein ganzes Jahr, um die Zulassung der zweiten Stufe des Volksentscheids zu erhalten. Gemäß des bürokratischen Berliner Gesetzes über Volksentscheide müssen nun in einem zweiten Schritt erneut Unterschriften gesammelt werden, dieses Mal rund 175.000, das entspricht sieben Prozent der Berliner Wahlberechtigten. Gelingt dies, erfolgt die entscheidende Abstimmung am 26. September.

Deutsche Wohnen ist der größte Immobilienkonzern in Berlin und verfügt alleine über 110.000 Wohnungen in der Hauptstadt. Ein Großteil des Bestands der Deutsche Wohnen stammt aus der Privatisierung des ehemals öffentlichen Wohnungsbaukonzerns GSW durch eine SPD-PDS-Koalition. 2004 wurden rund 70.000 Wohnungen für 401 Millionen Euro an private Investoren verscherbelt, für 57.000 Euro pro Wohnung! 2010 wurden sie an die Börse gebracht, 2013 von der Deutsche Wohnen übernommen.

Die Initiative will mit dem Begehren mindestens 240.000 Wohnungen in öffentliches Eigentum überführen und dafür den Artikel 15 des Grundgesetzes nutzen, der eine Vergesellschaftung durch Überführung in Gemeineigentum ermöglicht. Dieser Artikel wurde bislang (seit 1949) noch nie angewandt.

Erfolg?

Sollte es zu einem Volksentscheid im September kommen, könnte es knapp werden. Basierend auf Zahlen einer von ihr in Auftrag gegebenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Dimap veröffentlichte die CDU Berlin im Februar: »51 Prozent der Berlinerinnen und Berliner lehnen Enteignungen ab. Dies ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts dimap im Auftrag der CDU Berlin. Nur 36 Prozent der Befragten gaben an, Enteignungen zuzustimmen.« Elf Prozent seien sich unsicher, zwei Prozent machten keine Angaben.

Die Fragestellung der »repräsentativen Umfrage« lautete allerdings: »Eine Enteignungs-Initiative zielt darauf, die größten Wohnungsunternehmen in Berlin zu enteignen. Dies könnte bis zu 36 Milliarden Euro kosten. Die einen sagen, dies wäre eine gute Investition und finden die Enteignungs-Initiative gut. Die anderen sagen, das würde dazu führen, dass kein weiterer zusätzlicher Wohnraum geschaffen wird und lehnen die Enteignungs-Initiative ab. Welcher dieser beiden Aussagen stimmen Sie zu?«

Die Schlussfolgerung für die Initiative könnte also folgendermaßen lauten: Gelingt es den Immobilienkonzernen und ihren politischen Repräsentanten in CDU, FDP und SPD, willkürliche Zahlen – »36 Milliarden« – in den Raum zu stellen und das Volksbegehren auf die Frage zu reduzieren, ob »zusätzlicher Wohnraum geschaffen« werde, dann könnte es knapp werden.
Ein weiterer Grund, die Organisierung in den Kiezen zu vertiefen und in Gewerkschaften und Linkspartei für noch mehr aktive Unterstützung zu werben. Während es schon jetzt in einer Pandemie alle Kräfte braucht, um Unterschriften zu sammeln, wird es kein Spaziergang, die Abstimmung dann auch tatsächlich zu gewinnen.

Am 29. April berichtete der RBB zumindest andere und recht ermutigende Zahlen: »Enteignungen fänden jetzt 47 Prozent der Berliner gut, schlecht dagegen nur noch 43 Prozent. Wenn es nur nach den Mietern gehen würde, gäbe es sogar eine absolute Mehrheit für Enteignungen (51 Prozent). Besonders groß ist die Zustimmung bei den Jüngeren – von den Befragten im Alter zwischen 18 und 39 Jahren finden 57 Prozent Enteignungen gut.«

Jetzt heißt es also: Raus aus der linken Blase! Wer am 26. September gewinnen will, braucht Mehrheiten in der ganzen Stadt.

Risiken und Nebenwirkungen

Selbst wenn es der Initiative nicht gelingen sollte, die nötigen Unterschriften zu sammeln oder eine Mehrheit bei einer Abstimmung im September zu gewinnen: Die Debatte um Wohnungsspekulation hat eine enorme Wirkung erzielt. Bundesweit wurde sichtbar, was ein bewegungsorientierter Ansatz zur Aktivierung von Menschen für eine relative kühne und begeisternde Forderung bewirken kann. Demonstrationen von Mieterinnen und für Mieterrechte in Berlin zogen bundesweite Aktionen nach sich.

Ohne diese Mieterbewegung rund um den Volksentscheid wäre es auch wohl kaum zum Versuch gekommen, eine Mietpreisbremse durch den Berliner rot-rot-grünen Senat einzuführen.

Auch die Deutsche Wohnen selbst reagierte auf die Kampagne. Sie erklärte im Juni 2019, »die Bruttowarmmiete nach Modernisierungen nur so zu erhöhen, dass sie maximal 30 Prozent des Nettoeinkommens eines Haushaltes beträgt«.

Wie weiter?

Im Entwurf für das Bundestagswahlprogramm der LINKEN, den der Parteivorstand als Leitantrag für den Parteitag am 19. und 20. Juni 2021 beschlossen hat, heißt es: »Keine Rendite mit der Miete […]. Wir wollen dem Beispiel Berlins folgen und überall, wo es einen angespannten Wohnungsmarkt gibt, harte Obergrenzen für die Miete einführen und zu hohe Mieten senken. Immobilienkonzerne wollen wir von der Börse nehmen. Wir benötigen im Jahr den Neubau von mindestens 250.000 Wohnungen, die dauerhaft bezahlbar bleiben.«

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht macht es absolut Sinn, die Forderung nach einem bundesweiten Deckel hervorzuheben. Klar ist aber auch: Es war kein Zufall, dass der Deckel unter dem Druck der Bewegung in Berlin beschlossen wurde und nicht bundesweit. Die Mieterbewegung ist bundesweit deutlich schwächer.

Die LINKE ist also zunächst gefordert, den Aufbau einer bundesweiten Mieterbewegung zu unterstützen. Wenn der Bundestagswahlkampf dazu genutzt wird, kann das helfen, Bewegungen und die LINKE aufzubauen.

In Berlin geht es darum, nicht nur beim Unterschriften sammeln, sondern auch bei einer darüber hinaus gehenden Organisierung zu helfen. Im Augenblick halten die Immobilienspekulanten still, um dem Volksbegehren nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu bescheren. Sobald die Unterschriften zusammen sind, wird sich das drehen. Eine recht offene Materialschlacht um den Ausgang der Abstimmung ist zu erwarten. Um gegen das Geld der Konzerne zu bestehen, sind alle Linke, Gewerkschafterinnen und die LINKE gefordert.

Mieterinnen in Berlin werden nun auch mit Nachzahlungsforderungen traktiert. Der rot-rot-grüne Senat ist gefordert, das zu unterbinden und Mieterinnen zu schützen, gegebenenfalls die Kosten zu übernehmen und von Konzernen zurück zu holen.

Die Regierungsbeteiligung in Berlin wurde auch gerade mit Fortschritten im Mietenbereich gerechtfertigt. Die SPD im rot-rot-grünen Senat blockierte das Volksbegehren auf Schritt und Tritt. Der Mietendeckel ist gekippt. Unter diesen Bedingungen ist eine kritische Bilanz der Regierungsbeteiligung nötig. Vor der Abgeordnetenhauswahl im September müssen neue Kriterien her, zukünftige Koalitionen in Berlin zu rechtfertigen. Eine radikale, linke Reformregierung in Berlin wäre dringend nötig, müsste aber zwingend beinhalten, dass eine solche von der LINKEN unterstützte Regierung die Forderung des Volksbegehrens voll unterstützt und umsetzt.

LINKE-Wähler*innen wollen die LINKE in der Regierung, um ihr Programm umzusetzen. Das kann nur gelingen, wenn sich die LINKE als Bewegungspartei versteht, um den nötigen Druck von unten aufzubauen, ohne den Veränderung nicht möglich ist. Das geht nur, wenn die LINKE auch konsequent »nein« sagt zu Regierungen, die zur Umsetzung einer grundlegenden Veränderung im Interesse der Arbeiterklasse nicht taugen.

Mietenpolitik galt als Aushängeschild der rot-rot-grünen Berliner Regierung. Die Bilanz der Mieterbewegung in Berlin ist beeindruckend, die Bilanz der Regierungspolitik mehr als bescheiden.

Mehr unter www.dwenteignen.de