IG Metall bietet Konzernen Lohnverzicht für Beschäftigungssicherung
von Daniel Behruzi
Man sollte nicht denken, die IG-Metall-Spitze sei nicht lernfähig. Anfang des Jahres hatte sie den Unternehmern ein »Moratorium für einen fairen Wandel« vorgeschlagen: Die Beschäftigten sollten auf dauerhafte Lohnerhöhungen, die Konzerne auf Entlassungen, Verlagerungen und Standortschließungen verzichten (siehe jW vom 25. Januar). Ersteres wurde umgesetzt – bis auf Einmalzahlungen gingen die gut 3,8 Millionen Beschäftigten in Deutschlands Leitbranche dieses Jahr leer aus. Geholfen hat das nicht. Ein »nicht kleiner Teil« der Unternehmen habe dennoch »massiven Personalabbau« durchgezogen, klagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Montag in Frankfurt am Main. Seine Schlussfolgerung: »Solche Deals funktionieren offensichtlich nicht.«
Das bedeutet indes lediglich, dass sich die IG Metall nicht mehr auf unverbindliche Absichtserklärungen verlassen will. Statt dessen sollen Arbeitsplatzsicherung und Investitionen in sogenannten Zukunftstarifverträgen festgeschrieben werden. Eine Abkehr von der Strategie, mit Lohnverzicht Entlassungen vermeiden zu wollen, ist das nicht. Angesichts der konjunkturellen und strukturellen Krise, in der sich Teile der Metall- und Elektroindustrie befinden, will Europas größte Industriegewerkschaft vielmehr erneut offensiv Lohnverzicht ins Spiel bringen. So soll die anvisierte Entgelterhöhung von »im Volumen bis zu vier Prozent« komplett für Maßnahmen zur Jobsicherung verwandt werden können. Hofmann schwebt dabei vor allem eine Vier-Tage-Woche vor, bei der die Beschäftigten einen teilweisen Lohnausgleich für die verkürzte Arbeitszeit erhalten – finanziert von ihnen selbst, durch den Wegfall der sonst fälligen Entgeltsteigerung.
Den Konzernen macht Hofmann diesen Plan schmackhaft, indem er darauf verweist, dass die Produktivität durch Arbeitszeitverkürzung erhöht und Fachkräfte an Bord gehalten werden könnten. Doch die Unternehmervertreter haben längst klargemacht, dass sie sich durch derlei Angebote nicht beschwichtigen lassen. So fordert der designierte Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf nicht nur eine komplette Nullrunde für 2020 und 2021, sondern auch gekürzte Zuschläge, unbezahlte Mehrarbeit und ein automatisches Unterlaufen von Tarifverträgen bei wirtschaftlichen Problemen. Ganz offensichtlich wollen die Metallunternehmer – wie zuvor die »Arbeitgeber« im öffentlichen Dienst – die Gunst der Stunde nutzen, um tarifliche Errungenschaften zu schleifen. Wenn die IG Metall durch vorauseilende Verzichtsangebote Schwäche demonstriert, wird das die Konzerne ermutigen.
Die Beschäftigten bei Bund und Kommunen haben gezeigt, dass Kämpfe auch in der Pandemie möglich sind. In vielen Industriebetrieben werden Mobilisierungen angesichts drohender Entlassungen schwierig sein – unmöglich sind sie aber nicht. Zumal längst nicht alle Firmen in der Krise sind und Produktionsunterbrechungen selbst dort schaden, wo aktuell weniger (aber nicht langsamer) produziert wird. Nur Mut also.
Abgedruckt in der jungen Welt vom 11.11.2020 Seite 5.