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Spanien: Podemos ordnet sich unter

Interview mit Miguel Urbán Crespo, Mitglied der Anticapitalistas im Staat Spanien und Abgeordneter im Europäischen Parlament

Dieser Artikel erschien in Lernen im Kampf Nr. 6. Unterstütze uns und abonniere unser Magazin.

Im Januar trat Unidas Podemos als Juniorpartner in eine Regierung mit der sozialdemokratischen PSOE ein. Im Februar berichtet Reuters, dass es der Koalition gelungen sei, sich auf einen finanziellen Rahmen für die nächsten Jahre zu einigen mit dem Ziel, das Defizit und die Schulden zu senken. »Unidas Podemos will Maßnahmen ergreifen, die eine Menge an Ausgaben beinhalten, und es stimmt, dass das schwierig werden wird wegen der Budgetbeschränkungen«, so ein Regierungsmitglied von Podemos zu Reuters. »Aber wir haben akzeptiert, dass die allgemeinen Zahlen, die vorgeschlagen wurden, die richtigen sind.« 

Dann schlug die Covid-19-Pandemie zu und traf Spanien besonders hart. Die Koalitionsregierung reagierte mit Notstandsmaßnahmen, die der Regierung zusätzliche Rechte einräumten. Die Regierung wendet dabei auch ein »Knebelgesetz« an, mit dem das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden können, das 2015 von der damaligen konservativen PP-Regierung eingeführt worden war, um gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien vorgehen zu können. Die Koalitionspartner – PSOE und Podemos Unidas – hatten vor ihrem Regierungseintritt Klage beim obersten Verfassungsgericht gegen dieses Gesetz eingelegt. 

Das führt auch der Journalist Sato Díaz in einem am 19. Mai geschriebenen Artikel unter dem Titel »Strategiewechsel von Unidas Podemos in der Regierung: Konsens statt Bruch« in der Zeitschrift Luxemburg aus. Allerdings bezieht sich der Autor ansonsten eher positiv auf die Wandlungen von Podemos. Er beschreibt, die Koalitionsregierung habe »anfangs soziale Schutzmaßnahmen stark vorangetrieben, in den letzten Wochen hat sich ihre Strategie jedoch geändert. Nun setzt sie auf einen großen Konsens von gemäßigter Natur. Die kürzlich im Abgeordnetenhaus eingesetzte Wiederaufbaukommission soll einen parteienübergreifenden landesweiten Pakt erzielen, um der bevorstehenden wirtschaftlichen und sozialen Krise begegnen zu können.« In Bezug auf den von Podemos lange geforderten Bruch mit dem aus der Franco-Diktatur 1978 hervorgegangenen spanischen Regime schreibt Díaz: »Heute ist Unidas Podemos so weit gereift, dass sie die Forderung nach dem Bruch mit dem ›Regime von 1978‹ aufgeben kann, die vor neun Jahren von der Protestbewegung 15-M ausging, die ihrerseits die Geburtsstunde von Podemos bildet und gleichzeitig die Vereinigte Linke (IU) zu einer kämpferischeren Haltung gegenüber der sozialistischen Partei PSOE bewog. Jetzt ist es Zeit für einen Konsens, und Unidas Podemos wird alles tun, was in ihrer Macht steht, damit dieser Wiederaufbaupakt zustande kommt.« 

Podemos Unidas dränge in der Regierung auf eine Reichensteuer, auf eine verfassungsmäßige Verankerung des öffentlichen Gesundheitswesens und »eine Neugestaltung des Wirtschaftsmodells hin zu einer Reindustrialisierung des Staates – gegen den Trend der Verlagerungen ins Ausland in den letzten Jahrzehnten«. Die Regierungskoalition setze »auf die Bedeutung der Europäischen Union […] im Gegensatz zu politischen Alternativen, die einen ausgrenzenden Nationalismus starkmachen.«  

Anticapitalistas verlassen Podemos wegen deren Eintritt in die PSOE-geführte Regierung

Interview mit Miguel Urbán Crespo

Miguel ist Mitglied der Anticapitalistas im Staat Spanien und Abgeordneter im Europäischen Parlament

Anticapitalistas, eine der Gruppen, die Podemos mit gegründet haben, hat Podemos wegen deren Regierungsbeteiligung verlassen. Innerhalb der Anticapitalistas stimmten 89 Prozent für den Austritt aus Podemos, 3 Prozent dagegen. 

Pablo Alderete sprach für Lernen im Kampf mit Miguel Urbán Crespo, Mitglied der Anticapitalistas im Staat Spanien und Abgeordneter im Europäischen Parlament über diese Entwicklungen. 

Wie erlebst Du die aktuelle Corona-Virus-Krise?

Zunächst einmal sind wir besorgt über die Zustände im Gesundheitswesen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Staat Spanien einer der am stärksten von der Pandemie betroffenen Staaten ist.

Darüber Hinaus versuchen wir, uns auf die Wirtschaftskrise vorzubereiten, die sicherlich nun kommt. Wir werden die gesundheitlichen Aspekte der Krise überwinden. Die entscheidende Frage ist, wie. Es geht darum, ob wir in eine neue soziale Krise eintreten, die diejenigen von uns bezahlen müssen, die am unteren Rand der Gesellschaft stehen. Die derzeitigen neoliberalen und autoritären Maßnahmen alarmieren uns, die einige Kräfte aus der Politik und aus dem Finanzsektor durchsetzen wollen, um die »Schockdoktrin« der Pandemie auszunutzen.

Ministerpräsident Pedro Sanchez hat eine kritische Haltung gegenüber Deutschland und den Niederlanden eingenommen und um europäische Hilfe für die südeuropäischen Länder gebeten. Wie siehst Du die aktuelle Politik der Regierung Sanchez?

Zunächst müssen wir die Analyse der aktuellen Situation von der strukturellen Analyse trennen. Beim konkreten Management der Krise leistet die Regierung sicherlich teilweise gute Arbeit, teilweise  leistet sie sich Fehler. Strukturell erklären die Kürzungen und Privatisierungen im öffentlichen Gesundheitssystem und andere unsoziale wirtschaftliche Maßnahmen  einige der gegenwärtigen Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Krise. Dafür war PSOE insgesamt über die letzten Jahrzehnte hinweg mitverantwortlich.

Für den Staatsapparat ist PSOE unter den großen Parteien die beste Vertreterin. Wir können daher nicht erwarten, dass PSOE etwas gegen die Interessen der Mächtigen des Landes unternimmt. Eine andere Sache ist die Propaganda, die wir bereits über die angeblichen »fortschrittlichen« Maßnahmen während der Krise sehen. Aber wenn wir ins Detail gehen, sehen wir, dass weder das Verbot von Entlassungen noch die Maßnahmen zur Sicherung von Wohnraum die unteren Klassen erreichen.

Und auch auf europäischer Ebene können wir nicht erwarten, dass sich die spanische Regierung mit den wirklichen Mächten der EU anlegt. Die Wirtschaftsministerin Nadia Calviño, bis vor kurzem eine Technokratin der Europäischen Kommission, hat die anfängliche Zusammenarbeit mit Italien bereits aufgegeben, um ihre Positionen denen der Troika (einem Gremium aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds) anzugleichen. In Spanien findet jedenfalls eine falsche Debatte statt, bei der die Eurobonds (»Coronabonds«) als Allheilmittel gegenüber dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) dargestellt werden, da beide kurz- oder mittelfristig zu neuen neoliberalen Kürzungen führen.

Eure ehemaligen Verbündeten, Podemos, beteiligen sich an der Regierung. Wie seht Ihr das aktuelle Vorgehen von Podemos in der Regierung?

Sie sind total eingeschränkt durch  ihre untergeordnete Position. Sie haben praktisch null Gewicht im Krisenkabinett, das den »Alarmzustand« im Staat Spanien verwaltet. [Der Alarmzustand ist die unterste von drei Stufen eines Ausnahmezustands und gibt der Regierung Vollmachten, die sie sonst nicht hätte.] Und Podemos steht unter großem Druck der finanziellen, medialen und politischen Mächte, die sie niemals in der Regierung haben wollten.

In Spanien haben wir ein historisches und ein strukturelles Problem: Die politische Rechte hat keine demokratische Tradition. Die Rechte ist direkter Erbe der Franco-Diktatur. Sie besteht darauf, alle Hebel der konstituierten Macht zu kontrollieren, und sie verwendet alle Mittel, um sie wieder zu erlangen.

Die Linke außerhalb der gegenwärtigen Koalitionsregierung muss eine Gratwanderung unternehmen, um eine für die Linke nützliche Kritik vorzubringen, ohne jedoch den Wahlinteressen der radikaleren Rechten in die Hände zu spielen.

Ihr habt Podemos kürzlich verlassen. Warum?

Im Laufe der Zeit haben sich tief greifende Meinungsverschiedenheiten aufgetan, vor allem bei zentralen strategischen Fragen. Wir Anticapitalistas haben die Schaffung von Podemos im Jahr 2014 unterstützt als ein Instrument zur Beseitigung des spanischen Zwei-Parteien-Systems und der übrigen Säulen des sogenannten »78-Regimes« [des politischen und institutionellen Regimes, das nach dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie 1978 entstanden ist]. Allmählich wurden jedoch grundlegende, programmatische Elemente aufgegeben, wie die Nicht-Bezahlung illegitimer Schulden oder die Verstaatlichung strategischer Bereiche der Wirtschaft, während ein größerer Fokus darauf gelegt wurde mit derselben sozialistischen Partei zu regieren, die wir vor nur wenigen Jahren als Teil des Problems identifiziert hatten.

Die Linke muss Wurzeln schlagen, um nicht schnell zu verwelken, sobald die ersten Erfolge Blüten treiben

Der entscheidende Grund war die Entscheidung der Podemos-Führung, als untergeordneter Partner in eine Koalitionsregierung mit PSOE einzutreten. Dies schafft zwei zentrale strategische Probleme:

Das erste ist, dass das die Idee, PSOE sei ein »Akteur des Wandels«, für einen guten Teil der Gesellschaft wiederbelebt, der mit PSOEs historischen Monopol auf der Linken gebrochen hatte und es mit radikaleren Optionen wie Podemos austestete.

Das zweite ist, dass es der Rechten insgesamt das Monopol lässt, die Opposition gegen die Regierung zu sein und die Früchte der Unzufriedenheit zu ernten, die eine Regierung erzeugt, die weiterhin neoliberal sein wird, weil das Gewicht von PSOE in den Schlüsselministerien offensichtlich und völlig asymmetrisch ist.

Wir Anticapitalistas hielten es für nützlicher und klüger, die Formierung einer PSOE-Allein-Regierung zu unterstützen, nicht in die Regierung einzutreten, sie mit einer Minderheit regieren zu lassen und selbst parlamentarische und soziale Opposition von außerhalb der Regierung zu betreiben.

Über die Differenzen über einen solchen Ansatz hinaus versuchen wir mit unserem Abgang, einen politischen und sozialen Pol links von der Regierung aufzubauen, der einen Teil der sozialen Unruhe aufgreift. Damit wollen wir verhindern, dass sich diese nur in Enthaltungen, nur hin zur Rechten oder nur in der Mäßigung dieser Teile der Gesellschaft ausdrückt.

Glücklicherweise wurde diese Trennung von Podemos jedenfalls mit einer gewissen Großzügigkeit und Solidarität durchgeführt, wobei gemeinsame Arbeitsfelder auch auf institutionellen Positionen beibehalten wurden, und der Blick darauf gerichtet war, auch in Zukunft weiter zusammenarbeiten zu können.

Gab es keine Aussicht mehr, Mehrheiten für Eure Positionen zu gewinnen? Eventuell auch im Rahmen einer zukünftigen kritischen Diskussion in Podemos über die Koalitionsregierung? Wäre es nicht eine praktikable Option gewesen, zukünftige antikapitalistische Mehrheiten in Podemos zu organisieren und vorzubereiten?

Diese Option war schon vor langer Zeit ausgeschöpft. Darüber hinaus hat sich Podemos als politische Organisation aufgestellt, die kaum Mechanismen besitzt, interne Pluralität zu kultivieren oder demokratische Diskussionen voran zu bringen, wenn es Differenzen gibt.

Aus der Ferne schien Podemos eine Online-Organisation zu sein, in der ein harter Kern Politik ohne eine echte und aktive Basis und ohne internes Parteileben betrieb. Wie gesagt, aus der Ferne. Was war denn Eure Erfahrung?

Das ist etwas vereinfachend. Aber manchmal erlaubt ein größerer Abstand auch, die großen Zusammenhänge zu sehen, ohne dass man sich im Detail verliert. Denn da ist auch sehr viel Wahres dran.

Vom ersten Moment an wurde beschlossen, alle Bemühungen auf die Wahlen und die Medien zu konzentrieren. Andere grundlegende Aspekte einer politischen Organisation, wie ihre Verankerung vor Ort und in den konkreten Kämpfen, der Aufbau einer Basis oder die Ausbildung von Aktivist*innen wurden zur Seite geschoben oder komplett vernachlässigt.

Unser Problem war es nie, dass so viel Mühe in die Wahlen oder in die Medien gesteckt wurde, denn zum Teil beruhte die Hoffnung, auf die wir bei der Gründung von Podemos gesetzt hatten, darauf, solche Instrumente zu testen. Aber das Problem war die Weigerung, eine Organisation mit Verankerung vor Ort und in konkreten Kämpfen aufzubauen. Es gab immer eine Dringlichkeit, die andere Prioritäten rechtfertigte, und diese Prioritäten waren immer dieselben: Wahlkämpfe, losgelöst von allem anderen, und getrieben von einer »Wahlkampfmaschine«, die keine interne politische Diskussion erlaubte, die nicht darin bestand, die Madrider Führung zu unterstützen.

Wie positioniert Ihr Euch in Bezug auf Katalonien? Teilt Ihr die Herangehensweise von Podemos?

Katalonien ist einer der Bereiche, in denen wir die größten Unterschiede zu den Positionen von Podemos hatten. Wir  Anticapitalistas verteidigen das Selbstbestimmungsrecht der staatenlosen Völker und begrüßen die Fortschritte die das katalanische Volkes mit friedlichem Kampf erreichen konnte.

Podemos ist jedoch sehr weit von diesen Positionen entfernt: Erstens aufgrund des Korsetts ihrer (früheren) Positionierung und ihrer (gegenwärtigen) Regierungsposition; zweitens, weil ihre Führung eine jakobinische Auffassung von Staat und Politik teilt, die Selbstbestimmung und eine mögliche Unabhängigkeit Kataloniens als demokratische Möglichkeit leugnet.

Wie geht Eure Arbeit nun weiter? In welchen Regionen seid Ihr stark? Was habt Ihr Euch vorgenommen?

Unsere Priorität ist es jetzt, bescheiden aber entschlossen zum Wiederaufbau eines radikalen, massiven, populären und demokratischen Raums von links beizutragen, sowohl politisch als auch sozial, und unsere Bemühungen auf die Aspekte zu konzentrieren, die Podemos aufgegeben hat (und wir mit ihnen als wir uns auf das gemeinsame Projekt fokussierten): Verankerung vor Ort, Teilnahme an sozialen Kämpfen, Aufbau einer kämpferischen Organisation, Errichtung von lebendigen Gemeinschaften. Ohne diese Elemente kann man schnell in eine Regierung eintreten, aber man wird nicht lange drin bleiben. Die Linke muss Wurzeln schlagen, um nicht schnell zu verwelken, sobald die ersten Erfolge Blüten treiben.