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Ende der Corbyn-Bewegung: Konterrevolution in Labour und der kommende Sturm

Von John McInally

John McInally ist ein langjähriger Aktivist und ehemaliges Mitglied im Vorstand der PCS, einer britischen Gewerkschaft im öffentlichen Dienst mit einer linken und klassenkämpferischen jüngeren Geschichte. Dieser Beitrag zur Debatte um die Schlussfolgerungen aus der Corbyn-Bewegung wurde zuerst am 20. August auf Counterfire.org veröffentlicht. 

Corbyns Niederlage und die klare Absicht des neuen Labour-Führers Keir Starmer, den Sozialismus aus der Partei auszumerzen, haben viele Sozialisten*innen demoralisiert. Aber Fatalismus und Pessimismus sind fehl am Platz. In Großbritannien und international entwickeln sich bedeutende Veränderungen. Die kommende Periode wird eine von kontinuierlichen, sich vertiefenden und irreversiblen Krisen sein. Kapitalistische Strategen taumeln nach der dreifachen Krise von Covid-19, dem Ausbruch sozialer Bewegungen wie Black Lives Matter und dem verheerenden wirtschaftlichen Zusammenbruch. Solche Krisen werden zur Norm und sind nicht länger Ausnahmen. Sie entfalten sich nicht nur über einen langen Zeitraum, sondern in den kommenden Monaten und Jahren.

Für Beschäftigte wird immer deutlicher, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die großen Probleme der Menschheit zu lösen, und Millionen suchen bereits nach Auswegen aus Ausbeutung, Chaos und Gewalt, die in ihm verankert sind. Massive Kräfte werden freigesetzt, wenn die Arbeiterklasse anfängt, sich zu wehren. Der rechte Reformismus, den Labours „neues Management“ anbietet, hat keine Lösungen.

Kampagne zur Zerstörung von Corbyn

Das Wahlprogramm von Labour stellte an sich keine grundlegende Herausforderung des Kapitalismus dar, sondern legte offen, was jahrzehntelange Kürzungen und Privatisierungen in der Gesellschaft angerichtet hatten, und präsentierte eine Vision einer sozialistischen Alternative. Die tiefe Angst des Establishments vor sozialistischen Ideen erklärt die böswillige Skrupellosigkeit der Anti-Corbyn-Kampagne, aber das zeigte sowohl die Schwächen als auch die Stärken des Establishments auf.

Als Corbyn Labour-Führer wurde, setzen sich die Kräfte der Reaktion in Bewegung, angeführt von Presse und Medien, wobei die BBC und der liberale Guardian die bösartigsten waren. Die BBC ist die raffinierteste staatliche Propaganda auf dem Planeten und verdient den Neid jedes Diktators auf dem Planeten. Selbst nach Corbyns Rücktritt geht ihre Kampagne weiter. Die Klage des BBC-”Journalisten” gegen Corbyn und die Forderung der Blair-Unterstützer*innen, Corbyn auszuschließen aus Labour, senden eine klare Botschaft an alle Sozialist*innen: Wagt es uns herauszufordern und wir werden Euch verfolgen und zerstören.

Wählbarkeit von Starmer und Labour

Starmers Strategie für Wahlerfolge ist es, Labour als “patriotische” Partei zu präsentieren. Jede seiner Äußerungen ist darauf ausgerichtet, dem Establishment zu versichern, dass er ihr Mann ist. Unter ihm wird Labour niemals eine wirksame Opposition gegen die Tories sein, geschweige denn eine radikale Alternative. Sein Credo [in der Covid-19-Krise] „Jetzt ist nicht die Zeit für Parteipolitik“ und „konstruktive Opposition“ ist parlamentarischer Schwachsinn. Die Tories sind für Zehntausende vermeidbarer Covid-19-Todesfälle verantwortlich und leiten korrupt Milliarden Pfund an outgesourcte Unternehmen weiter, die Verwandten und Freunden gehören. Das Versäumnis von Starmer, dies aufzudecken und in Frage zu stellen, erklärt, warum Labour in Meinungsumfragen bis zu zehn Punkte Rückstand hat. Die Aussichten auf einen Anstieg der Unterstützung für Labour sind düster.

Die Rote Mauer und Schottland

[Als Labours “rote Mauer” wurde Wahlbezirke in den Midlands, in Yorkshire und Nordengland bezeichnet, die historisch von Labour kontrolliert worden waren und als uneinnehmbare Bastion galten – der Übersetzer.]

Die Wirkung der Anti-Corbyn-Propaganda war ein Faktor, aber nicht der Hauptgrund für den Fall der sogenannten roten Mauer, Starmers Strategie für “remain”, für einen Verbleib in der EU, war die Hauptursache. Indem die Blair-Unterstützer*innen die Anhänger des Brexit in diesen Gebieten als dumme Rassisten abtaten, drückten sie ihre allgemeine völlige Verachtung für die Arbeiterklasse aus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Labour diese Sitze zurückgewinnen kann, aber die negative Wahrnehmung von Labour, die die Blair-Unterstützer*innen geschaffen haben, wird sich als bedeutendes Hindernis dafür erweisen.

Labour hat Schottland verloren. Dies ist aller Wahrscheinlichkeit nach irreversibel. Starmer ist ein eingefleischter britischer Nationalist und Chauvinist, und seine kompromisslose Unionistische Haltung [für die Einheit der Union Großbritanniens] zeigt, dass er und Labours schottische Anführer*innen in ihrer Unfähigkeit, die Stimmung wahrzunehmen, die zugrunde liegenden Klassendynamik für die Forderung nach Unabhängigkeit nicht verstehen. Sie sind überhaupt nicht in der Lage, die nationale Frage in Schottland anzusprechen. Sie glauben fälschlicherweise, dass Labour die Kraft sein kann, um die sich der Unionismus, das Lager für die Einheit Großbritanniens, zusammenschließen kann, aber sie stehen vor einem großen Schock. Unionistische Kräfte werden sich mit ziemlicher Sicherheit um die Tories scharen, die rücksichtslos an reaktionäre sektiererische Elemente in der schottischen Gesellschaft appellieren, die Labour verlassen und keine Strategie haben außer einer offene Klassenzusammenarbeit mit dem britischen Establishment. Genau diese Dynamik war beim Unabhängigkeitsreferendum 2014 am Werk und hat Labour versenkt.

Imperialismus, Rassismus und Antisemitismus

Starmer ist ganz den Kräften der Reaktion verpflichtet, die das britische Establishment zusammenhalten. Er unterstützt die Polizei und die Sicherheitsdienste bedingungslos. Ex-MI6-Chef Dearloves öffentliche Unterstützung für ihn und seine idiotische Rhetorik des Kalten Krieges gegenüber Russland und China – während er über die Spenden russischer Oligarchen an die Tories schweigt – spricht Bände. Er wird versuchen, Labour als loyale Anhänger des amerikanischen und westlichen Imperialismus neu zu positionieren.

Als offener Befürworter des rechtszionistischen Nationalismus sind seine leeren Worte für niemanden überzeugend, mit denen er sich von den ungeheuerlicheren Aktionen und Gräueltaten des israelischen Apartheidstaates distanzieren will. Die Opposition gegen Israels Besatzung wächst im Westen und der Versuch, Labour als weitgehend unkritische Unterstützerin Israels neu zu positionieren, bringt ihn auf die falsche Seite der Labour-Mitglieder und der Geschichte.

Starmer spielte eine bedeutende Rolle dabei, den Vorwurf des Antisemitismus für fraktionelle und politische Vorteile als Waffe zu nutzen. Nun sieht er sich jedoch mit Realität konfrontiert, dass diese „Strategie“ sich in das Gegenteil verwandelt und wie ein Mühlstein um seinen Hals hängt. Nachdem die Blair-Unterstützer*innen die Kontrolle über ihre eigene monströse Schöpfung verloren haben, wird das schockierende Verhalten der Blair-Unterstützer*innen zunehmend entlarvt und kein politischer Spin, keine Lügen und Verbote oder Vertuschungen werden verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

Starmers Beschreibung der Black Lives Matter-Bewegung als „Moment“ [er sprach von einem “Moment” im Gegensatz zu einem “movement”, einer Bewegung – der Übersetzer] war kein Versprecher, der durch Training zur Überwindung unbewusster Vorurteile beseitigt werden könnte. Es zeigte sich, dass er den Kampf gegen den institutionalisierten Rassismus weder versteht noch unterstützt. Sein Schweigen über Enthüllungen im an die Öffentlichkeit durchgesickerten Labour-Bericht über den demütigenden und ekelhaften rassistischen Dreck, der auf schwarze Abgeordnete wie [die linke Repräsentantin] Diane Abbott geworfen wird, ist verabscheuungswürdig. Feige Behauptungen, diese Kommentare seien „aus dem Zusammenhang gerissen“ worden, überzeugen niemanden, und all dies könnte erhebliche negative Folgen für Labour bei den Wahlen haben. 

Lerne die Lektionen: keine „Einheit“ mit Blair-Unterstützer*innen

Die Konterrevolution von Starmer ist noch lange nicht abgeschlossen, und der Erfolg ist keineswegs garantiert. Vorzeitige Todesanzeigen für die Labour-Linke gehen davon aus, dass die künftige Ausrichtung der Partei bereits geklärt sei. Dies ist jedoch nicht der Fall. In einer Zeit von Instabilität wird die Zukunft der Partei durch den Kampf lebendiger Kräfte bestimmt, in der die Suche nach sozialistischen Alternativen zunehmen und potenziell bedeutende Auswirkungen auf die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung haben wird. Der Blair-ismus hat keine nachhaltige Zukunft. Seine einzige wirkliche Rolle besteht jetzt darin, seinen Unterstützer*innen aus dem Big Business bei der Säuberung der Labour Party von jeglichen Spuren des Sozialismus zu dienen.

Ironischerweise sind sich Blair-Unterstützer*innen bewusster als viele Sozialist*innen über die wichtige Lehre des Corbynismus, dass Labour zur Transformation fähig ist, aber nur, wenn die Linken ihre Ziele mit der gleichen Rücksichtslosigkeit verfolgt, die sie selbst gezeigt haben. Der rechte Flügel muss sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei entschlossen bekämpft werden. Wenn sie Einheit fordern und sagen, dass „die Tories der wahre Feind sind“, dann sollten sie daran erinnert werden, dass sie, als Corbyn um Einheit bat, antworteten: „Nein, die Tories sind nicht der Hauptfeind – Du bist es!“

Während es wahr ist, dass [Premierminister Boris] Johnson [im Parlament] eine Mehrheit von achtzig Sitzen hat und die Blair-Unterstützer*innen jetzt Labour „führen“, wäre es falsch einfach nur “die etablierten Fakten anzubeten” und zu glauben, das wäre in Stein gemeißelt. Diese kleptomane Tory-Regierung könnte durch ein weiteres katastrophales Management der Pandemie und der sich entwickelnden Wirtschaftskrise implodieren. Sie könnten sogar durch Massenopposition der Gewerkschaften und aufkommender sozialer Bewegungen zu größeren Zugeständnissen gezwungen werden.

Anfänge der Gegenwehr

Die Konterrevolution innerhalb von Labour wird mit kompromissloser Rücksichtslosigkeit durchgeführt. Die Linke muss daraus lernen, sie kann es sich nicht leisten, vergangene Fehler zu wiederholen. Eine „Einheit“ mit den Blair-Unterstützer*innen ist eine Fantasie und führte dazu, dass eine “open selection”, eine offene Abstimmung [über die Labour-Kandidat*innen in Wahlkreisen, in denen bereits ein Labour-Kandidat*in gewählt wurde] wurde auf die lange Bank geschoben wurde. [Das bedeutete, dass bisherige Vertreter*innen von Labour im Parlament sich keiner parteiinternen Wahl vor ihrer Wiederwahl stellen mussten und die Parteirechte mit ihren vielen Vertreter*innen dort nicht herausgefordert worden war.] 

90 Prozent der Delegierten in den Wahlkreisen unterstützten diese demokratische Forderung, aber 90 Prozent der von den Gewerkschaften delegierten Vertreter*innen, einschließlich der von linken geführten Gewerkschaft Unite, stimmten dagegen. Das Versäumnis, eine “mandatory reselection”, eine obligatorische Neuwahl [innerhalb von Labour] für Abgeordnete durchzusetzen, verstärkte die Blair-Unterstützer*innen, die zu dem Schluss kamen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie die Partei erneut in Beschlag nehmen konnten. “Mandatory re-selection”, eine obligatorische Neuwahl, muss nun die nicht verhandelbare Position der Linken sein und ganz oben auf ihrer Tagesordnung stehen.

Die Angriffe von Starmer verursachen eine Gegenreaktion und die Wut wird sich wahrscheinlich vertiefen. […] 

Linke Gewerkschaftsführer sollten die Finanzierung von Labour zurückhalten, wenn deren Führung Hexenjagden betreibt, Streiks nicht unterstützt oder versucht, sozialistische Politik fallen zu lassen. Von gewerkschaften unterstützte Abgeordnete, die Streiks oder sozialistische Politik nicht unterstützen, sollten ihre Gewerkschaftsunterstützung automatisch verlieren. 

Die “Spenden” des Big Business, um Einfluss zu gewinnen und Interessen gegen die der Arbeiterklasse voran zu treiben wie die Privatiserungen unserer öffentlichen Dienste müssen abgeschafft werden. Die Linke muss eine kompromisslose Nachricht an die Blair-Unterstützer*innen senden. Wenn Sie uns nicht unterstützen, werden wir Sie nicht unterstützen. Und das gilt auch für Labour Stadträt*innen, die Kürzungen durchführen.

Linke Einheit und die Einheitsfront – für ein sozialistisches Programm

Spaltung und Demoralisierung sind natürliche Folgen einer Niederlage. Der Fatalismus, der besagt, dass es keinen Sinn macht, dass Sozialisten in Labour bleiben, ist verständlich, aber es ist ein strategischer Fehler. Ein solches Denken passt zu den Blair-Unterstützer*innen: Blair selbst erklärte, 300.000 müssten aus der Partei ausgeschlossen werden, um es zu retten. Die Verschiebung von Treffen aufgrund der Pandemie hat der Rechten geholfen, aber die großen Kämpfe um die Politik stehen noch bevor. Wirksamer Widerstand gegen die Abschaffung der sozialistischen Politik kann und muss aufgebaut werden. Das Verlassen der Labour Party in dieser Phase stärkt nur die Reaktionskräfte in der Partei selbst und im gesamten Establishment.

Der Kampf für eine sozialistische Politik innerhalb der Labour Party und Kampagnen an unseren Arbeitsplätzen, Gewerkschaften und Gemeinschaften schließen sich weder gegenseitig aus noch sind sie widersprüchlich. An der politischen Front blockiert, werden sich die Arbeiter zunehmend an ihre Gewerkschaften und breitere soziale Bewegungen wenden. Die Arbeit wird nicht vor den Auswirkungen dieser Bewegungen geschützt. Für die Sozialisten besteht die Hauptaufgabe darin, die Linke innerhalb oder außerhalb der Labour Party zu vereinen und eine einheitliche Front für ein sozialistisches Programm aufzubauen, das die Anliegen der Arbeiter in den Mittelpunkt stellt, um die Tories herauszufordern und zu besiegen.

Um ihre historische Aufgabe zu erfüllen, eine wirksame sozialistische Opposition gegen die Rechte der Tories und Labour aufzubauen, muss die Linke einen disziplinierten Ansatz verfolgen, der Sektierertum, Prestigepolitik und die Erhebung von Teilinteressen gegenüber der der breiteren Bewegung und Koordination, die der von Sories entspricht, ablehnt unsere Klassenfeinde. Das sektiererische Eigeninteresse könnte dazu führen, dass mehrere linke Kandidaten bei den bevorstehenden Gewerkschaftswahlen stehen und die Rechten durch die Mitte kommen. Dies wäre ein selbstgefälliger Verrat an jedem Arbeiter im Land. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um einen Kandidaten für diese Wahlen mit den Kriterien eines festen Bekenntnisses zu einem sozialistischen Programm und einer festen Opposition gegen die Blair-Unterstützer*innen zu haben.

Es gibt ein klares Problem, das die gesamte Bewegung zur Verteidigung unseres Nationalen Gesundheitsdienstes vereinen kann und muss. Das mutmaßliche US-Handelsabkommen wird zur vollständigen Privatisierung des NHS führen und muss von jeder Gewerkschaft im Land abgelehnt werden, nicht nur von denjenigen, die Gesundheitspersonal vertreten. Zu lange sind die Kürzungen und Privatisierungsprogramme aufeinanderfolgender Regierungen ohne ernsthafte Herausforderung weitergegangen. Das Versäumnis, diesen Deal zu vereiteln, würde eine historische Niederlage für die Arbeiterklasse bedeuten, eine Katastrophe für die öffentliche Gesundheit für kommende Generationen. Sich dem zu widersetzen bedeutet, für Massen koordinierte Arbeitskampfmaßnahmen aufzubauen, einschließlich möglicherweise eines Generalstreiks.

Der Corbynismus hat bewiesen, dass die Labour Party transformiert werden kann, aber nur wenn die Linke die halben Maßnahmen zur Bekämpfung der Kräfte des Blairismus und der Labour-Bürokratie versteht, wird dies nicht ausreichen und nur zu weiteren Niederlagen führen. Die vor uns liegenden Herausforderungen sind immens, aber auch die Chancen, dass Millionen für sozialistische Ideen gewonnen werden können – die Zukunft gehört uns, nicht den Blair-Unterstützer*innen.

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