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Wem gehört Berlin? Mieterbewegung wächst – Unternehmer rasten aus

Die neueste Strategie der Immobilienlobby gegen den Mietendeckel und das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen ist, Vermieter durch die Öffentlichkeit zu schleifen, deren Altersarmut laut eigener Aussage unabwendbar wird, wenn sie nicht mehr 15 Euro Miete pro Quadratmeter kassieren können. Das Thema Mieten und Wohnen ist kein neues in Berlin. Debatten über Clan-Kriminalität oder Drogenhandel treten zwar immer wieder temporär in den Vordergrund, die Frage, wie die Berlinerinnen und Berliner in Zukunft ihre Mieten bezahlen werden können, war, ist, und bleibt jedoch das vorherrschende Thema in der öffentlichen Debatte.

von Michael Prütz in Zusammenarbeit mit Mascha Bartsch

Berlin ist eine Mieterstadt: 82 Prozent der Berlinerinnen und Berliner wohnen zur Miete, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Seit 2013 überschreiten die Mietsteigerungen jedes Maß des Erträglichen und setzen Mieterinnen und Mieter unter immensen Druck. In den letzten fünf Jahren sind die Bestandsmieten um 50 Prozent gestiegen, Angebotsmieten im Innenstadtring (für ungefähr 1,5 Millionen Einwohner) in den letzten zehn Jahren gar um 120 Prozent.

Renditegetriebene Konzerne versuchen genauso wie kleinere Vermieter durch Modernisierungen Menschen aus ihren Wohnung zu treiben, die dann teuer weitervermietet werden können. Auch im Gewerbebereich treffen die Mietsteigerungen kleinere Ladenbesitzer und Gewerbetreibende. So muss zum Beispiel Zekiye Tunc, Späti-Besitzerin seit über 20 Jahren, ihren Laden in der Oranienstraße räumen, weil sie die Verdopplung der Miete nicht tragen kann.

Als Antwort auf die Profitgier der Immobilienunternehmen und Vermieter haben sich in den letzten Jahren hunderte von Mieterinitiativen gegründet, die um Häuser und Wohnungen kämpfen und Widerstand gegen die Mieterhöhungsoffensive leisten. Die genaue Zahl dieser Initiativen lässt sich nicht beziffern. Täglich gründen sich neue, alte zerfallen, wenn sie ihr Ziel erreicht haben.

Riesige Resonanz für Enteignung

Am 6. April nahmen über 40.000 Menschen an einer Großdemonstration der Mieterinnen und Mieter teil. Der Protest geht inzwischen weit über die traditionelle linke Klientel hinaus – in den Hochhaussiedlungen der Berliner Vororte entwickelt sich der Protest zwar manchmal mithilfe von linken Aktivisten, im Großen und Ganzen sind die treibenden Kräfte dort allerdings »ganz normale« Bürgerinnen und Bürger.

Welche grundsätzliche Antwort kann es auf die Frage geben, wie man Immobilienspekulation und Mietwucher begegnet? Wem gehört Berlin? Können wir zulassen, dass renditegetrieben Aktiengesellschaften aus Wohnungen begehbare Aktiendepots machen? Aus diesen Diskussionen entstand das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen, das, entgegen jeder Erwartung, eine riesige Resonanz in Medien und Bevölkerung fand.

Volksbegehren in Berlin sind dreistufige Verfahren. In der ersten Stufe müssen innerhalb von sechs Monaten 20.000 Unterschriften gesammelt werden. Deutsche Wohnen & Co enteignen sammelte innerhalb von neun Wochen 77.000 Unterschriften. Schlagartig landete die Frage der Enteignung, die seit 1949 nicht mal in der radikalen Linken eine besondere Rolle spielte, auf der politischen Agenda und die politischen Parteien in Berlin waren und sind gezwungen, sich zu positionieren.

Während die Linkspartei und die Grünen das Vorhaben massiv unterstützen, hat die Sozialdemokratie die Forderung auf ihrem kürzlich abgehaltenen Parteitag mit 60 zu 40 Prozent abgelehnt. Die Linkspartei hat neben der Unterstützung auch eine organisierende Tätigkeit im Sammeln von Unterschriften aufgenommen und trug damit maßgeblich zum bisherigen Erfolg bei.

Mietendeckel

Nach langem Hin und Her verabschiedeten die drei Berliner Regierungsparteien im Oktober 2019 einen Gesetzesentwurf zum Mietendeckel, der noch durch das Landesparlament gebracht werden muss. Dieser Gesetzesentwurf ist ein historischer Sieg der Berliner Mieterbewegung und des Volksbegehrens. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten scheint eine Umverteilung von oben nach unten möglich, was einen Bruch mit dem neoliberalen Dogma der Umverteilung von unten nach oben bedeutet.

Neben dem Mietenstopp sieht der Gesetzesentwurf auch reale Absenkungen überhöhter Mieten vor. Bei Neuvermietungen müssen die Mieten auf im Gesetzesentwurf vorgeschriebene Kategorien abgesenkt werden.

Der Mietendeckel, gedacht als Antwort der SPD auf die Enteignungsdebatte und als Bollwerk gegen das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen, hat dem Volksbegehren nach neuesten Umfragezahlen keine Einbußen bereitet. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Gegner des Mietendeckels und der Enteignung – die Immobilienlobby und ihre politischen Vertreter in CDU und FDP – eine Kampagne entfesselt haben, um den Mietendeckel in Verbindung mit der ehemaligen DDR und der Lage in Venezuela zu bringen.

Gewöhnlicherweise tragen Unternehmerverbände ihre Bedenken zu Gesetzesentwürfen in gesetzten Worten vor. Doch von vornehmer Zurückhaltung kann inzwischen keine Rede mehr sein. Die Polemik der Unternehmer kennt keine Grenzen mehr: Allein in den letzten sechs Monaten haben sie vier Bürgerinitiativen gegründet und mit Millionen Euro ausgestattet, um die Berliner Bevölkerung zu beeinflussen. Der Kampf um die Sicherung privater Profite und die einhergehende Lobbyarbeit ist in vollem Gang.

Regierungsbeteiligung der LINKEN

Man muss es deutlich sagen: Die Linkspartei, deren Regierungsbeteiligung in den Jahren 2002 bis 2011 katastrophale Folgen für Bürgerinnen und Bürger hatte, hat sich eindeutig, klar und selbstkritisch auf die Seite der Mieterinnen und Mieter geschlagen. Zum ersten Mal scheint sich die These, dass eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei zum Niedergang derselben führt, nicht zu bestätigen. Die Frage der Regierungsbeteiligung muss unter diesen Umständen neu gewichtet und diskutiert werden.

Michael Prütz ist Mitinitiator des Volksbegehrens Deutsche Wohnen & Co. enteignen.

Der Artikel ist Teil der Dezember-Ausgabe des Magazins »Lernen im Kampf«, das hier bestellt werden kann.