Die heute existierende Trennung zwischen Frauen- und Arbeiter*innenbewegung muss überwunden werden
von Lilly Schön
Am 8. März hat es weltweit wieder riesige Demonstrationen gegeben, allen voran im Spanischen Staat, wo sechs Millionen Menschen auf die Straße gingen. Besonders beeindruckend: Die spanische Frauenbewegung konnte die Gewerkschaftszentralen dazu zwingen, den 8. März zu einem wirklichen Streiktag zu machen. Auch in Deutschland hat zum ersten Mal seit 25 Jahren ein Frauenstreik stattgefunden, und in Berlin fand die größte Frauen*kampftagsmobilisierung seit Jahrzehnten statt.
Gesellschaftliche Machtverhältnisse im Kapitalismus rücken wieder in den Vordergrund.
Noch war der Streik hierzulande eher symbolisch und konnte kaum in die Betriebe getragen werden. Eine Ausnahme sind vereinzelte Streiks im Krankenhaussektor wie bei der outgesourcten Charité-Tochter CPPZ in Berlin.
Gleichwohl ist es kein Zufall, dass die Frauenbewegung heute wieder beginnt, die Sprache und Methoden der internationalen Arbeiter*innenbewegung aufzunehmen: Streik.
Gesellschaftliche Machtverhältnisse
Nach jahrzehntelanger Vorherrschaft individualistischer Ansätze im Feminismus, die auf individuelle Lebensstile oder den Karriereaufstieg einzelner Frauen in Führungsetagen fokussiert waren, rücken gesellschaftliche Machtverhältnisse im Kapitalismus wieder in den Vordergrund. Denn die Widersprüche haben seit Ausbruch der Krise 2007/08 eine neue Brisanz erhalten. Auf der einen Seite steht die angeblich erreichte Gleichstellung und Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt. Auf der anderen Seite erleben Frauen tatsächlich die Ungleichheiten im Leben, geprägt von Prekarisierung und Gewalt.
Damit ergeben sich neue Möglichkeiten, einen sozialistischen Feminismus zu entwickeln, der die Verzahnung von Ausbeutung und Unterdrückung im Kapitalismus analysiert und den Sturz des patriarchalen und rassistischen Kapitalismus als Grundlage für die Frauenbefreiung ansieht.
Auf dem Weg dahin muss die heute existierende Trennung zwischen Frauen- und Arbeiter*innenbewegung überwunden werden. Dafür sind die Bedingungen so gut wie selten: Weltweit machen Arbeiterinnen neue Erfahrungen in der Frauenbewegung, die das Potenzial haben, die gesamte Klasse zu dynamisieren und dabei die heute noch bremsend wirkenden Bürokratien hinwegzufegen.
Das Geschlecht eint uns, die Klasse trennt uns
Im patriarchalen Kapitalismus sind Klassen- und Geschlechterverhältnisse eng miteinander verzahnt. Die Unterdrückung auf der Grundlage von Geschlecht ist in vielerlei Hinsicht funktional für das Kapital. Sie führt zur Spaltung der Lohnabhängigen und zu einer Hierarchisierung, die Frauen systematisch schlechter stellt. Reproduktionsarbeit spielt eine zentrale Rolle für das Kapital. Sie wird hauptsächlich von Frauen geleistet – vor allem unbezahlt im Rahmen der heteronormativen Familie, die so als reaktionäre Institution für das Kapital fungiert.
Gleichzeitig bedingt die Klassenposition, wie geschlechtliche Unterdrückung sich im Leben einer Frau ausdrückt. Während eine Krankenpflegerin die Abwertung weiblicher Arbeit jeden Tag aufs Neue durch Stress und schlechte Löhne erfährt, wird einer Unternehmerin zwar vielleicht nicht das gleiche zugetraut wie einem Unternehmer, sie profitiert aber genauso wie er von der billigen Arbeitskraft derjenigen (oft migrantischen) Frau, die sich um ihre Kinder kümmert oder die ihre Profite ermöglicht.
Hat sich die Linke zu sehr auf kulturelle Fragen und Fragen der Identität konzentriert und die soziale Frage vernachlässigt? So ist dieses Problem falsch formuliert.
Zugleich existiert ein entscheidender Unterschied zwischen Klassen- und Geschlechterverhältnissen: Die Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse durch die Klasse der Kapitalist*innen ist eine Folge ihrer Stellung im Produktionsprozess als (Nicht-)Besitzer*innen von Produktionsmitteln. Sie wird solange weiter bestehen, wie es die Kapitalist*innen als Klasse noch gibt. Unser Ziel muss also die Abschaffung der Kapitalist*innenklasse selbst sein.
Im Unterschied dazu kann die Unterdrückung, die auf kulturellen, rassifizierten, sexuellen oder anderen Merkmalen basiert, nicht überwunden werden, indem die unterdrückende Gruppe (Männer, Weiße, Heteros und so weiter) verschwindet, sondern indem die sozialen Hierarchien und die materiellen Bedingungen aufgehoben werden, die die Unterdrückung ermöglichen.
Somit geht es nicht um die Abschaffung aller Unterschiede, sondern im Gegenteil um die wertschätzende Anerkennung aller Formen der Vielfalt.
Dazu jedoch ist es nötig, die gesellschaftliche Grundlage der Hierarchisierung zu überwinden, die untrennbar mit dem rassistischen und patriarchalen Kapitalismus verbunden ist.
Wir Frauen, das Proletariat
Die Analyse dieser Verzahnung ist es auch, die die falsche Gegenüberstellung aufheben kann, welche in Deutschland seit einiger Zeit unter dem Stichwort »Identitäts- oder Klassenpolitik« diskutiert wird: Hat sich die Linke zu sehr auf kulturelle Fragen und Fragen der Identität konzentriert und die soziale Frage vernachlässigt? So ist dieses Problem falsch formuliert.
Ausbeutung und Unterdrückung verbinden sich in spezifischen Formen, die nicht immer direkt ökonomisch sind, aber dennoch einen Klassencharakter tragen.
Wie die argentinische sozialistische Feministin Andrea D’Atri in ihrem Buch »Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus« betont, verpflichtet uns dies einerseits, den Kampf gegen den Kapitalismus aufzunehmen, um diese materielle Basis zu beseitigen – in Abgrenzung zu einem zahnlosen Feminismus, der die Unterdrückung auf kulturelle Fragen reduziert, ohne deren Grundlage in der herrschenden Ordnung zu suchen. Dies enthebt uns andererseits aber keineswegs der Notwendigkeit, gegen die spezifische Unterdrückung von Frauen auch auf ideologischem und rechtlichem Gebiet zu kämpfen – in Abgrenzung zu all jenen, die die Kämpfe von Frauen gegen Unterdrückung per se als zweitrangig und ablenkend abstempeln.
Gerade in Zeiten, in denen die weltweite Arbeiter*innenklasse so weiblich ist wie nie zuvor und wichtige Kampferfahrungen sammelt, kommt den Frauen in ihren Reihen eine besondere Bedeutung zu.
Gleiches gilt auch für alle Kämpfe von Migrant*innen und Nicht-Weißen – ein sozialistischer Feminismus muss immer antirassistisch und internationalistisch sein.
Alles andere würde die wichtige Tatsache übersehen, dass ein großer Teil unserer Klasse aus Frauen und Migrant*innen besteht und die Form ihrer Ausbeutung von der Unterdrückung, die sie tagtäglich erfahren, geprägt ist. Um geeint kämpfen zu können, müssen wir gerade diese Fragmentierungen überwinden.
Für den sozialistischen Feminismus, wie ihn Andrea D’Atri und die internationale sozialistische Frauengruppierung Brot und Rosen vertreten, ist die Arbeiter*innenklasse aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess dasjenige Subjekt, das diese enorme Aufgabe erfüllen kann – wenn sie ein gemeinsames Programm gegen Ausbeutung und gegen Unterdrückung aufstellt und damit die Unterstützung aller Unterdrückten hinter sich versammelt. Gerade in Zeiten, in denen die weltweite Arbeiter*innenklasse so weiblich ist wie nie zuvor und wichtige Kampferfahrungen sammelt, kommt den Frauen in ihren Reihen eine besondere Bedeutung zu.
Lilly Schön ist Redakteurin bei Klassegegenklasse.org und Mitglied der sozialistischen Frauengruppierung »Brot und Rosen« in Deutschland. Sie hat das gleichnamige Buch von Andrea D’Atri ins Deutsche übersetzt.
Der Artikel ist Teil der Mai-Ausgabe des Magazins „Lernen im Kampf“, das hier bestellt werden kann.
Wir freuen uns über weitere Beiträge zu den Herausforderungen und Strategien eines zeitgemäßen sozialistischen Feminismus! Bisherige Diskussionsbeiträge und Lesetipps gibt es hier: lernenimkampf.net/feminismus