Betrieb und Gewerkschaft, Debatte

Beteiligungsorientierung – Chancen nutzen und Risiken erkennen

Als ich im Jahre 1995 ein befristetes Arbeitsverhältnis bei der Mercedes-Benz AG begann, wurde ich mit ungefähr 20 neuen Kollegen – es waren tatsächlich nur Männer – direkt von der Vertragsunterzeichnung zum Betriebsrat geführt. Dort wurden wir über die Vorteile einer IG-Metall-Mitgliedschaft „aufgeklärt“. Tarifsicherheit und Rechtssicherheit wurden als die zentralen Leistungen der Gewerkschaft präsentiert. Als sich herausstellte, dass ich schon Mitglied war, klopfte mir der „Versicherungsvertreter“ wohlwollend auf die Schulter. Als Sozialist fand ich die Situation so bizarr, dass ich sie noch heute in Erinnerung habe.

von Peter Narog, Saarbrücken

In der ersten Ausgabe des Magazins „Lernen im Kampf“ haben wir einen Aufschlag zu einer Debatte um beteiligungsorientierte Gewerkschaftsarbeit gemacht. Peter Narog antwortet hier auf die Beiträge von Christoph Wälz und David Matrai.

Damals hatten die DGB-Gewerkschaften noch 9.354.670 Mitglieder (Quelle: DGB) – heute sind es noch 5.974.950 (DGB). Offenbar waren andere Rechtsschutzversicherungen billiger. Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt v.a. in den letzten zwei Jahren führte dazu, dass viele Tarifverträge unter dem Marktwert der Arbeitskraft liegen. Dies gilt in aller erster Linie für den Dienstleitungssektor. Hier ist jahrelang das alte Konzept der Gewerkschaftsführung, kurz die Muskeln spielen zu lassen indem man die Mitglieder zu Warnstreiks herausholt und dann einen Tarifvertrag abzuschließen, wegen eines mangelnden Organisationsgrades und der Versicherungsmentalität, die man ja den Mitgliedern eingeimpft hat, größtenteils verpufft. Ein „weiter so“ würde für die Gewerkschaftsführung dazu führen, dass es in absehbarer Zeit nichts mehr zu führen gibt. „Beteiligungsorientierung“ ist also eine Notwendigkeit zur Sicherung der eigenen Existenz geworden.

Dies führt dazu, dass zumindest Teile der Gewerkschaftsführung dazu übergegangen sind, linke und kämpferische KollegInnen nicht mehr auszubremsen, auszugrenzen und im Extremfall mit Gewerkschaftsausschlüssen zu bedrohen, sondern sie bis zu einem gewissen Grad gewähren zu lassen. Kämpferische KollegInnen kommen sogar in Posten im unteren Gewerkschaftsapparat, die Ihnen früher mit aller bürokratischer Macht verweigert worden wären. Nur diese KollegInnen brachten die notwendige organisatorische Erfahrung und die Glaubwürdigkeit in den Belegschaften mit, um diese wirklich einbeziehen zu können. Dies hatte positive Auswirkungen auf die Kampfkraft von einigen Belegschaften und damit auf die Durchschlagskraft gewerkschaftlicher Forderungen. Dies hatte auch positive Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein von Schichten der ArbeiterInnenklasse, die in den vorhergehenden Jahrzehnten kaum in kämpferische Erscheinung getreten waren. Die prägnantesten Beispiele sind schon in verschiedenen Artikeln ausgeführt worden.

Dieser neuen Schicht, die aus kämpferischen KollegInnen aus den Betrieben, politischen AktivistInnen verschiedener politischer Tendenzen und GewerkschaftsfunktionärInnen besteht, die im wesentlichen aus diesen beiden vorherigen Gruppen entstammen, fällt nun eine Schlüsselrolle zu. Diese haben eins gemeinsam: Für sie sind Gewerkschaften eben keine Versicherungsunternehmen, sondern Organisationen, in denen Beschäftigte sich zusammenschließen, um ihre Interessen durchzusetzen. Es geht nun darum, die Freiräume, die durch das Scheitern sozialpartnerschaftlicher Politik entstanden sind, zu nutzen, ohne sich zum Werkzeug der Gewerkschaftsführung zu machen und danach wieder abserviert zu werden.

„Beteiligungsorientierung“ bedeutet ja letztendlich, dass die einen machen und die anderen sich dann daran beteiligen. Das Wort selbst spiegelt dadurch schon die Ideologie bisheriger Gewerkschaftspolitik wieder. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass die Mitglieder, die sich beteiligen, den Drang verspüren werden, selbst Einfluss zu nehmen. Und erst dann wird es interessant. Dieser Drang muss befördert werden. Er wird sich allerdings nur in Selbstorganisation ummünzen lassen, wenn wir uns und den „beteiligten“ KollegInnen den Raum für politische Diskussionen eröffnen. Dies setzt voraus, dass nach und während der „Beteiligung“ möglichst viele KollegInnen in Strukturen aktiv bleiben, die sie entweder selbst ins Leben rufen oder die im ersten Step auch von der kämpferischen Schicht angeboten werden können. Eine solche Selbstorganisation wird die KollegInnen zwangsläufig in eine Konfrontation mit der Gewerkschaftsführung führen. Darauf müssen wir hinweisen. Diese Konfrontation wird auch die neue „beteiligungsorientierte“ Schicht auf die Probe stellen. Die einen werden aus Angst, die neuen Einflussmöglichkeiten zu verlieren, Kompromisse mit der Gewerkschaftsführung suchen und sich letztendlich in die bestehende Gewerkschaftsführung integrieren, die anderen werden mit den Belegschaften zusammen in den gemeinsam geführten Klassenauseinandersetzungen eine alternative, kämpferische und demokratische Führung aufbauen.

In allerletzter Konsequenz setzt die Ablehnung von Sozialpartnerschaft aber auch eine mehr oder weniger bewusste Ablehnung der Klassengesellschaft voraus. Wer ein System akzeptiert, in dem die einen über die anderen herrschen, muss letztendlich auch den Kompromiss zwischen diesen beiden Klassen für mehr oder weniger gut befinden. Auch die demokratische und solidarische Diskussion mit den KollegInnen über die Abschaffung des kapitalistischen Systems muss daher Teil einer erfolgreichen alternativen Gewerkschaftsarbeit sein.