Trotz erheblicher Verbesserungen für den Sozial- und Erziehungsdienst überwiegen beim Tarifabschluss der Länder die Nachteile
von Christoph Wälz, Mitglied der GEW-Bezirksleitung Berlin-Pankow
Die Tarifbewegung im Landesdienst hatte in den letzten Tagen vor der Einigung vom 2. März ganz schön an Fahrt aufgenommen. Bundesweit beteiligten sich an den Warnstreiks für Verbesserungen am Tarifvertrag der Länder (TV-L) insgesamt immerhin 100.000 der eine Millionen Tarifbeschäftigten. In Berlin mobilisierten die Gewerkschaften GEW, ver.di, IG BAU, GdP und dbb am 26. Februar 11.000 und am 27. Februar sogar 16.000 Beschäftigte.

Ich war im Bezirk Berlin-Pankow mitverantwortlich für die Mobilisierung an den allgemeinbildenden Schulen. Wir haben bei den Erzieher*innen in den Grundschulhorten eine sehr gute Streikbeteiligung verzeichnet. An vielen Schulen streikte das komplette Team der Erzieher*innen (die in Berlin nach dem TV-L bezahlt werden). Vielen war hier klar, dass es richtig um etwas geht. Denn nach der Teilaufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes im öffentlichen Dienst der Kommunen (TVöD) bestand seit 2015 eine große Gehaltslücke gegenüber dem Landesdienst. Die Kampfbereitschaft war so groß, dass wir an Berliner Grundschulen und Kitas meiner Einschätzung nach auch zum Erzwingungsstreik in der Lage gewesen wären.
Die Streikbeteiligung der Lehrkräfte war hingegen je nach Schule sehr unterschiedlich und in Berlin insgesamt nicht stark genug, als dass wir darauf eine Eskalation hätten aufbauen können. Bundesweit gibt es das Problem, dass es nur in Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen einen gewichtigen Anteil an Angestellten in den Lehrerkollegien gibt. In Sachsen hat es dabei offenbar eine gute Beteiligung gegeben.
Von guten und schlechten Kompromissen
Es war beim Stand unserer Organisierung von vorneherein klar, dass wir – selbst bei der kämpferischsten Streiktaktik – keinen Durchmarsch schaffen würden. Am Ende würde ein Kompromiss stehen. Es gilt nun zu bewerten, ob das Ergebnis ein guter oder ein schlechter Kompromiss ist. Ein guter Kompromiss ringt der Gegenseite echte Verbesserungen ab, stärkt unsere Einheit und steigert unser Selbstvertrauen für die nächste Auseinandersetzung. Das wurde mit dem jetzt vorliegenden Ergebnis insgesamt nicht erreicht:
- Die Gehälter steigen (jeweils zum 1. Januar) 2019 um durchschnittlich 3,2%, 2020 ebenfalls um 3,2% und 2021 um nur 1,4%. (Forderung: +6% auf 12 Monate Laufzeit).
- Die Laufzeit wurde – nachdem zuvor immer 24 Monate ausgehandelt worden waren – nun auf 33 Monate gestreckt.
- Im Sozial- und Erziehungsdienst soll die Entgelttabelle des TVöD ab dem 01.01.2020 übernommen und damit die Gehaltslücke geschlossen werden. Damit wurde unsere Forderung fast durchgesetzt.
- Die Pflegekräfte an den Unikliniken erhalten eine Zulage von 120 Euro (Forderung: 300 Euro).
- Die Benachteiligung von angestellten Lehrkräften vor allem an Grundschulen sollte durch die sogenannte „Paralleltabelle“ zumindest teilweise korrigiert werden. Das hätte Verbesserungen von bis zu 479 Euro gebracht (derzeitige Differenz zwischen den Entgeltgruppen 11 und 12 in der Erfahrungsstufe 6). Die Bundesländer waren jedoch nur zu einer Erhöhung der „Angleichungszulage“ von 30 auf 105 Euro bereit. Dieses Thema spielte in vielen Bundesländern, in denen die Bezahlung der Lehrkräfte an Grundschulen noch nicht an die Bezahlung an weiterführenden Schulen angepasst ist, eine große Rolle. In Berlin und einigen anderen Ländern, wo zumindest in dieser Hinsicht bereits gleiches Geld für gleichwertige Arbeit durchgesetzt wurde, bringt die erhöhte Angleichungszulage zumindest Verbesserungen für Quereinsteiger*innen an Grundschulen.
- Bei Höhergruppierungen sollen zukünftig höhere Garantiebeträge gelten. Damit wird die Forderung nach „stufengleicher Höhergruppierung“ zwar nicht erfüllt; dennoch wird es attraktiver, eine höhere Entgeltgruppe anzustreben.
- Die Höhe der Jahressonderzahlung wird bis 2022 eingefroren, steigt also nicht gemäß der allgemeinen Gehaltsentwicklung weiter an. Dies wird umgesetzt durch eine schrittweise Senkung des prozentualen Anteils, mit dem die Jahressonderzahlung vergütet wird. Das ist besonders deshalb problematisch, weil nicht garantiert werden kann, dass die Prozentsätze ab 2023 wieder auf das ursprüngliche Niveau zurückgeführt werden. Dies muss wahrscheinlich 2021 erst wieder erkämpft werden.
Viele Beschäftigte bewerten vor allem die sehr lange Laufzeit von 33 Monaten negativ. Wir wissen noch nicht, wie die wirtschaftliche Situation 2021 aussehen wird. Bei einer Erhöhung der Tabellenentgelte um nur 1,4 Prozent im Januar sind bis zum Ende der Laufzeit des Tarifvertrags im September 2021 erhebliche Reallohnverluste zu erwarten. Das wirkt demotivierend.
Die lange Laufzeit folgt dem Trend bei Bund und Kommunen (TVöD): Hier wurde 2018 auch erstmals eine Laufzeit von 30 Monaten – und damit deutlich mehr als den üblichen 24 Monaten – ausgehandelt. Mit dem Abschluss für den TV-L 2019 wird damit der übliche Abstand der Tarifkämpfe im öffentlichen Dienst wieder hergestellt. Jeder Bereich kämpft im Abstand eines Jahres für sich alleine. Eine Chance, der tariflichen Einheit des öffentlichen Dienstes, die 2006 zerstört wurde, wieder einen Schritt näher zu kommen, wurde vertan.
Kampf um Aufwertung
Zweifellos ist es ein Erfolg, dass wir einige Verbesserungen für Pflegekräfte, Lehrkräfte und im Sozial- und Erziehungsdienst durchsetzen konnten. Dabei fällt besonders der SuE-Bereich auf. Denn wann schafft man es schon mal, sich in einer Tarifauseinandersetzung mit einer Forderung (weitgehend) durchzusetzen? Es gibt mehrere Gründe dafür, dass die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) diesen deutlichen Verbesserungen von bis zu 340 Euro zumindest mit einer zeitverzögerten Wirkung zugestimmt hat:
- Bundesweit die Hälfte der SuE-Beschäftigen im Bereich des TV-L arbeitet in Berlin. Für die anderen Bundesländer hat dieser Bereich nur eine geringe Bedeutung. Berlin hat angesichts des großen Fachkräftemangels besonders in den Kitas ein Interesse daran, die Bezahlung in diesem Bereich zu verbessern.
- Der Fachkräftemangel und die nötige Aufwertung von Erziehungsarbeit werden in der Gesellschaft als große Probleme anerkannt. Im Streik gab es eine riesige Solidaritätswelle von Eltern an Kitas und Grundschulen. Bereits im April 2018 hatte die Gruppe „Kitakrise Berlin“ zu einer Demo mobilisiert, um eine schnelle Lösung für das Problem fehlender Kitaplätze zu erreichen. Seitdem haben Aktive den Druck konstant hochgehalten und Parteien und Senat immer wieder mit der Forderung nach einer Aufwertung von Erziehungsarbeit konfrontiert.
- Die Streikbeteiligung war unter Erzieher*innen am höchsten. Im Kita-Eigenbetrieb City blieben am 27.02. von den 56 Kitas 37 komplett geschlossen. An vielen Grundschulen streikten alle Erzieher*innen. Teilweise schlossen sich auch Beschäftigte freier Träger dem Streik an.
- Nach großen Hoffnungen auf eine Aufwertung hatte der Tarifabschluss 2017 viele Beschäftigte enttäuscht. Eine Zulage von 80 Euro für Erzieher*innen und von 100 Euro für Sozialpädagog*innen hatte damals erst mal nur die größte Unzufriedenheit dämpfen sollen. Die Gehaltslücke blieb bestehen. Seitdem war mächtig Druck im Kessel.
In Berlin lag nun Ende Februar eine Eskalation in diesem Bereich in der Luft. Da die meisten Bundesländer Mehrkosten hier kaum spüren, konnte die TdL Verbesserungen (ohne aus ihrer Sicht allzu großes Risiko) zustimmen.
Für die Betroffenen ist dies nicht nur finanziell ein wichtiger Schritt. Viele sehen darin auch eine längst überfällige Geste der Anerkennung und Wertschätzung für ihre wichtige Arbeit. Wenn man schon die mangelhafte Ausstattung der Schulen und die wachsende Arbeitsbelastung auf seinen Schultern trägt, dann will man nicht auch noch tariflich so viel schlechter gestellt sein als Kolleg*innen, die nur wenige Kilometer weiter in Brandenburg arbeiten.
Für die Berliner SuE-Kolleg*innen gilt: Wer am meisten gekämpft hat, hat bei diesem Tarifabschluss auch am meisten gewonnen. Es ist unwahrscheinlich, dass diese streikstarke Bastion bereit wäre, das Tarifergebnis abzulehnen und für ein besseres Ergebnis den Kampf zu eskalieren. Dazu trägt auch die überaus positive Berichterstattung über den SuE-Abschluss in den Medien bei. Sicherlich hat die TdL diese befriedende Wirkung einer Angleichung bei ihrem Angebot auch im Hinterkopf gehabt. In geringerem Maße dürfte dies auch für die Beschäftigten in der Pflege gelten.
Dennoch sind nach wie vor viele Erzieher*innen und Sozialpädagog*innen skeptisch. Denn die Redaktionsverhandlungen laufen nach der Tarifeinigung noch und viele Fragen zur Überleitung in die neue Entgelttabelle sind noch offen. Es wäre nicht das erste Mal, dass nach einem gefeierten Durchbruch der Haken erst später sichtbar wird. (Ich denke hier an die Zusage des Berliner Senats zur Höhergruppierung der Grundschullehrkräfte im August 2016, die drei Jahre später nun endlich realisiert wird.)
Wer zahlt die Rechnung?
Bei der Bewertung des Erfolgs stehen diesem die Nachteile der Tarifeinigung gegenüber; auch die Bundesländer haben so gerechnet. In einer Tarifinfo der GEW Berlin vom 07.03.2019 heißt es dazu:
„Die Tariferhöhungen und insbesondere die finanziellen Verbesserungen in bestimmten Bereichen wie dem Sozial- und Erziehungsdienst und in der Pflege wollten die Arbeitgeber ‚gegenfinanziert‘ haben. Als Teilkompensation wurde deshalb der Kompromiss gefunden, eine längere Laufzeit und das ‚Einfrieren‘ der Jahressonderzahlung zu vereinbaren.“
Konkret bedeutet das, dass die Verbesserungen für einzelne Beschäftigtengruppen zumindest zum Teil von allen Beschäftigten der Länder bezahlt werden. Dies ist nicht der Sinn einer Aufwertung! Unsere Forderungen zielten auf eine Aufwertung von SuE-Bereich, Pflege und Grundschullehramt durch zusätzliche Mittel aus den so gut wie selten gefüllten Kassen der Länder. Eine Teilkompensation durch alle Beschäftigten kann zu einer Spaltung zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen führen und zukünftige Kämpfe belasten.
Nun kann es ja sein, dass wir als Gewerkschaften nicht durchsetzungsfähig genug waren, um eine Teilkompensation zu verhindern. Für den Länderbereich ist diese Frage besonders berechtigt, da es hier seit Langem einige Schwierigkeiten gibt (der insgesamt niedrige Organisationsgrad, eine relativ niedrige Streikbeteiligung, der hohe Anteil von Beamt*innen in vielen Dienststellen, die Konkurrenz von ver.di und GEW in mehreren Organisationsbereichen…).
Für diese Tarifrunde ist solch eine Skepsis jedoch nicht einzusehen. Die Kassen sind voll, die Streikbereitschaft war – besonders in Teilbereichen wie SuE und Pflege – besser als sonst und vor allem hatten wir Themen auf der Agenda wie die Aufwertung von Sorge-Arbeit und den Kampf gegen die mittelbare geschlechtsspezifische Diskriminierung beim Entgelt, also Themen, die gesellschaftlich von großer Bedeutung sind.
Ich denke, es wäre am 2. März möglich gewesen, die dritte Verhandlungsrunde ergebnislos zu beenden und zu sagen: „Wir wollen eine richtige Aufwertung von Pflege und Sozial- und Erziehungsdienst. Das darf nicht auf Kosten der anderen Beschäftigten gehen. Wir wollen dafür zusätzliches Geld sehen.“ So hätten wir zumindest in diesen beiden Bereichen die Streiks massiv verschärfen und darüber hinaus eine flexible und vor allem unterstützende Streiktaktik anderer Bereiche entwickeln können. Das hätte erst mal auf eine vierte Verhandlungsrunde angelegt sein können, ohne gleich in die Urabstimmung für einen unbefristeten Streik zu gehen.
Perspektiven
„Hätte, hätte, Fahrradkette“ – diese Situation besteht nun nicht mehr. Eine mehrheitliche Ablehnung durch diejenigen Beschäftigten, die abstimmen können, ist nicht zu erwarten. Dafür fehlt eine ersichtliche Perspektive, wie jetzt noch ein besseres Ergebnis erkämpft werden kann. Aber wir sollten nach vorne gerichtet festhalten, was wir aus der Tarifrunde lernen können. Dazu zählen für mich vor allem zwei Dinge:
Einzelne (bisher benachteiligte) Beschäftigtengruppen können sehr schnell eine große Kampfkraft entwickeln, wenn sie eine realistische Perspektive sehen, sich durchzusetzen und wenn sie Rückenwind aus der Gesellschaft verspüren. Hier müssen wir langfristiger und strategischer schauen, wo und wie ähnliche Durchbrüche erkämpft werden können. Der Impuls aus dem SuE-Kampf der Länder muss für eine stärkere Organisierung in den Betrieben genutzt werden.
Bei den Lehrkräften hat sich außerdem gezeigt, wie wichtig bei der Mobilisierung die Themen sind, die die Beschäftigten wirklich beschäftigen. In Berlin war dies bei Lehrkräften nicht in erster Linie das Geld, sondern das Problem der Arbeitsbelastung. Kolleg*innen, die am 26.02. eine Entlastungsaktion auf der Streikbühne vorführten, wurden aus gutem Grund begeistert gefeiert. Hier müssen wir bei Tarifkämpfen um den TV-L noch besser die Verzahnung zu den drängendsten Problemen hinkriegen. Und wir müssen vor allem durchsetzungsstärker werden, um endlich substantielle Arbeitsentlastung erreichen zu können.
Lesetipps:
Infoblätter der GEW Pankow für Januar, Februar und März 2019
Fragen und Antworten der GEW zum Tarifabschluss
Bewertung des Tarifergebnisses durch ver.di
Kritische Bewertungen auf labournet.de
3 Gedanken zu „Unter‘m Strich ein schlechter Kompromiss“
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