Von der Herausforderung, die Gewerkschaften zu gewinnen und Spielräume zu erweitern
Ongoo Buyanjargal, Nelli Tügel und Christoph Wälz schreiben über Pläne für einen Frauen*streik am 8. März und Chancen, das Streikrecht in der Bundesrepublik zu erweitern.
Dieser Artikel erscheint auch in der ersten Ausgabe des neuen Debatten-Magazins „Lernen im Kampf“, das auf der Streikkonferenz in Braunschweig erworben und bald auch bestellt und abonniert werden kann.
Weltweit kommt es vermehrt zu Protesten und Mobilisierungen gegen Sexismus, Gewalt gegen Frauen und patriarchale Zustände. In Irland, Polen, den USA und Argentinien wird um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekämpft. In Brasilien stehen Frauen an der Spitze des Widerstands gegen die rechtsextreme Regierung Bolsonaros. US-Amerikaner*innen mobilisieren außerdem mit dem Hashtag #metoo gegen sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz. Und in Spanien bündelte der Frauen-Generalstreik am 8. März 2018 zahlreiche Bewegungen um Frauenrechte sowie die Kämpfe der feministischen Bewegung und der Gewerkschaften.
Seitdem nimmt in Deutschland die Kampagne für einen Frauen*streik am 8. März 2019 an Fahrt auf. In einer Reihe von Großstädten und in einem bundesweiten Bündnis organisieren Aktivist*innen Proteste am Frauen*kampftag. »Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still«, so die selbstbewusste Parole im Streikaufruf. Angeprangert werden Gewalt und Diskriminierung, ungleicher Lohn und die Verteilung der unbezahlten Erziehungs-, Haushalts- und Pflegearbeit. Ein feministischer Streik solle nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern alle Teile des Lebens erfassen.
In den Gewerkschaften hat die Initiative zu unterschiedlichen Reaktionen geführt. Einerseits gibt es viel Sympathie für das Anliegen. Andererseits verweisen nicht nur Spitzenfunktionär*innen, sondern auch engagierte Frauen auf das restriktive Streikrecht in Deutschland und die begrenzten Möglichkeiten, außerhalb von Tarifkämpfen die Arbeit niederzulegen.
Kein »echter Streik«?
Exemplarisch für wiederholt geäußerte Kritik steht ein Artikel in der Sozialistischen Zeitung, in dem Tina Ress die Herangehensweise des Frauen*streikbündnisses an die Gewerkschaften kritisiert (SoZ 01/2019, »Kritischer Einwurf zum geplanten Frauenstreik«). Diese seien viel zu spät einbezogen worden. Das Bündnis ignoriere die Gefahr für die Gewerkschaften, auf die bei einem politischen Streikaufruf unter Umständen hohe Schadenersatzforderungen zukämen. Das Frauen*streikbündnis rufe dazu auf, individuell »nicht zur Arbeit [zu] gehen« (frauenstreik.org/aufruf), womit besonders auf Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen oder in Betrieben ohne Betriebsrat der Verlust des Jobs und Rechtsstreitigkeiten zukämen. Nötig seien stattdessen eine »harte mehrjährige Vernetzungs- und Organisierungsarbeit« und eine »gemeinsame Strategie mit den Gewerkschaften«. Ansatzpunkte wären dafür die mehrheitlich von Frauen getragenen sehr realen Streiks in der Pflege, im Einzelhandel oder bei Ryan Air. Ein »echter« Streik sei somit am 8. März kaum möglich, allenfalls ein symbolischer Protest von Individuen und Gruppen in einer günstigen arbeitsrechtlichen Situation.
Tina Ress beharrt korrekterweise darauf, betriebliche Organisierung voranzubringen, von der letztlich alles Weitere abhängt. Zum „Streik im Betrieb“ gibt es keine einfachen Antworten, das zeigt sich auch auf der Website des Bündnisses. Ein Frauen-Generalstreik wie in Spanien, an dem sich mehrere Millionen beteiligen, war nur vor dem Hintergrund eines liberaleren Streikrechts und einer politisierteren Gewerkschaftsbewegung möglich.
Dennoch geht Tina Ress unserer Meinung nach in ihrer Kritik zu weit. Denn erst mal öffnet die Initiative zum Frauen*streik die Diskussion um betriebliche und außerbetriebliche Handlungsmöglichkeiten.
Wir sehen in dieser Diskussion die Möglichkeit, in den Gewerkschaften das Dogma, dass ein Streik nur in Tarifrunden und mit »tariffähigen« Forderungen geführt werden darf, in Frage zu stellen. Die restriktive Rechtsprechung zu Arbeitskämpfen wurde in Deutschland in den 1950er Jahren etabliert. Diese engen Grenzen wurden jedoch immer wieder durch politische Streiks herausgefordert, sei es 1969 gegen die Notstandsgesetze oder 2007 gegen die Rente mit 67. (Ausgeführt wird das in Lucy Redlers Buch, »Politischer Streik in Deutschland nach 1945«, mit Vorworten von Tom Adler und Daniel Behruzi, ISP, 2007.)
Streikrecht ausweiten
Eine Erweiterung des Streikrechts wird es nur geben, wenn die Gewerkschaften massenhaft ihr Recht wahrnehmen und dabei auch kalkuliert, organisiert und kollektiv Beschränkungen in Frage stellen und übertreten. Auf die Gerichte ist hier kein Verlass, wie zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Beamtenstreikrecht gezeigt hat.
Die Warnung vor möglichen Repressionen ist grundsätzlich berechtigt. Sie kann vor allem dazu dienen, gemeinsame Aktionen vorzubereiten, die Streikende schützen können. Es geht darum, das Risiko ernst zu nehmen und auch kollektiv nach dem 8. März den Kampf gegen jegliche Repressionen gemeinsam zu führen. Das verhindert, dass uns die Drohkulisse schon im Ansatz argumentativ entwaffnet. Vor hohen Schadenersatzforderungen warnen auch diejenigen, die gerade eine emanzipatorische Öffnung der gewerkschaftlichen Praxis verhindern wollen.
Fantasie & Macht
Am 8. März könnte es vor allem darum gehen, unterhalb der Schwelle eines allgemeinen politischen Streikaufrufs durch die Gewerkschaften jeden möglichen Spielraum in den Betrieben zu nutzen: verlängerte Pausen mit Protestversammlung, kollektiver »Dienst nach Vorschrift«, gemeinsame Besuche beim Betriebsrat zu frauenspezifischen Themen, rechtlich vorgesehene Betriebs- oder Frauenversammlungen, vielleicht sogar unter freiem Himmel, Verbindung sowieso laufender Tarifrunden mit dem 8. März…
Entfaltet das dann die ökonomische Wirkung eines »klassischen« Streiks? Wohl (noch) nicht. Doch jeder Streik hat eine politische Dimension. Und nicht die unwichtigste Wirkung eines Streiks ist für Sozialist*innen die Erfahrung mit kollektiven Aktionen am Arbeitsplatz: Beschäftigte spüren ihre Macht. Das war bei den Streiks gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz im September 2018 in zehn Städten der USA in McDonald’s-Filialen so. Das war auch die Wirkung der Arbeitsniederlegungen bei Google Anfang November in den USA. Sie werfen ein Schlaglicht auf das Potential der Klasse der Arbeitenden. Und sie wiesen die Arbeiterbewegung darauf hin, geschlechtsspezifische Themen nicht als sekundär gegenüber Lohnfragen abzutun.
Wir sollten uns mit den vielfach von Frauen getragenen Streiks solidarisieren und mit starkem Bezug zu diesen die Kampagne entwickeln. Auch die Bedeutung der betrieblichen Organisierung kann im Vordergrund stehen. Diese ist je nach Betrieb sehr unterschiedlich ausgeprägt. Tatsächlich gibt es inzwischen viel zu viele Betriebe, in denen jeglicher Spielraum erdrückt wurde. Wir sollten jedoch dort, wo es möglich ist, handeln und dort, wo es sehr schwierig ist, zumindest nicht auch noch unsere Fantasie und unseren Mut erdrücken lassen. Wenn die durch den Frauen*streik aufgeworfenen Fragen im Betrieb diskutiert werden, kann dies bereits ein erster Anstoß zur Organisierung sein. Dann kann der Frauen*streik die Gewerkschaftsbewegung immens bereichern.
Lesetipp:
Yanira Wolf: Nur der Wille zählt? Anmerkungen zum Frauen*streik – In: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 01/2019.