von Daniel Behruzi
Konkurrenz belebt das Geschäft. So heißt es jedenfalls. Für Gewerkschaften gilt das in aller Regel nicht. Die Beschäftigtenorganisationen haben gerade das Ziel, die Konkurrenz der Arbeitskraftanbieter auf dem Arbeitsmarkt durch Kartellierung zu verringern. Auch in bezug auf die Organisationen selbst gilt Einheit als hohes Gut. Ermöglicht eine Zersplitterung doch oftmals, dass Unternehmer eine Unterbietungskonkurrenz entfachen – zum Beispiel, indem sie vermeintlich christliche oder andere »gelbe Gewerkschaften« gegen das Gros der Beschäftigten in Stellung bringen. Einen ganz anderen Charakter hat aktuell die Konkurrenz der Gewerkschaften bei der Bahn. Hier befeuern sich die im DGB organisierte Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die dem Beamtenbund angeschlossene Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) gegenseitig. Sie konkurrieren vor allem um die Zugbegleiter und Gastronomiemitarbeiter – denen beide zeigen wollen, dass sie die durchsetzungsfähigere Organisation sind.
Den Takt gibt derzeit die EVG vor, die am Montag morgen große Teile des Bahnverkehrs mit einem Warnstreik lahmlegte. Daran ändert auch die ketzerische Bemerkung des GDL-Chefs Claus Weselsky nichts, die EVG wolle wohl »auch mal zeigen, dass sie streiken kann«. Das hat sie gezeigt, während sich die Lokführergewerkschaft eher zahm gibt. Der EVG-Streik treffe ein geschwächtes Unternehmen. »Da muss man als Gewerkschaft auch ein bisschen Rücksicht nehmen«, sagte ausgerechnet der von Bild seinerzeit als »Bahnsinniger« beschimpfte Weselsky im Tagesspiegel vom Montag.
Doch dieses Mal liegt er falsch. Die Forderungen der EVG sind völlig berechtigt. Die von der Bahn gebotenen 5,1 Prozent mehr Geld in 29 Monaten sind kaum mehr als ein Inflationsausgleich. Deutlichere Lohnerhöhungen und die Möglichkeit zur Arbeitszeitverkürzung wären auch für das Unternehmen selbst gut. Sie würden die Bahn – die darüber klagt, nicht genug Personal zu finden – für Lohnabhängige attraktiver machen.
Bei den großen GDL-Streiks 2007 und 2015 hat junge Welt stets für Solidarität geworben – gegen Widerstände, auch aus der Linken. Das zentrale Argument: Wenn Beschäftigte für progressive Forderungen kämpfen, ist Unterstützung angesagt. Linke können ihnen ihre Organisationsform nicht vorschreiben – zumal es für die Lösung der GDL aus der Tarifführerschaft von Transnet/EVG gute Gründe gab. Und auch jetzt gilt: Den in der EVG organisierten Beschäftigten gebührt Solidarität. Nicht sie sind für die Probleme der Pendler und Fernreisenden verantwortlich, sondern eine Konzernspitze, die ihnen angemessene Tariferhöhungen verweigert. Und sollte die GDL demnächst nachziehen, gilt dasselbe. Am stärksten wären die Gewerkschaften freilich, würden sie gemeinsam kämpfen. Laut Weselsky könnte »plötzlich dem gesamten Zugpersonal einfallen, dass es tarifvertraglich zu keinerlei Überstunden verpflichtet ist«. Na dann los.
erstmals veröffentlicht in der „jungen Welt“ vom 10.12.18