Die Wahl Emmanuel Macrons zum Präsidenten im Mai 2017 war auch ein Sieg des Finanzkapitals. Er ist von allen großen Unternehmen und Medienmagnaten (Lagardère, Bouygues, Bolloré, LVMH) unterstützt worden und erhielt 24% der Stimmen im ersten Wahlgang.
von Adrien Vodslon, Marseille
Nur die Teilung der Linken (Parti Socialiste und France insoumise) ermöglichte es ihm und Marine Le Pen, überhaupt in den zweiten Wahlgang einzuziehen (Jean-Luc Mélenchon, Kandidat der France insoumise, und Benoit Hamon, Kandidat der Parti Socialiste, errangen zusammen über 25% der Stimmen). In diesem zweiten Wahlgang haben viele linke Wähler für Macron gestimmt, um Le Pen zu verhindern; 25,5% der Wähler entschieden sich gegen beide Kandidaten und blieben zu Hause. Solch eine hohe Wahlenthaltung bei einem zweiten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl gab es seit 1969 nicht mehr.
Um es kurz zu fassen, Macron ist von Beginn an ein Präsident der Minderheit, des bürgerlichen Lagers. Auch seine (noch) ergebenen Abgeordneten, die seinem parlamentarischen Mehrheitslagers (LREM) zuzurechnen sind, können sich nicht dem Makel entziehen, im zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen mit einer Wahlenthaltung von 56% gewählt worden zu sein. Legitimation durch Wahlen sieht anders aus. Die bürgerlichen Medien haben beide Augen zugedrückt und das Bild vermittelt, dass eine „neue Zeit“ angebrochen sei, in der Macron & Neulinge die Politik der alten Parteien verdrängen.
Eine offensive Politik für die Bourgeoisie
Aus einigen Punkten seines Programms hatte Macron während der Wahlkampagne keinen Hehl gemacht. Als erstes sollte der Arbeitsmarkt reformiert werden, dass heißt, es sollte den Arbeitgebern leichter gemacht werden, Arbeiter zu entlassen, die Abfindungen sollten drastisch gesenkt werden. Der Arbeitsmarkt sollte insgesamt flexibler für die Bosse sein. Dafür hat Macron gleich bei seinem Amtsantritt die Gewerkschaften einzeln zu sich und in das Arbeitsministerium geladen, um die „nötige“ Reform zu besprechen. Immer wieder wurde den Gewerkschaften höflich zugehört, das Ergebnis dieser Gespräche stand jedoch von vornherein fest. Die „Reform“ sollte so schnell wie möglich in Kraft treten, ohne das Parlament abstimmen zu lassen, also mit Hilfe präsidentieller Verordnungen und Pseudo-Verhandlungen.
Die drei Gewerkschaftsverbände CGT, FSU und Sud haben versucht, gegen diese Arbeitsmarktreform zu mobilisieren. Ein erster Streiktag am 12. September 2017 und zwei weitere im gleichen Monat fanden statt. Doch der Erfolg blieb aus. Im Gegensatz zu 2016, als schon einmal eine Arbeitsmarktreform von der Regierung (Hollande) und der Polizei durchgekämpft worden war, hatte sich dieses Mal die Leitung des Gewerkschaftsverbandes FO aus der Mobilisierung herausgehalten und versuchte, ihren Mitgliedern und anderen Beschäftigten scheinbare Vorteile aus dieser Reform zu verkaufen. Die Abwesenheit der CFDT, dem aktuell größten Gewerkschaftsverband im privaten Bereich, schloss von vornherein jede Möglichkeit aus, eine geschlossene Gewerkschaftsfront gegen die Zertrümmerung des Arbeitsrechts zu bilden.
Die Spaltung der Gewerkschaften und ihre Strategielosigkeit
Schon 2016 hatte sich die Frage der Kampfstrategie gestellt. Damals hatten von März bis Juni bei mehr als einem Dutzend Streik- und Demonstrationstagen hunderttausende Beschäftigte an Aktionen teilgenommen, ohne dass die Regierung ihr Gesetz zurückgenommen hätte. Dieser Klassenkampf ist verloren gegangen. Einzelne Streiktage – teilweise in der gleichen Woche – ohne wichtige Gewerkschaftsverbände (CFDT…) reichten nicht aus, um das Kräfteverhältnis zu verschieben, das Gesetz zu verhindern und die Regierung in Bedrängnis zu bringen. Die aktiven Teile der Arbeiterklasse sind müde aus diesem Arbeitskampf herausgegangen.
Seit ihrem Amtsantritt im Mai/Juni 2017 haben Macron und und der Premierminister Philippe von der Spaltung der Gewerkschaften und ihrer Strategielosigkeit profitiert und mehrere Gesetze für die Bourgeoisie durchgebracht: die lange vorher geplante Arbeitsmarktreform, die Steuererleichterung für Spitzeneinkommen (5 Milliarden wurden den Reichen geschenkt), das Einfrieren der Gehälter im öffentlichen Dienst (betrifft ca. 5,6 Millionen Menschen) und die Verschärfung des Asylrechts. Macrons Programm zielt, wie auch das seines Vorgängers Hollande (aber in weitaus verstärkter Weise), darauf ab, der französischen Bourgeoisie wieder mehr Profite und Macht zu geben, damit sie der internationalen Konkurrenz standhalten kann.
Dazu muss die französische Arbeiterklasse niedergerungen werden. Noch hat diese keine Niederlage erlitten, die dazu führen würde, dass es keine großen Mobilisierungen mehr gibt. Eine Niederlage wie die englischen Bergarbeiter zur Zeit von Margaret Thatcher hat die französische Arbeiterklasse noch nicht erlitten.
Die Eisenbahner: eine strategische Auseinandersetzung
Die Niederlage der Eisenbahner möchte Macron jetzt herbeiführen. Dazu will er die staatliche französische Bahngesellschaft SNCF privatisieren und die Arbeitsrechte der Eisenbahnbeschäftigten zerstören. In dieser Auseinandersetzung werden die Eisenbahnbeschäftigten als Privilegierte dargestellt, die viel verdienen und wenig arbeiten würden. Es würde darum gehen, die Qualität der Dienste zu verbessern, die SNCF müsse der Konkurrenz standhalten können, da das Eisenbahnnetz für die Regionalzüge schon 2019 liberalisiert werden soll.
Ja, es stimmt: Eisenbahner haben in Frankreich und oft auch anderswo eine Reihe von Rechten. Sie können bisher früher in Rente gehen (haben aber auch längere und ungünstigere Arbeitszeiten) und haben einen gesicherten Arbeitsplatz.
Diese Rechte sind von den Eisenbahnern erkämpft worden. In den letzten 25 Jahren hat die Bourgeoisie in Frankreich zwei Niederlagen oder Rückschläge erlitten. Sie musste 2006 den prekären Einheitsvertrag für die jungen Beschäftigten (CPE) zurücknehmen und sie musste 1995 auch ihre Pläne einer Rentenreform (Verlängerung der Beitragsjahre im öffentlichen Dienst) und die Privatisierung der Sozialversicherung wieder vom Tisch nehmen. Damals hatte ein Eisenbahnerstreik das Land 4 Wochen lang lahm gelegt. Der Streik war unter anderem auch deshalb erfolgreich, weil er die Unterstützung weiterer Beschäftigtengruppen genoss und diese (Telekom, Post, Schulen) in den Streik eingetreten waren. Dieses Mal, und das ist nichts Neues, versuchen die Regierung und die bürgerlichen Medien, die Beschäftigten gegeneinander auszuspielen. Sie sagen, die Passagiere der Bahn wären die Opfer der Streikenden. Lange Reportagen werden in den französischen Nachrichtensendungen diesem Thema gewidmet.
Der 22. März: ein wichtiger Tag für die Klassenkämpfe in Frankreich (und in Europa)
In dieser Gesamtlage haben alle großen Gewerkschaftsverbände (CGT, FO, CFDT, SUD, FSU) zu einem nationalen Streiktag am 22. März aufgerufen. Beschäftigte der Eisenbahn, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Angestellte von Air France, von Altersheimen und Rentnerinnen und Rentner, denen die Renten seit Januar gekürzt wurden, werden auf die Straße gehen. Zu ihnen werden auch die Krankenhausangestellten stoßen, die seit Jahren mit immer weniger Mitteln auskommen müssen. Im letzten Monat sind zwei Frauen in der Notfallaufnahme von zwei Krankenhäusern gestorben, weil sie aufgrund der langen Wartezeiten nicht medizinisch versorgt wurden.
Die Gewerkschaftsverbände der Eisenbahner haben sich darauf verständigt, dass sie für eine Periode von drei Monaten alle drei Tage zwei Tage lang streiken werden. Es geht darum, den Eisenbahnbetrieb soweit wie möglich zu stören, das Kräftemessen mit der Regierung zu gewinnen, ohne zu hohe Gehaltseinbußen zu haben. Die Presse meldet immer mehr Arbeitskämpfe: Die Angestellten der öffentlichen Altersheime machen seit Wochen mobil für menschengerechte Arbeitsbedingungen. Die Beschäftigten von Air France fordern Lohnerhöhungen von 6%, nachdem sie jahrelange Gehaltsverluste haben hinnehmen müssen. Die soziale Wut kocht in Frankreich, es bleibt nur die Frage, wie sie in organisierte Gegenwehr gewandelt wird.
Zum ersten Mal seit Langem hat eine Gewerkschaftsfront eine Strategie vorgelegt, um ein Kräftemessen mit der Regierung aufzunehmen. Der Impuls dafür kommt von den Eisenbahnern. Das ist kein Zufall. Sie haben bekanntlich eine wichtige Position in der französischen Gesellschaft. Andere Teile der Arbeiterklasse werden in den nächsten Wochen ihre Kämpfe fortführen oder zu diesen Kämpfen hinzustoßen. So sucht die französische Arbeiterklasse die Einheit, die sie im Kampf braucht, um die Regierung der Reichen und der Konzerne zu schlagen. Alleine werden die Eisenbahner diesen Kampf nicht gewinnen können, aber sie werden anderen Sektoren die Möglichkeit geben, mit ihnen für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen.
Denn die Profite der 40 größten französischen Unternehmen sind selten so hoch gewesen wie in diesem Jahre (93,4 Milliarden), das Wirtschaftswachstum wird von der Regierung und den Wirtschaftsinstituten als robust bewertet (1,9%). Doch die Beschäftigten in Frankreich spüren davon wenig. Sie wollen jetzt auch ihren Anteil haben.
Auf diese Auseinandersetzung bereitet sich Macron vor. Die fünfte Republik gleicht immer mehr einem präsidial-bonapartistischen Regime und immer weniger einer parlamentarisch-bürgerlichen Republik. Um den Protest aus den Angeln zu heben, will die Regierung die Eisenbahnreform mit Sonderverordnungen ins Gesetzbuch meißeln. Demonstration der Macht oder Zeichen der Schwäche?
Sicher ist, dass der aktuelle Präsident versucht, die bürgerlichen demokratischen Rechte einzuschränken, wie es schon Hollande mit den Ausnahmegesetzen getan hat. Macron möchte die Anzahl der Abgeordneten senken, die parlamentarischen Gruppen der Opposition sollen nur noch wenige Anträge stellen und Redebeiträge machen dürfen. Er konzentriert die Macht immer stärker in seinem Elysée-Palast, wie lange noch?
Wenn Macron diese Auseinandersetzung für sich entscheidet, werden die Interessen der Bourgeoisie noch stärker zum Tragen kommen. Nur ein gemeinsamer Kampf der Arbeiterklasse wird die Regierung stoppen können. Deswegen sind die Arbeitskämpfe der nächsten Wochen und Monate entscheidend.
2 Gedanken zu „Frankreich: Macron und seine Versuche, die französische Arbeiterklasse zu schlagen“
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