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„Das Schicksal der Arbeiterklasse ging ihm ans Herz“

Nach einem Leben des Kampfes für Arbeiterrechte und Sozialismus: Zum Tod von Mirek Vodslon dokumentieren wir Nachrufe von Michael Schilwa und Anne Engelhardt (Lesekreis „Erkenntnisdrang“), sowie einige der Ansprachen bei der Trauerfeier, verfasst von Nick Bailey (WIRFI), Christoph Wälz (Lernen im Kampf) und Mireks Sohn Adrien Vodslon.

Nachruf von Michael Schilwa (Lesekreis „Erkenntnisdrang“), Berlin, 19.12.2017 

GENOSSE MIREK IST TOT !

Am 13.12. ist unser Weggefährte und Mitstreiter Mirek Vodslon plötzlich und vor allem viel zu früh gestorben. Bin immer noch geschockt, denn ich mochte ihn sehr.

Dabei war Mirek durchaus kein einfacher Typ, sondern ein oft sehr anstrengender, aber wunderbar dickköpfiger Querkopf. Seine grundehrliche, ja schonungslose Art konnte bisweilen auch die eigenen Genoss*innen zur Weißglut treiben. Wer sich auf ihn einließ, wurde aber belohnt – die intensiven, spannenden und lehrreichen Debatten in unserem kleinen, aber feinen LESEKREIS ERKENNTNISDRANG z.B. werden mir immer in schöner Erinnerung bleiben.

Mirek wurde geboren und wuchs auf in Prag in der Familie eines hohen KP- oder Staatsfunktionärs. Vom Chauffeur des Papas mit der Tatra-Limosine in die Schule gebracht zu werden, hatte natürlich was. Dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) näherte er sich beeinflusst von dem ungarisch-französischen Marxisten Balazs Nagy (besser bekannt unter seinem Kampfnamen Michel Varga) früh dem Trotzkismus und schloss sich der „Arbeiter-Internationale zur Wiederherstellung der Vierten Internationale“ (engl.: WIRFI) an. Über Prager Frühling und Pariser Mai verschlug es ihn nach Berlin, wo er Anfang der 2000-er Jahre der SAV beitrat. In der Berliner WASG haben wir uns schließlich kennen und schätzen gelernt.

Politisch hatten wir größte Differenzen und wurden doch Freunde. Wie oft bombardierten wir uns gegenseitig mit Schlagwörtern der Preisklasse „Pablist“ – „Sektierer“. Aber unser Verhältnis war trotzdem geprägt von wechselseitigem Ernstnehmen und Respekt. Allzuoft war mir seine Argumentation zu holzschnittartig, wobei ihm allerdings immer wieder treffend-köstliche Formulierungs-Perlen gelangen.

Sein Urteil über den Ex-NPA-Chef Olivier Besancenot: „Der Postbote des Verrats!“

Seine Einschätzung des NaO-Prozesses: „Schilwa baut den Zentristen ein Heim.“

Seine Haltung zur NaO beleuchtet übrigens exemplarisch seinen aufrechten und aufrichtigen Charakter. Obwohl inhaltlich einer der schärfsten NaO-Kritiker, setzte er sich vehement dafür ein, darüber intensiv in der SAV zu diskutieren. Und ausgerechnet er war der Einzige, der leidenschaftlich dafür gekämpft hat, dass ich aufgrund meines NaO-Engagements NICHT aus der SAV austrete.

Die modischen Schlenker einer postmodernen Linken, die die Arbeiterklasse alle Jahre wieder für politisch tot erklärt, waren überhaupt nicht sein Ding – Mirek war ein „unbending fighter for the working class“. Er wusste genau, dass imaginierte „Neue Massenavantgarden“ oder „Zivilgesellschaften“ die kapitalistische Barbarei niemals beenden werden. Das konnte er nicht nur theoretisch brilliant begründen, er lebte es jahrzehntelang ganz praktisch. So war er von Anfang an ein „Fels in der Brandung“ im Unterstützerkreis für die ALTERNATIVE-Gruppe im Daimler-Werk Berlin-Marienfelde (übrigens auch nach seinem Rauswurf aus der SAV).

Dabei glitt er nie in plumpen Workerismus ab. Mirek war ein sehr belesener Marxist (gerade in philosophischen Fragen kamen wir anderen uns ihm gegenüber oft wie ABC-Schützen vor), dabei aber das glatte Gegenteil des eitlen Elfenbeinturm-Intellektuellen:

Ein Parteiarbeiter im besten Sinn. Egal ob um 5:30 Uhr im Schneeregen vor dem Daimler-Tor in Marienfelde oder bei den heißen Schlachten auf den Parteitagen der Berliner WASG – auf den Mann und sein Wort war Verlass!

Die Loyalität zur eigenen Organisation stand immer an erster Stelle. Was ihn aber nicht daran hinderte, heftig loszupoltern, wenn er die „Parteilinie“ auf Abwegen wähnte.

War ihm politisch was wichtig, schonte er nichts und niemanden – am wenigsten sich selbst.

Für die in der Linken so beliebten Hinterzimmer-Intrigen und Küchenkabinette war Mirek denkbar ungeeignet – „er trug sein Herz auf der Zunge“. Leider war genau das einer der Gründe (wenn nicht der Hauptgrund) dafür, dass er vor ein paar Jahren unter sehr unschönen Umständen aus SAV und CWI rausgeworfen wurde. Das hat ihn sehr getroffen, aber nicht umgehauen. Denn Mirek hatte nicht nur körperlich Statur, er war auch seelisch und geistig robust, ruhte zumindest politisch in sich selbst. Seine revolutionären Grundüberzeugungen machten ihn unabhängig von politischen Konjunkturen und Opportunitäten (und „was werden“ wollte er sowieso nie).

„Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird.“ (Immanuel Kant)

Wir Ehemaligen aus dem „Lesekreis“ werden dich bestimmt nicht vergessen.

Ich vermute, noch ziemlich oft werden wir uns bei schwierigen Entscheidungen fragen:

Was hätte Mirek jetzt wohl gesagt?!

Farewell Genosse, alles Gute für deine letzte Reise und:

Siempre anticapitalista!

Ansprache von Nick Bailey (Workers‘ International to rebuild the Fourth International) bei der Trauerfeier, 21.12.2017

Mirek was a comrade in the truest sense of the word; a fighter side by side with us for a socialist future for the human race. He was a convinced and profoundly thoughtful Marxist. His theoretical stature towered above that of others because he was highly intelligent, very thorough and took Marxism very seriously indeed. He was never satisfied with superficial or half-baked formulations of it.

Mirek came into contact with us UK Trotskyists as a militant of the Group of Opposition and Continuity of the Fourth International (GOCQI), in the late 1980s. Having just dealt with an abusive leadership in the Workers’ Revolutionary Party, we were looking for contacts with activists around the world who had gone through experiences parallel to ours and who had similar ideas to ours about the way ahead.

Comrades like Balazs Nagy, Miroslav, Radoslav Pavlovic and Janos Borovi had paid the price of resisting Stalinist rule in their home countries. They had been forced to leave behind families and comrades and go into exile or face death or imprisonment. Based on their own experiences and difficulties in the Trotskyist movement, they joined with the insurgent Workers‘ Revolutionary Party members and contacts in Namibia, South Africa and Latin America to set up the Workers’ International to Rebuild the Fourth International in 1990.

The GOCQI, including Mirek, quickly showed their theoretical mettle, contributing powerfully to the theoretical publications which prepared for the new foundation. But the development of the new International collided with the collapse of the workers’ states in the USSR and Eastern Europe and the Thatcher-Reagan onslaught on all the things workers had gained in the class struggle. This was also a development which sought – where it could – to drive back the movements against imperialist oppression around the world and to corrupt them where it could not.

The workers’ movement in western Europe and North America was undermined by de-industrialisation and re-location of industries, automation and the introduction of new technologies and the political collapse of Communist and Socialist parties. Significant numbers of our already small group left, in some cases abandoning the very idea of an organised Marxist International, in others abandoning political activity completely.

Mirek stood out against the quitters, but for a while was unable to contribute personally to the struggle of the Workers’ International. Nevertheless, physically isolated as he was from other comrades, Mirek instinctively sought out footholds in the revolutionary Marxist movement and in the struggles of industrial workers. He worked within these circles to encourage the study of fundamental questions of Marxism, in particular political economy, and he deliberately participated in the shop-floor organisation of Daimler-Benz trade unionists.

The international situation for Marxists became extremely gloomy. The first big break in the clouds was the determined struggle of the platinum miners at Marikana in South Africa, followed by a widespread mass-movement of workers in a large number of industries and trades for a big increase in wages. Twenty years after the end of apartheid and the rise to power of the African National Congress in South Africa, the deliberate murder of 35 strikers at Marikana by the South African Police acting under the instructions of the mine-owners with the collusion of ANC ministers marked the outbreak of a political crisis which faced revolutionary Marxists with a serious challenge.

It also brought Mirek back into activity in the Workers‘ International. Together, we fought for the understanding that the way forward after Marikana is work towards the establishment of a socialist party of the country’s working class, and that this could not be achieved by isolated sectarian groups, however courageous and devoted. The decisions and resolutions of the December 2013 Special Congress of the National Union of Metalworkers of South Africa (Numsa) sketched the plans for the re-foundation of the country’s working-class movement, and Workers‘ International pledged its support for this process.

Meanwhile the leading comrades of the Workers’ Revolutionary Party of Namibia, founded in 1989, had been working for years through the Workers‘ Advice Centre in Windhoek providing legal advice and representation to individuals and groups suffering abuses at the hands of employers and government. They had placed themselves in an excellent position to take forward new (or newly-resumed) mass struggles, such as

– the campaign of former TCL miners for their stolen pensions

– various ethnic groups defending their land

– the matter of wholesale miss-appropriation of the assets of the former TLC in the course of official bankruptcy of the company

– the question of whether German compensation for imperialist oppression, land-theft and atrocities during the occupation of “South-West Africa” would go to the victims’ communities or be stolen by government ministers

– the campaign for a real reckoning over the crimes of South West Africa Peoples’ Organisation (SWAPO) during the liberation struggle

– against the theft of people’s homes through legal chicanery

– stood in the 2014 election and won two Assembly seats

– new industrial struggles such as that of the fishery workers.

This meant that by late 2015, the WRP of Namibia was able to convene a conference with over 100 delegates to re-launch the party. Mirek devoted himself to assisting the development of the WRP of Namibia, spending considerable time in the country and brimming with advice to assist its development, both practical and theoretical.

Mirek did all he could to bring a lifetime’s experience of political struggle to bear fruitfully in the training of a new generation of political leaders in the continent of Africa. In the process, he designed a series of lectures to try to explain Marxism and the Fourth International to members of a party which contained representatives of pretty well all the ethnic groupings in the country, from bushmen to descendants of German settlers, and certainly all the oppressed groups, rural or urban.

The precious outcome is a pamphlet: Why we must rebuild the Fourth International, which will undoubtedly play a major role in the political training of new generations. It is written in a very straightforward style, using everyday language in a way that makes complex questions easier to understand and does not set up the author as some sort of ivory-tower intellectual.

In a movement which has no lack of flamboyant, even abrasive, characters, Mirek was exceptional for his gentleness (not without firmness!) towards all and for the modesty and simplicity with which he wrote and spoke.

Back in Europe, Mirek keenly followed political events in online discussions. Topics included how Marxists should react to the discussion around mass migration and a sharp intervention on the outcome of the UK referendum on leaving the EU. Mirek engaged in a lengthy online discussion earlier this year on the question of Catalonian independence.

He was keen to write-up his own experiences of the development of events in Czechoslovakia before and during the “Prague Spring” of 1968, and we were hoping to provide him with an opportunity to talk about this at an event in the UK on the fiftieth anniversary. Sadly, things turned out otherwise.

We were utterly shocked by news of Mirek’s death. We pass on our condolences to Adrien and the rest of the family – Mirek was enormously proud of his son and his grandson – and also to Senta, who has been his companion and bedrock for so many years and whose companionship clearly meant so much to him. We join with many rank-and-file IG Metall trade unionists, activists in the political movement in the Trotskyist left in Germany, the UK and elsewhere, and above all many Namibians in treasuring what he was worth and mourn his loss.

Ansprache von Christoph Wälz (Lernen im Kampf) bei der Trauerfeier, 21.12.2017 (im Nachhinein leicht ergänzt)

Liebe Senta, liebe Claire, lieber Adrien, liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen,

ich musste in den letzten Tagen viel über mein letztes Treffen mit Mirek nachdenken. Meine Frau und ich hatten ihn im Sommer diesen Jahres zufällig getroffen, im Biergarten „Jockel“ in Kreuzberg. Und während unser Sohn auf dem Spielplatz spielte, sprachen wir stundenlang miteinander.

Wir diskutierten über die Wahlen in Frankreich und waren uns einig, dass Macron gewählt und bekämpft werden muss.

Mirek interessierte sich sehr für die aktuellen Entwicklungen in meiner Gewerkschaftsarbeit. Er hatte recht bald eine Vorstellung davon, was zu tun sei. Aber er stülpte mir seine Vorstellung nicht über, sondern stellte mir Fragen. Damit weitete er meinen Blick und trieb mich mit meinen Antworten vorwärts. Damit wird er mir schmerzlich fehlen.

Wir ließen auch vergangene Zeiten Revue passieren, unsere gemeinsame Zeit in der SAV. Mirek schrieb später in einer E-Mail an seinen Sohn, wir hätten dabei wie „traumatisierte Veteranen“ geklungen. Das war sein typischer trockener Humor.

Mirek erzählte unter anderem eine Anekdote aus dem Jahr 2005, von seiner ersten Bundeskonferenz der SAV, an der er noch als Sympathisant und nicht als Mitglied teilgenommen hat. Ich möchte euch diese Anekdote nicht vorenthalten, weil sie so viel über Mirek sagt.

Es ging darum: 2004 war es zu den Montagsdemos gegen Hartz IV gekommen und – in der Folge – zur Gründung der WASG. Lafontaine betrat wieder die politische Bühne und bot sich als Vereiniger von WASG und PDS an. Ein Genosse trat nun 2005 auf der Bundeskonferenz auf und sprach zur Rolle von Lafontaine. Er erwähnte, dass der Generalsekretär der SAV schon vor einem halben Jahr die Möglichkeit einer Re-Aktivierung Lafontaines erwogen hatte. Damals hätte er selbst sich dieses überhaupt nicht vorstellen können, nun sei es Realität. Er schloss mit den Worten: „Aber deshalb ist ja auch er Generalsekretär, und nicht ich.“

Das war ein Witz. Er sorgte auch für Erheiterung. Mirek jedoch war entsetzt. Nicht so sehr über die Aussage an sich als darüber, dass niemand widersprach. Personenkult, Heldenverehrung, die selbstverschuldete Unfähigkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, waren ihm zutiefst zuwider, selbst in zarten Andeutungen. Darin war er stark geprägt durch seine Erfahrungen mit der stalinistischen Diktatur in der ČSSR.

Unbarmherzig forderte er von jedem,

  • selber die Führung zu übernehmen, anstatt die Führung zu verehren
  • seinen Standpunkt zu begründen und zu hinterfragen, anstatt anderen nach dem Mund zu reden
  • nach einer Veränderung seines Standpunktes deren Ursachen offenzulegen und daraus zu lernen, anstatt einfach eine neue opportune Parteilinie auszugeben
  • kurz: sich zum Marxisten zu entwickeln, anstatt selbsterklärter Marxist zu sein.

In der Schonungslosigkeit seiner Diskussionsführung bestand sein großer Respekt uns gegenüber, weil er – wie jeder gute Lehrer – vor allem das Potential in uns sah, sich zu entwickeln.

Trotz dieser lächerlichen Episode trat Mirek 2005 in die SAV ein. Denn er hatte nicht die fehlerfreie Organisation gesucht, die es – seinem Verständnis nach – sowieso nicht geben kann, sondern einen hoffnungsvollen Ansatzpunkt zum Wiederaufbau der Vierten Internationale.

Ob das ein Wiederaufbau sein muss, oder auch ein Aufbau sein kann; ob das die Vierte sein muss, oder ob auch eine Internationale ohne Ziffer reicht, war für Mirek nicht zweitrangig.

So oder so: die Aufgabe bleibt bestehen. Und Mirek wird dabei fehlen.

Ansprache von Adrien Vodslon bei der Trauerfeier, 21.12.2017

Mein Vater war ein aufrechter Mensch.

Er hat immer versucht, jedenfalls mir gegenüber, positiv zu denken. Über die kleinen Übel hat er immer gesagt „es ist schon besser als die Treppe runterzufallen“.

Diese Familienfloskel kam von seinem Onkel Paul, der das KZ überlebt hatte.

Mein Vater war auch ein Mensch, der überall zu Hause war, in Berlin, Paris, Prag, Namibia oder Marseille. Er sprach um die zehn Sprachen, denke ich, konnte sie leider nicht alle testen. Und er hatte Spaß an den Sprachen.

Und wie er diese Sprachen beherrschte, war er auch interessiert an Diskussionen, an allen möglichen. Wie oft habe ich gestaunt, was er alles wusste, von der Energieproduktion mit Wasserstoff bis zur Genforschung. Der „American Scientist“ lag jahrelang bei uns herum.

Sein Humor, so typisch tschechisch, aus einem kleinen Land, das viele Invasionen erlebt hat, wird mir fehlen. Er konnte genauso gut sich selbst wie die anderen aufs Korn nehmen. Wir lachten oft. Am Montag hatte ich die theoretische Fahrprüfung bestanden, er wünschte mir dann „viel Glück dir… und allen Beteiligten“.

Bevor er starb hat er die Geschichte der deutschen Revolution von Broué gelesen. Ein bisschen überall waren Mathematikbücher. Mit ihnen hat er sich gut verstanden und entspannt.

Sein Leben hat er aber der Politik gewidmet, genauer gesagt der Arbeiterklasse und der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Er hat mit nichts gelebt und versucht sie gegen Wind und Flut zu verteidigen, wie man auf Französisch sagt.

Mein Vater war ein aufrechter Kerl. Er hatte gewisse kleine Ordnungsschwierigkeiten, aber selten habe ich so einen klarsichtigen dialektischen Kämpfer gesehen. Die Dialektik, die war einer seiner Leitfäden. In seinem politischen Denken war er oft ein, zwei Schritte voraus. Er wollte immer über Politik sprechen, fragte die anderen nach ihrer Meinung, um zu diskutieren, brüderlich mit Argumenten und Leidenschaft. Das Schicksal der Arbeiterklasse ging ihm ans Herz, c‘était plus fort que lui.

Er hat es als eine große Verschwendung empfunden, dass so viele junge Menschen bei der SAV eintraten, kampfeslustig waren und doch nicht zu eigenständigem Denken ausgebildet wurden. Es schien ihm, dass man aus Klassikern diskussionslose Bücher machte. Dabei ist der Marxismus ein lebendiges Denken und keine Statue.

Für ihn war es klar: wie sollte sich die Arbeiterbewegung aufbauen ohne eine Vielzahl von selbstdenkenden führenden Köpfen?

Er war in letzter Zeit nicht sehr optimistisch. Dafür gibt es zuviel Krieg und Kriegsstimmung. Es ist wohl bekannt: Die Bourgeoisie hat eine Lösung der heutigen Krise des Kapitalismus: Krieg. Und so ist die Frage „Barbarei oder Sozialismus“ noch offen.

Ihm war klar, dass wir mit dem Rücken zur Wand stehen und die Wahl zwischen kämpfen und kämpfen haben. Gegen die Bourgeoisie, für die Einheit der Arbeiterklasse, auf nationaler und internationaler Ebene.

Allen Dingen wollte er auf den Grund gehen, das war für mich teilweise ziemlich lang. Aber Gerechtigkeit, Wissen, Arbeiterdemokratie, das ging zusammen. Er sprach immer von den besten Traditionen der Arbeiterklasse und meinte damit Arbeiterdemokratie, Kampfbereitschaft und Arbeiterkultur.

Ohne politische Theorie, ohne politische Bildung hatte es für ihn keinen Sinn, Aktivist zu sein und vor dem Werkstor zu stehen.

Er sagte mir immer den „Bild“-Spruch: „Bild dir deine Meinung“ und so widersprach ich ihm oft und lernte so viel in unseren Diskussionen. Diese werden mir fehlen.

Oft zitierte er Trotzki: „nicht weinen, nicht lachen, verstehen“ – darauf kommt es an. Und auf das Handeln. Er hat es vorgemacht und ich möchte, dass man ihn als kompromisslosen Kämpfer für die Arbeiterrechte, für die Revolution in Erinnerung behält.

Mein Vater hat viele Niederlagen erlitten, er ist aber bis zum 13. Dezember immer wieder aufgestanden. Nun ist er weg. Ich vermisste ihn schon in den letzten Jahren, jetzt ist er ganz abgehauen. Mein Vater, dieser aufrichtige und aufrechte Mensch soll so lange es geht in uns mit seiner Denkweise und in unseren Kämpfen fortleben.

Nachruf von Anne Engelhardt (Lesekreis „Erkenntnisdrang“), 21.12.2017

Vor einer Woche ist Mirek Vodslon gestorben. Heute war seine Trauerfeier. Auf dem Weg nach Berlin habe ich immer wieder Gespräche im Kopf gehabt, die wir geführt haben und die wir sicher geführt hätten, wäre er heute noch am Leben. Es wäre um Frankreich gegangen, vielleicht um Honduras, um Brexit ganz bestimmt, um und gegen mechanischen Materialismus und Dialektik ohne Dogma, nie explizit aber immer auf der methodischen Ebene, mitgedacht – oder auf diese Weise – gedacht.

Mirek kam direkt aus dem Prager Frühling und dem Frankreich 68, für mich war es immer als sei er in dieser Zeit geboren worden, dabei war er in dieser historischen Epoche schon erwachsen. Aber seine politische Entwicklung hatten dort begonnen, seine Fragen, sein Löcher in den Bauch diskutieren und vor allem, seine einzigartige Art einen ernst zu nehmen und an einen zu glauben. Zu wissen, dass mehr in einem steckt, als man sich traute in Worte zu fassen, aufzuschreiben. Wütend zu werden, wenn man selbst nicht sah, was er sah. Mirek sprach mindestens vier Sprachen fließend insgesamt bewandert war er wohl in mehr als 10, also ein Internationalist, der Seinesgleichen sucht. Aus Prag nach Frankreich, nach Berlin, zu Demonstrationen, der Gründung der WASG, einem bewegenden Wahlkampf 2006, den Streiks bei der Charité oder zu Verteilungen von Betriebszeitungen bei Daimler, auch wenn es unsäglich kalt und früh war (5.30). Danach immer noch einen Kaffee beim Bäcker, wieder diskutieren.

Mirek war Teil der Gründung der WASG Berlin, des Widerstands gegen die Agenda 2010, Hartz IV, wovon er später selbst betroffen sein sollte. Er sollte erst nach einigen Runden vor dem Schiedsgericht in die Linke aufgenommen werden. Er war aufrichtig, unendlich ehrlich und damit konnte er einen wirklich zur Weißglut treiben, aber er behielt immer seinen Respekt aus ehrlicher Hoffnung, dass seine Art einen zu nerven doch noch einen Revolutionär oder eine Revolutionärin aus einem machen würde. Sicher hatte er nicht immer recht. Aber die Diskussionen mit ihm waren Goldgruben, Labore für neue Gedanken und Ansätze. Marxismus ist niemals fertig gedacht. Er muss mit dem Kampf weiterentwickelt werden. Dafür brauchen wir offene Diskussionen, ohne Angst Fehler zu machen, das Falsche zu schreiben oder zu sagen. Das tat er immer wieder – wie um uns zu zeigen, wie es geht: Er machte Fehler und dennoch, wenn er seine Meinung änderte, korrigierte, machte er das transparent, ohne Wettbewerb oder Konkurrenz, von so etwas hielt er nichts. Es ging ihm um die Wahrheit, die sich immer mit der Geschichte entwickelte und um den Aufbau revolutionärer Kräfte, die der kapitalistischen Barbarei etwas entgegensetzen, um sonst nichts.

Und alles hat er mit uns diskutiert. Den Prager Frühling, den Spanischen Bürgerkrieg, die Russischen Revolution, die Französischen Kommunarden, das Kapital (alle Bände fast bis zum Schluss), die Freunde Durrutis, Dialektik ohne Dogma, Prostitution und die Demoralisierung der Arbeiterklasse durch Sexismus… die Reihe ist schier endlos.

So vieles was ich heute denke oder schreibe oder wie ich politische Arbeit mache, habe ich durch Diskussionen mit ihm entwickelt, mich immer wieder selbst zu hinterfragen, mich selbst Ernst zu nehmen aber nicht zu wichtig, andere Ernst zu nehmen und ihre Fragen, halbgaren Antworten oder Ausflüchte nicht zu akzeptieren. Nachdem Mirek aus dem CWI leider ausgeschlossen worden war, baute er eine andere Organisation auf, ging nach Namibia – mit Ende 60. War immer noch aktiv, unermüdlich.

Ich erinnere mich an seine Küche, in der wir Stunden saßen. Instantkaffee und kochendes Wasser. Spaghetti mit Tomatensauce, Frühstück, jeden Freitagmorgen, ein Abschnitt aus dem Kapital auseinanderzerren. Seine langen Ausführungen. Sein stilles Zuhören. Sein Durcheinander und seine Klarheit.

Mirek wird fehlen. Mirek Presente.

Traueranzeige in der Tageszeitung „junge welt“, 23.12.2017

Miroslav „Mirek“ Vodslon

4.4.1948 – 13.12.2017

Unser Weggefährte und Mitstreiter ist plötzlich und vor allem viel zu früh gestorben.

In seiner grundehrlichen, ja schonungslosen Art war Mirek in Debatten herausfordernd und allen, die lernen wollten, unersetzlich. Wir verlieren mit ihm einen wunderbaren, dickköpfigen Menschen.

Farewell Genosse, alles Gute für deine letzte Reise und: Siempre anticapitalista!

Adrien + Senta

Aron, Anne, Christoph, Claire, Daniel, Heinz, Micha, Nelli, Ongoo, Stefan

Kollegen der Alternative-Gruppe Daimler Berlin-Marienfelde                                                  Die Genossinnen und Genossen der Sozialistischen Ini Stuttgart

Reaktionen auf die Traueranzeige auf der internationalen Mailingliste socialistdiscussion@yahoogroups.com

Tim H.: That’s sad news. Most of the time I disagreed with Mirek’s politcal analysis but I respected his honest and non-personalised way of debating.

Please pass on my condolences to friends, family and comrades.

Richard E.:  Very sad to hear this news. Mirek certainly added a different perspective to the discussions here. He was definitely “ challenging in debates and irreplaceable to those who wanted to learn.“ Exactly as a Marxist should be.

John R.: I am sorry to hear that. I thought a lot of what he wrote.

Roger S.: Condolences from all of us. Mirek sent consistently robust, challenging, thought-provoking contributions in the best traditions of the labour movement.

Emmett F.:  Ta bron orm faoi Mirek. His contributions were thought provoking  … many of us around same age … is there any more information re his life/political evolution. Please pass on my sympathies to friends, family and comrades. A luta continua!