Debatte, Die Linke und die Macht

Obergrenze für Reichtum

DIE LINKE und die Flüchtlingsfrage

Ein Diskussionsbeitrag von „Lernen im Kampf“

Wir müssen reden. So Oskar Lafontaine zum Abschneiden der LINKEN bei der Bundestagswahl. Der saarländische Fraktionschef moniert, dass nur elf Prozent der Erwerbslosen und zehn Prozent der ArbeiterInnen am 24. September die Partei gewählt haben. Daraus folgert er: „Der Schlüssel für diese mangelnde Unterstützung durch diejenigen, die sich am unteren Ende der Einkommensskala befinden, ist die verfehlte ‚Flüchtlingspolitik’“ (Gastkommentar im Neuen Deutschland vom 27. September 2017). Lafontaine liegt falsch mit seinem geforderten Richtungswechsel. Aber auch die meisten Entgegnungen aus der Linkspartei sind unzureichend.

Gegenüber 2013 konnte DIE LINKE ihr Ergebnis leicht verbessern: von 8,6 auf 9,2 Prozent. 4,3 Millionen Menschen gaben der Partei ihre Stimme, absolut eine halbe Million mehr als vor vier Jahren. Während die Linkspartei, wie schon bei den vorhergehenden Wahlen, im Osten Federn ließ, konnte sie im Westen zulegen und sich mit im Schnitt sieben Prozent oberhalb der Fünf-Prozent-Marke stabilisieren. Wäre DIE LINKE im Wahlkampf den Vorschlägen von Lafontaine und Sahra Wagenknecht gefolgt, hätte die Partei der „Alternative für Deutschland“ keineswegs, wie impliziert wird, das Wasser abgegraben. Vielmehr hätte sich sehr wahrscheinlich ein Teil der jetzigen WählerInnen abgesetzt.

Lafontaine befördert die Spaltungspolitik

Mit seiner aktuellen Wortmeldung bleibt Lafontaine sich in dieser Frage – leider – treu. Bereits 1988 wandte er sich (damals noch als saarländischer SPD-Ministerpräsident) gegen den Zuzug der sogenannten Spätaussiedler – und zielte darauf ab, den seinerzeit im Anstieg begriffenen Republikanern so Konkurrenz zu machen. 2005 erklärte er in einer Rede, der Staat sei „verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“. Mit solchen Äußerungen treibt er einen Keil in die Arbeiterklasse. Nicht „Spätaussiedler“ oder „Fremdarbeiter“ drücken Löhne oder betreiben Kündigungen, sondern (deutsche) Unternehmer.

Gleiches gilt gegenwärtig für die AsylbewerberInnen. Hier sagt Lafontaine im ND-Beitrag: „Millionen Kriegsflüchtlinge vegetieren in den Lagern, weitere Millionen Menschen haben gar keine Chance, ihre Heimat wegen Hunger und Krankheit zu verlassen. Man hilft unstrittig viel mehr Menschen, wenn man die Milliarden, die ein Staat ausgibt, um das Schicksal der Ärmsten dieser Welt zu verbessern, dazu verwendet, das Leben in den Lagern zu erleichtern und Hunger und Krankheit in den Armutsgebieten zu bekämpfen.“ Es ist bei der Mehrheit der LINKEN unstrittig, dass „die Milliarden, die für Interventionskriege und Rüstung ausgegeben werden“, wie Lafontaine schreibt, genutzt werden sollten, „den Ärmsten in der Welt zu helfen“. Trotzdem kann den Flüchtlingen, die nach Europa und Deutschland kommen, nicht das Bleiberecht verwehrt werden.

Ähnliches gilt für Wagenknechts Äußerung vorm Bundestagswahlkampf, wonach diejenigen, die ihr „Gastrecht“ missbrauchen, fliegen.

In all diesen Fällen ist (wie auch internationale Beispiele belegen) davon auszugehen, dass die für solche rechten Töne offenen WählerInnen eher das Original als die Kopie wählen. Die AfD bekommt so Rückenwind und die herrschende Politik wird weiter nach rechts verschoben.

Kritik an Lafontaine unzureichend

Auch wenn Lafontaines Antworten falsch sind, ist es natürlich keine Frage, dass etliche Beschäftigte, Erwerbslose, sozial Benachteiligte verunsichert sind, ob und wie man die Flüchtlinge hierzulande unterbringen kann. Angesichts dessen, was sie tagaus tagein zu bürden haben, sorgen sich viele, wenn die CDU-Kanzlerin Angela Merkel verkündet: „Wir schaffen das“.

Vor diesem Hintergrund sind die meisten (vorwiegend moralischen) Reaktionen innerhalb der LINKEN auf Lafontaine ungenügend. Gregor Gysi pocht in seinem ND-Artikel beispielsweise auf den „humanistischen Ansatz“. Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz (marx21) plädiert für ein „starkes antifaschistisches Zeichen“.

Wer zahlt?!

Zum einen ist es ohne Frage die Aufgabe der LINKEN, für das Bleiberecht einzutreten und Abschiebungen zu bekämpfen. Zum anderen sollte die Linkspartei bei der „Kostenfrage“ indes sehr viel offensiver als bisher argumentieren: Deutschland ist ein reiches Land, doch der Reichtum ist ungleich verteilt. Die Gelder, die zur Finanzierung von Flüchtlingen anfallen, müssen den Reichen – die durch ihre Politik ohnehin verantwortlich zeichnen für Armut und Kriege – aufgebürdet werden.

Wir denken, dass das, was wir am 8. Januar 2017 – im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes – auf unserem Blog „Lernen im Kampf“ formulierten, weiter richtig bleibt: „Initiativen und die Beteiligung an Protesten gegen die AfD und Pegida sind nötig. Aber reflexartige Antworten, die bei Slogans wie ‚Nazis und Rassisten stoppen‘ stehenbleiben, würden eine falsche Stoßrichtung bedeuten. (…) Nötig wäre es, Forderungen zugespitzt zu formulieren: ‚Für eine SONDERabgabe der Reichen‘, ‚Wohnungen für ALLE‘ … – verbunden mit griffigen Zahlen (eine Millionärssteuer von ein Prozent brächte ca. zehn Milliarden Euro etc.; in der EU stehen laut Guardian elf Millionen Wohnungen leer). Man stelle sich vor, die Linkspartei würde hierzu eine öffentlichkeitswirksame Kampagne starten (Massenflyer, Plakate, Talkshow-Auftritte, Stände/Kundgebungen). Auch der Slogan ‚Obergrenze für Reichtum‘ ist propagandistisch gut und brauchbar.“ (DIE LINKE vor der Bundestagswahl 2017)

Integration

Darüber hinaus ist es nötig, sowohl in der Linkspartei als auch in den Gewerkschaften darauf hinzuwirken, der Integrationsdebatte nicht auszuweichen, sondern die Frage aufzuwerfen: Integration wohin?

In unserer Blog-Stellungnahme vom 8. Januar stellten wir hierzu fest: „Viele in der Linken sagen, man dürfe sich die Losung nach Integration nicht zu eigen machen. Natürlich muss man aufpassen, dass man sich nicht vor den Karren der ‚Man spricht Deutsch‘-Haltung der Bürgerlichen spannen lässt. Aber: Ghettobildung, menschenunwürdige Sammelunterkünfte etc. sind klar abzulehnen. Und den Rechtspopulisten fällt es einfacher zu punkten, solange MigrantInnen ‚Fremdkörper‘ bleiben. Deshalb ist eine ‚Integration von unten‘ statt von oben, eine Integration in die Arbeiterbewegung und nicht in die bürgerliche Gesellschaft, eine Schlüsselfrage. Dazu gehören Forderungen der Gewerkschaften nach kostenlosen Sprachkursen, einer sofortigen Aufnahme in den Arbeitsmarkt (was die IG Metall auch immerhin fordert), gegen ein Unterlaufen des Mindestlohns etc. Diese Debatten gilt es in die Betriebe zu tragen, was kaum organisiert passiert. Konkrete gewerkschaftliche Initiativen zur Integration können ein Beispiel vermitteln.“

Aussichten

Für viele KollegInnen in den Krankenhäusern und Kitas, bei Daimler und bei Thyssen-Krupp mutete der Bundestagswahlkampf ein Stück weit wie eine Parallelwelt an. Dem Establishment mitsamt seinen Parteien und Medien ist es gelungen, die soziale Frage großteils rauszuhalten. Bis hin zu einem „Kanzler-Duell“, das alles war, bloß kein Duell.

Seit dem Wahlabend wird seitens der bürgerlichen Kräfte noch stärker betont, dass man zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und denen aus humanitären Gründen unterscheiden müsse. Im Unionslager hat sich – vor den Jamaika-Verhandlungen – die CSU mit ihrer Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr durchgesetzt.

Um so wichtiger, dass die Linkspartei sich nicht beteiligt an diesem Überbietungswettbewerb der Bürgerlichen in Sachen Rassismus, sondern deutlicher als zuvor ihre Alternative formuliert: Für den gemeinsamen Kampf von deutschen und nichtdeutschen Beschäftigten und Erwerbslosen, für eine Sonderabgabe der Reichen, die Flüchtlingen und anderen von Wohnungsmangel, Verarmung etc. Betroffenen zugute kommt, für die Integration von Lohnabhängigen aus Syrien, Bosnien und anderen Ländern in die Arbeiterbewegung, für eine sozialistische Veränderung der Gesellschafts- und Machtverhältnisse europa- und weltweit.

Lesetipps:

Jan Ole Arps: Solidarität nur mit Einheimischen. Oxi-Blog, 28.09.2017.

Özlem Alev Demirel: Was die 2. Internationale zu linker Flüchtlingspolitik sagte. ND, 12.10.2017.