Seit Längerem diskutieren und begleiten wir die Bewegungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen solidarisch. In den letzten Wochen hat ver.di wichtige Schritte gemacht, die Bewegung für mehr Personal voranzubringen. Wir dokumentieren dazu einen Artikel von Daniel Behruzi, der die Zäsur des Streiks an der Marienhausklinik herausstellt.
Der für den heutigen Mittwoch (11.10.2017) anberaumte Streik an der Marienhausklinik Ottweiler wird keine Massenveranstaltung. Dennoch schreiben die Pflegekräfte des kleinen Krankenhauses in der saarländischen Provinz Geschichte: Erstmals legen Beschäftigte einer katholischen Einrichtung die Arbeit nieder, um für Entlastung und mehr Personal zu demonstrieren. So etwas hat es noch nicht gegeben. Denn bislang sind Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft hierzulande ein weitgehend rechtsfreier Raum. Gesetze wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Tarifvertragsgesetz oder das Betriebsverfassungsgesetz gelten hier angeblich nicht. Selbst ein Grundrecht wie das von abhängig Beschäftigten, ihre Arbeit kollektiv zu verweigern, wird von den christlichen Kirchen nicht anerkannt. Umso größer ist der Respekt vor denjenigen, die sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Den Ottweiler Pflegekräften geht es nicht so sehr um Juristisches. Sie wollen vor allem eins – dass sich ihre unhaltbaren Arbeitsbedingungen endlich verbessern. Dafür haben sie schon viel getan. Mit Appellen an die Klinikleitung, Briefen an den Bischof, Petitionen und Demonstrationen haben sie darauf hingewiesen, dass die Zustände unerträglich sind – für sie selbst, aber auch für ihre Patientinnen und Patienten. All das hat nicht gewirkt. Deshalb streiken sie jetzt.
Der Personalmangel ist kein Alleinstellungsmerkmal kirchlicher Krankenhäuser. Aber sie sind eben auch nicht besser als Einrichtungen anderer Träger. Auch hier müssen Beschäftigte ständig außerhalb des Dienstplans einspringen, sind Pflegekräfte nachts allein auf der Station, bleibt keine Zeit für ausreichende Händedesinfektion oder die Anleitung von Auszubildenden.
Die Gewerkschaft Verdi hat sich auf die Fahnen geschrieben, dies zu ändern. Das geht nur, wenn sich auch die Belegschaften konfessioneller Einrichtungen bewegen. Denn fast jedes dritte Krankenhaus in Deutschland wird von der katholischen oder evangelischen Kirche betrieben. Wie alle anderen sind sie längst keine rein karitativen Kliniken mehr, sondern Wirtschaftsunternehmen. Sie streben danach, Umsätze zu steigern und Kosten zu reduzieren – durch Ausgliederungen, Lohnkürzungen, Stellenabbau. Vor diesem Hintergrund ist das kirchliche Sonderrecht ein Wettbewerbsvorteil: Wer sich nicht an Tarifverträge halten und Betriebsräte dulden muss, ist potentiell billiger.
Die Widersprüche sind allzu offensichtlich. In Sonntagspredigten und Pressemitteilungen setzen sich Kirchen, Diakonie und Caritas zwar für die Kranken und sozial Schwachen ein. Doch in ihren Einrichtungen regiert die knallharte Betriebswirtschaft. Wo bleiben die »Nächstenliebe und der ganzheitliche Dienst am Menschen«, wenn Pflegebedürftige nicht zur Toilette begleitet, Sterbende allein gelassen werden? Wer über die Verbesserung dieser Zustände nicht verhandeln will, ist zynisch.
Der Artikel wurde zuerst am 11.10.2017 in der Tageszeitung junge welt veröffentlicht.