Betrieb und Gewerkschaft, In eigener Sache, Kommentar, Solidarität

Solidarität neu lernen

Die Konferenz „Erneuerung durch Streik III“ hat „Durchsetzungsfähigkeit stärken“ als eines ihrer Mottos gewählt. Dahinter steht die bittere Erfahrung fehlender oder sehr begrenzter Erfolge in Tarifbewegungen. Die Frage nach einer Stärkung der Durchsetzungskraft ist dabei immer auch die Frage nach der Solidarität.

von Nelli Tügel und Christoph Wälz

Uns fallen eine ganze Reihe jüngerer Tarifkämpfe ein, die von außerbetrieblichen Solidaritätsbewegungen begleitet wurden: Charité / CFM (seit 2011), Einzelhandel (2013), Amazon (seit 2013), Deutsche Bahn (2014/15) und der Sozial- und Erziehungsdienst (2015) sind nur einige davon.

Auch in der Industrie kann Solidaritätsarbeit eine immense Bedeutung gewinnen, besonders wenn es um Abwehrkämpfe gegen Betriebsschließungen geht. In den letzten Jahren standen in Deutschland jedoch Streiks im Dienstleistungssektor im Vordergrund. Dies betrifft vor allem die Gewerkschaft ver.di, die oft in Bereichen, die schlecht organisiert und von prekärer Beschäftigung zerklüftet sind, Widerstand organisieren muss.

Streiks in sozialen Berufen sind meist davon geprägt, dass kein ökonomischer Schaden entsteht, während das Verantwortungsbewusstsein der Beschäftigten sehr hoch ist. Die Gewerkschaften waren 2015 im Sozial- und Erziehungsdienst darauf angewiesen, sich an die lokale Bevölkerung und an die NutzerInnen der bestreikten Dienstleistungen zu wenden und für Verständnis zu werben. Örtliche Soli-Komitees haben dabei geholfen, die Unterstützung betroffener Eltern für den Streik zu gewinnen und aufrecht zu erhalten.

Diese Form der Solidaritätsarbeit setzt an der Erkenntnis an, dass die Interessen von Beschäftigten und NutzerInnen identisch sind. Bisher am weitesten hat das „Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ diesen Ansatz entwickelt. Die vier Jahre dauernde Tarifbewegung an der Charité wurde durch ein kontinuierlich arbeitendes Soli-Bündnis gestützt. Dabei wurde versucht, das gemeinsame Interesse von Beschäftigten, PatientInnen und deren Angehörigen an guter Krankenversorgung herauszustellen und so über den rein betrieblichen Kampf hinaus zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu kommen.

Auch in Bereichen, in denen Streiks ökonomischen Schaden verursachen, kann Solidarität helfen, die Moral der Kämpfenden zu stärken, die öffentliche Stimmung zu beeinflussen und den Arbeitgeber unter Druck zu setzen. Das Beispiel Amazon hat gezeigt, wie hartnäckig sich der Handelsgigant dagegen wehrt, Tarifverhandlungen aufzunehmen. Streiks wurden oft als Kampfmaßnahmen von betrieblichen Minderheiten begonnen, die dankbar Unterstützung von Soli-Gruppen angenommen haben.

Ein Grund für zunehmende Sturheit auf Arbeitgeberseite ist die Sorge, Präzedenzfälle zu schaffen. So weigert sich das Land Berlin aus Prinzip, ausgegliederte Bereiche wieder in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes zurückzunehmen. Die richtige Antwort hat der „Gewerkschaftliche Aktionsausschuss gegen prekäre Arbeit und tariffreie Bereiche im Verantwortungsbereich des Landes Berlin“ gegeben. Dort tauschen sich die Betroffenen solidarisch über Strategien aus, ihr gemeinsames Interesse durchzusetzen.

Die Konferenz „Erneuerung durch Streik“ wird Erfahrungen mit Solidarität diskutieren und möchte dazu beitragen, dass betrieblich Aktive und hauptamtliche GewerkschafterInnen, wie auch die politische Linke insgesamt ein wichtiges Kampfmittel neu erlernen.

Dieser Artikel erscheint in „betrieb & gewerkschaft“ 09/2016, der Zeitung der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft der Partei DIE LINKE. Der Artikel ist eine gekürzte, aktualisierte und angepasste Variante unseres Artikels „Solidaritätsarbeit für Streiks„, der auch eine Liste mit Literaturempfehlungen zum Thema enthält.

Veranstaltungstipp:

Arbeitsgruppe 21 bei der Konferenz „Erneuerung durch Streik III“

So, 02.10.2016, 9:30 Uhr bis 12 Uhr

SOLIDARITÄT ALS MACHTFAKTOR? CHANCEN UND GRENZEN DER UNTERSTÜTZUNG VON AUSSEN.

JULIA DÜCK (Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus): Der Kampf um Personal als gesellschaftliche Auseinandersetzung – das Beispiel Charité. SEBASTIAN BANDELIN (Streik-Solidaritätsbündnis Leipzig): Erfahrungen mit der Streiksolidarität bei Amazon. JÜRGEN EHLERS (Solidaritätsbündnis Sozial- und Erziehungsdienste Frankfurt/M): Die Rolle des Solidaritätsbündnisses im Aufwertungskampf der Sozial- und Erziehungsdienste.

Moderation: NELLI TÜGEL (Historikerin), CHRISTOPH WÄLZ (GEW Berlin)