Betrieb und Gewerkschaft, Debatte, Solidarität

Vergangene Rückschläge und heutige Kämpfe

Überlegungen, wie wir heute als Gewerkschaftsbewegung wieder vorankommen können – anlässlich einer Protestaktion der Beschäftigten des Botanischen Gartens in Berlin-Lichterfelde am 02.04.2016.

von Christoph Wälz

Zum wiederholten Male haben die Kolleg*innen des Botanischen Gartens protestiert – diesmal nicht nur gegen Lohndumping, sondern auch gegen Betriebsratsbehinderung, Einschüchterungen und weitere Ausgliederungen. Unterstützt wurden sie von der „Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht“ sowie von Beschäftigten anderer Betriebe im Verantwortungsbereich des Landes Berlin, die seit einiger Zeit gut vernetzt gegen Tarifflucht und prekäre Arbeit agieren.

Die zahlreichen Besucher*innen des Staudenmarkts im Botanischen Garten wurden mit einem Flugblatt der ver.di-Betriebsgruppe über die Missstände im Betrieb informiert. Darin wurde auch zur Solidarität aufgerufen. Auf dem Betriebsgelände machten Aktivist*innen mit der Aktion „Ausbeutung wegfegen“ auf das Unrecht aufmerksam, das einem größer werdenden Teil der Belegschaft widerfährt: Durch die Ausgliederung in eine Betriebsgesellschaft werden Gärtner, Techniker und Putzkräfte für die gleiche Arbeit schon seit Jahren deutlich schlechter bezahlt als ihre Kolleginnen und Kollegen, für die nach wie vor der Tarifvertrag der Länder (TV-L FU) gilt. Und nun sollen die Putzkräfte durch Werkverträge noch mal schlechter gestellt werden!

Verantwortlich sind dafür neben der Geschäftsführung die Freie Universität und das Land Berlin. Viele Besucher*innen reagierten erstaunt oder empört, als sie erfuhren, dass der Senat im öffentlichen Bereich Lohndumping ermöglicht.

Nachgedacht habe ich noch länger über ein Gespräch mit einer Kollegin. Auch wenn diese in ver.di aktiv ist, steht für ihr Verhältnis zur Gewerkschaft die Verbitterung über die Lohneinbußen, die mit der Einführung des TVöD verbunden waren, im Vordergrund. Ich kenne die Unterbrechungsregelung bei der Stufenzuordnung, die die Kollegin zu Recht beklagte, aus dem TV-L, wusste allerdings nicht, dass es diese im früheren BAT nicht gegeben hat. Das ist dann damals (vor zehn Jahren) eine krasse Verschlechterung gewesen.

Solch ein Gespräch hatte ich länger nicht mit ver.di-Mitgliedern. Meist gingen die Diskussionen der letzten Jahre darum, wie jetzt, unter den schwierigen Bedingungen prekärer Arbeitsverhältnisse, ein Neuaufbau gewerkschaftlicher Strukturen erreicht werden kann. Insbesondere in ver.di gab und gibt es hier wichtige Entwicklungen. Auf „Lernen im Kampf“ haben wir uns mehrfach dazu geäußert. Am deutlichsten kommt unsere Haltung zu ver.di in den Artikeln von Nelli Tügel und mir zum Tarifkonflikt im Sozial- und Erziehungsdienst (2015) zum Ausdruck.

Unsere ganze Haltung gegenüber ver.di – und auch der Gewerkschaftsbewegung insgesamt – sollte heute von einer kämpferisch-konstruktiven Haltung geprägt sein, der es darum geht, nach vielen Rückschlägen und Niederlagen wieder voran zu kommen.

Ich denke jedoch, dass Äußerungen wie denen, die ich während der Protestaktion mitbekommen habe, nicht einfach entgegnet werden kann, dass wir jetzt eben „nach vorne schauen“ müssen. Damit würde realen Erfahrungen unserer Klasse die Bedeutung abgesprochen werden. Wir müssen schließlich daraus für kommende Auseinandersetzungen lernen.

Einige klassenbewusste ÖTV-Mitglieder haben sich 2000 gegen die Gründung von ver.di gewandt. Mit ver.di (und damit mit 13 de facto voneinander unabhängigen Fachbereichen) wurde die Einheit des öffentlichen Dienstes gewerkschaftspolitisch aufgegeben. 2005/06 habe ich dann zusammen mit anderen Kolleg*innen gegen die Abschaffung des BAT/BMT-G und die Einführung des TVöD/TV-L gekämpft. Und was ist heute? Trotz alledem kämpfen wir in und mit (!) ver.di für (!) den „TVöD für alle“, zum Beispiel bei Vivantes. Wieder voran kommen…

Welchen Platz haben die Erfahrungen vergangener Rückschläge und Niederlagen in unseren heutigen Kämpfen? Sie dürfen für den Wiederaufbau der Arbeiterbewegung nicht verloren gehen, dürfen uns aber auch nicht daran hindern, Kolleg*innen zu organisieren, zu mobilisieren – und Kämpfe wieder zu gewinnen. Ein schwieriges Verhältnis.

Ich habe auch in meiner Gewerkschaft, der GEW, mehrfach mit Kolleg*innen diskutiert, die 2003 ausgetreten sind, nachdem unsere Gewerkschaft die massive Arbeitszeiterhöhung für Berliner Lehrkräfte nicht verhindert hatte. Ich habe auch lange Verständnis dafür gehabt, merke aber zunehmend, wie es uns diese Haltung erschwert, heute wieder eine Durchsetzungsfähigkeit aufzubauen. Angestellte Kolleg*innen, die nicht Gewerkschaftsmitglied sind, streiken eben höchstens symbolisch einmal im Jahr. Für eine wirklich massive Bewegung gegen den Arbeitgeber fehlt ihnen die Streikkasse.

Lesetipps:

Ausbeutung wegfegen (Artikel von Wladek Flakin in der Tageszeitung „junge welt„, 04.04.2016)

Website der ver.di-Betriebsgruppe Botanischer Garten

Themenseite des Labournet zum Botanischen Garten