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USA: Zeit, den Gefängnisausbruch zu planen!

Im Interview mit „The Young Turks am 23.03.2016 betonte Bernie Sanders die Notwendigkeit, Bewegungen aufzubauen und – über seine Präsidentschafts-Kandidatur hinausgehend – bei Wahlen eigene KandidatInnen aufzustellen, um eine „politische Revolution“ zu erreichen. Außerdem umriss er eine Strategie, um Hillary Clinton nach links zu drücken, falls er die Vorwahlen der Demokratischen Partei verlieren sollte.

von Stephan Kimmerle, Seattle/ USA

Viele seiner UnterstützerInnen verstehen seine Äußerungen so, dass er Bedingungen formuliert für einen Wahlaufruf für Hillary Clinton (wenn er verlieren sollte) und befürworten eine solche Strategie. Allerdings wird dieser Plan die politische Revolution nicht voran bringen. Falls Sanders die Vorwahlen in der von der Wall Street dominierten Partei nicht gewinnt, sollte er als unabhängiger Kandidat oder mit Jill Stein von der Grünen Partei antreten und den Kampf bis zu den Wahlen im November fortsetzen. UnterstützerInnen der Sanders-Bewegung dürfen nicht zulassen, dass die Bewegung innerhalb der begrenzten Möglichkeiten der Demokratischen Partei gefangen genommen wird.

Hunderttausende stimmten am Samstag, den 26.03.2016, im Bundesstaat Washington bei den Vorwahlen für Bernie Sanders. Trotz der mehrheitlichen Unterstützung der Delegierten für die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton ist die politische Revolution lebendig und wehrt sich. Sanders gewann erdrutschartig die Wahlen in den Bundesstaaten Washington, Alaska und Hawaii. Zehntausende strömten einen Tag vor den Vorwahlen zum Safeco Field in Seattle. In all den übrigen Bundesstaaten, in denen die Vorwahlen noch anstehen, sind die „Millenials“ und „Sandernistas“ bereit, ihre Stimme für einen flächendeckenden Mindestlohn von 15 Dollar, ein Gesundheitssystem für alle und eine gebührenfreie Bildung zu erheben.

Gleichzeitig hat die Diskussion über eine mögliche Niederlage von Sanders, falls er weiter zurückfallen sollte, begonnen. Trotz des überwältigenden Wahlerfolgs am 26.03. müsste er in den bevorstehenden Vorwahlen 57% der Stimmen für sich gewinnen, nur um auf Gleichstand mit Clinton zu kommen. Dabei sind die Stimmen der Superdelegierten – 490 zu 27 gegen Bernie – nicht berücksichtigt.

Umfragen zeigen, dass er in einigen Vorwahlen gute Chancen hat und in anderen wiederum, wie in New York, mit deutlichen Hürden rechnen muss. Sanders selbst sprach diese sich aufdrängende Frage im Interview mit „The Young Turks“ am 23.03. an.

„Falls wir nicht gewinnen….“

Falls wir nicht gewinnen“, antwortete der Senator aus Vermont, wird die Frage sein: „Was wird das demokratische Establishment für uns tun?“ Sanders formulierte die Frage weiter aus: „Werden sie die Arbeiterklasse und Jugend in der Demokratischen Partei willkommen heißen oder wird die Partei weiterhin eine Partei der Oberschicht, der Cocktailtrinkenden und Großspender des Wahlkampfs sein?“

Die Erfahrungen der Sanders-Kampagne geben eine deutliche Antwort. Das DNC (Democratic National Committee, Anm. d. Ü.) wird dich vielleicht einige Zeit auf ihrer Cocktailparty dulden, allerdings wird diese Partei finanziert – und entsprechend kontrolliert – von der Wall Street und großen Unternehmen.

Kshama Sawant (sozialistische Stadträtin in Seattle, Anm. der Ü.) und die Socialist Alternative Party (deren Mitglied Sawant ist; Socialist Alternative gehört der internationalen Strömung CWI an, Anm. der Ü.) haben, lange bevor Bernie seine Kandidatur ankündigte, für eine eigenständige Kandidatur argumentiert. Stattdessen entschied er sich für eine Kandidatur in der Demokratischen Partei. Trotzdem standen Kshama und die Socialist Alternative nicht am Rande der Ereignisse.

Als Bernie Sanders, der sich kompromisslos als ein „demokratischer Sozialist“ beschreibt, seine Kandidatur mit einem Pro-Arbeiterklasse Programm in einem konzernfreundlichen Anti-ArbeiterInnen Parteirahmen ankündigte, begannen wir eine Kampagne zur Unterstützung für Bernies Programm. Wir haben natürlich Differenzen zu Bernie, einige große mit Teilen seiner Außenpolitik.

Trotzdem versuchten wir möglichst Viele für sein Programm zu gewinnen, denn wir denken, dass sein Programm Millionen mobilisieren kann. So wurden wir Teil des wachsenden Umbruchs unter dem Slogan „für eine politische Revolution gegen die Milliardärsklasse“. Wir gründeten #Movement4Bernie (Bewegung für Bernie, Anm. d. Ü.) und engagierten uns aktiv in der Arbeit für Bernie, um mit den standfestesten UnterstützerInnen in Austausch zu treten.

Welche Erfahrungen wurden bisher gemacht? Der positive Aspekt sind die Dutzenden Millionen Menschen, die von dem mutigen Aufruf inspiriert wurden, endlich die Macht aus den Händen der Konzerneliten, ihrer Politiker und der etablierten Medien zu nehmen.

Andererseits wurde deutlich, dass die Demokratische Partei eine giftige Umgebung für einen solchen Aufruf ist. Die Demokratische Partei wird von der Wall Street finanziert und Clinton kann sich ungehindert aus diesem Topf bedienen. Bernie hingegen ist auf Spenden von Millionen von Menschen und deren kleine Beiträge angewiesen. Die Vorwahlen werden durch die Strukturen der Partei im Interesse des großen Geldes organisiert und kontrolliert, was sich in den ungewählten Superdelegierten äußert. Wenn sich dieser Prozess ungehindert fortsetzt – und Anzeichen für einen Umbruch von nötigem Ausmaß gibt es keine – werden wir den Kampf für eine politische Revolution verlieren.

Füllt die Parteiführung Football Stadien?

Trotz der jüngsten großen Erfolge hinkt Bernie in den Vorwahlen noch immer hinterher. Aber nicht, weil seine Politik auf wenig Resonanz stößt und niemanden inspiriert. Er fällt signifikant zurück, weil die Demokratische Partei erfolgreich kapitalnahe Politiker wie Clinton als progressiv im Vergleich zu den Rassisten und Sexisten der Rechten darstellen kann. Dabei greifen diese Politiker die Interessen der arbeitenden Bevölkerung und Armen genauso an, nur eben scheinbar in einem „geringeren“ Maße.

Ich habe mit führenden Mitgliedern der Demokratischen Partei gesprochen“, argumentiert Bernie, „und sie gefragt, ob sie sich, statt all dieses Geld von den Reichen zu nehmen, in einem Football Stadion treffen und fünfzig- oder hunderttausend Menschen einladen, gar die Senatoren der Demokraten hinbringen und die einfachen Menschen fragen würden, was man für sie tun könnte.“

Ja, warum kann die Demokratische Partei eigentlich keine Stadien füllen? Vielleicht inspiriert die Politik im Interesse des Kapitals keine gewöhnlichen Menschen. Vielleicht wollen diese Politiker diese Menschen weder inspirieren, noch mobilisieren oder politisch aktivieren.

Zehntausende riefen am Samstag ihre Unterstützung für Bernie in Seattles Safeco Field lauthals heraus. Im Vergleich dazu versammelte Hillary in Seattle 2000 Menschen in einem High-School Sportsaal.

Und trotzdem stehen die Superdelegierten mit 467 zu 27 hinter Clinton, der Walmart-, Wall Street-, kriegsbejahenden Kandidatin, denn sie gehören demselben Klüngel an. Sie sind es, die Bernie treffend als „zu Tode erschrocken“ von seinem Erfolg beschrieb.

Die Demokratische Partei wiederbeleben“

Falls ich nicht gewinne – und wir werden bis zur letzten Stimmabgabe hart kämpfen“, argumentiert Bernie Sanders im Interview, „wollen wir die Demokratische Partei wiederbeleben und zu einer Partei der gewöhnlichen Menschen umkrempeln.“

Der Journalist Cenk Uygur von „The Young Turks“ fragte zurück, wie er das tun wolle und welche Positionen Clinton denn aufgreifen solle.

Ich fordere von Clinton, dass sie sich, wenn sie nominiert wird, für eine Krankenversicherung für alle einsetzt, für einen Mindestlohn von 15 Dollar. Ich möchte, dass unsere Infrastruktur erneuert wird, Flint/ Michigan ist nicht die einzige Kommune in Amerika, die kein sicheres Trinkwasser hat. Ich fordere intensive Anstrengungen, um dem Klimawandel zu begegnen, die Abschaffung der Studiengebühren für Colleges und Universitäten, eine Wall Street Steuer auf Spekulationen.“

Für Menschen, die sich noch an Sanders früheres Versprechen erinnern, Clinton zu unterstützen, sollte er verlieren, klingt das schon besser, weil er Forderungen an Clinton stellt. Manche Leute haben begonnen zu hoffen, dass Sanders Hillary nicht unterstützen wird.

Im Laufe der Kampagne ist Sanders weiter nach links gerückt; er hat zunehmend radikaler gegen das Establishment und dessen Verstrickungen mit den Interessen der großen Unternehmen geschossen. Das ist der Hauptgrund seiner Anziehungskraft.

Aber was ist die Logik von Sanders Position, wenn man sie bis zu Ende denkt? Kann das Establishment der Demokratischen Partei sein Programm akzeptieren?

Es ist sicherlich wahr, dass Hillary und das Establishment Sanders an Bord haben wollen für die Wahlen, damit er seine Basis, besonders die jungen Leute, mitzieht. Die Primaries haben ihre dahingehenden Schwächen offenbart und gezeigt, wie offensichtlich ihre Unterstützung des Establishments ist.

Wir haben bereits früher betont, dass das demokratische Establishment, das die Interessen der oberen ein Prozent repräsentiert, Sanders Programm für radikale Reformen nicht unterstützen kann. Es würde der Arbeiterklasse zu viel Selbstbewusstsein schenken, für eine tiefgreifende Veränderung zu kämpfen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Demokraten nicht auch ihre Rhetorik um ein paar Grad nach links verschieben können, wie es Hillary ja bereits getan hat. Aber heißt das auch, dass sie, wenn es hart auf hart kommt, ihre Versprechen halten würden?

Die Art und Weise, wie Sanders seine Forderungen an Clinton gerichtet hat – im Zusammenhang mit der Ankündigung, bis zur letzten Stimme zu kämpfen – hinterlässt den Eindruck, seine Strategie bestehe darin, zu versuchen, sie nach links zu drücken und die Demokraten irgendwann in der Zukunft, wenn seine Kampagne keine Gefahr mehr darstellt, zu reformieren.

Das ist auch genau der Punkt, an dem Cenk Uygur nachhakte: Selbst wenn Clinton dieses oder jenes verspräche, würde Bernie ihr denn wirklich glauben?

In seiner Antwort bezog sich Sanders auf Tom Donahue, einen Lobbyisten von „Chamber of Commerce„, der gesagt hatte: „Macht euch keine Sorgen über das, was Clinton während der Kampagne sagt, sie versucht nur gegen Sanders anzukommen. Wenn sie gewählt ist, denke ich, wird sie TPP zustimmen“, das neoliberale Freihandelsabkommen also, dem sie als Außenministerin auf den Weg geholfen hatte und das sie nun plötzlich ablehnt.

Die Widersprüchlichkeit seiner Argumentation erkennend fügte Sanders im Interview hinzu: „Was wir brauchen, ist eine Bewegung, die von gewählten Vertretern Rechenschaft einfordert und nicht zulässt, dass sie ihre Positionen ändern.“

Ohne Bewegungen, ohne die Energie der in die politische Arena drängenden Massen, wird sich nichts ändern. Aber ohne ein organisiertes und politisches Rückgrat, werden diese Bewegungen vereinnahmt und ausverkauft. Dies ist in der Vergangenheit zu oft passiert.

Nochmal, was ist die Logik von Sanders Plan, die Demokraten „wiederzubeleben“? Um das hinzukriegen, bräuchte es eine unabhängige Bewegung und eine unabhängige Organisierung. Um erfolgreich das Establishment der Demokratischen Partei auszubooten, müsste die Bewegung erst einmal eine eigene Organisation und eine Führung entwickeln, um den Kampf zu bündeln. Eine solche Organisierung müsste stark genug sein, es mit den Bossen und ihren Repräsentanten aufzunehmen.

Mit anderen Worten: Wir müssten im Grunde eine unabhängige Partei aufbauen. Das heißt, wenn wir eine neue Partei brauchen, um es mit der Führung und den Strukturen der Demokratischen Partei überhaupt wirklich aufnehmen zu können, warum dann überhaupt diese Energie in erster Linie in die Demokratische Partei leiten? Am Ende des Tages können die Demokraten nicht beides sein: Eine Partei der Unternehmerelite und eine Partei der 99%. Wir argumentieren daher, dass die Zeit gekommen ist, um eine solche Partei der 99% – unabhängig von beiden großen Establishmentparteien – zu gründen.

Kshama Sawants Wahl und Wiederwahl als sozialistische Stadträtin in Seattle zeigen die Möglichkeiten, die dafür existieren.

„Wir brauchen – ob ich nun gewinne oder verliere – eine politische Revolution“

Wenn die Demokraten deutlich machen, dass sie das Programm von Sanders politischer Revolution nicht akzeptieren, was wird er dann tun? In dem Interview unterstreicht Sanders völlig korrekt: „Wir brauchen – ob ich nun gewinne oder verliere – eine politische Revolution. Wir müssen damit beginnen, Menschen zu wählen, die sich den Working-Class-Familien in diesem Land verpflichtet fühlen.“

Wir sagen: Organisieren wir uns, bauen wir diese Bewegung auf und die unabhängigen Strukturen, um genau das zu erreichen. Lasst uns keine Energie in dem abtötenden Rahmen der Demokratischen Partei verschwenden. Wir gründen eine Partei der Menschen aus der Arbeiterklasse.

Bisher hat die Kampagne von Bernie Sanders mit den Widersprüchen einer Pro-Arbeiterklasse Kandidatur innerhalb einer von der Wall Street dominierten Partei jongliert. Bis jetzt hat dieser Widerspruch vor allem dazu geführt, dass eine neue Generation gegen die PolitikerInnen der Bosse aufgestanden ist. Eine neue Generation, die nach einer politischen Alternative sucht.

Wenn Sanders nur kandidiert, um Clinton nach links zu drücken, wird seine Kampagne früher oder später zu einem Feigenblatt für den Apparat der Demokratischen Partei werden. Die Verdienste seiner Kampagne werden sich dann in ihr Gegenteil verkehren; vom Anstacheln einer Revolte dahin, die Energie von Millionen UnterstützerInnen für Clinton umzuleiten und zu vereinnahmen. Zudem würden viele der Engagiertesten demoralisiert zurückgelassen werden.

Socalist Alternative hat einen Vorschlag gemacht, wie Bernie bis zum November kandidieren könnte, ohne dabei die Ängste vor Trump und den damit einhergehenden Druck, hinter Clinton zu stehen, zu ignorieren.

Da immer deutlicher wird, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass Bernie Sanders beim Nominierungsparteitag (mit all seinem undemokratischen Prozedere) eine Chance hat, müssen wir einen Plan B diskutieren. Bernie Sanders und seine UnterstützerInnen sollten jetzt eine Strategie entwickeln, die Bewegung aus dem Gefängnis dieser Wall-Street-Partei zu befreien, um zu verhindern, dass sie sich hinter Clinton gefangen nehmen lässt. Die Demokratische Partei hat die Funktion, dieses Gefängnis zu sein, kontrolliert von den Konzerneliten, um deren Interessen zu wahren. Nur die Gefängnismauern bunt anzumalen, wird nicht ausreichen. Wir brauchen eine unabhängige Partei für und von den 99%.

Übersetzung: Saina Bold

Dieser Text wurde am 31.3.2016 auf der US-amerikanischen Seite socialistalternative.org veröffentlicht.

Weitere Lesehinweise zu Klassenkampf, Bewegung und Vorwahlen in den USA:

Stephan Kimmerle: Von Chicagos Lehrern lernen, junge welt, 05.04.2016.

Dossier der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum US-Wahlkampf.

Zacharias Zacharakis: Amerika driftet nach links, Die Zeit, 19.1.2016.

Aron Amm: Beschäftige fordern „echte Veränderungen“ – „Black Lives Matter“ und der Aufstieg von Bernie Sanders, Lernen im Kampf, 17.10.2015.