Die Linke und die Macht, Schwerpunkt, Theorie und Geschichte

„100 Jahre Revolution in Deutschland“ Teil I: Die Gründung der Spartakusgruppe

Vor hundert Jahren – am 1.1.1916 – gab sich die marxistische Anti-Kriegs-Opposition in der SPD, die Gruppe Internationale“ um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, ein Programm und eine reichsweite Struktur: Es war die Gründung der sogenannten Spartakusgruppe, Vorläufer der linken Strömung in der USPD, des Spartakusbundes und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

von Nelli Tügel

nf Jahre lang von der Novemberrevolution 1918 bis zum gescheiterten Aufstand 1923 unternahm die revolutionäre Strömung der deutschen Arbeiterbewegung mehrere Versuche, die Staatsmacht zu übernehmen.

Dem vorausgegangen war die Spaltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der SPD. Sowohl die revolutionären Jahre Deutschlands (1918-1923), als auch die Zeit der Aufspaltung der deutschen Arbeiterbewegung in eine kommunistische und eine sozialdemokratische Strömung (1914-1919) waren geprägt von widersprüchlichen Prozessen, wechselnden Bündnissen, Zögern, Zweifeln, Fehlern, Revision und kritischer Reflexion durch die bekannten (und unbekannteren) revolutionären Linken wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Karl Radek, Clara Zetkin, Franz Mehring und andere. Alltag waren Verwerfungen, neue Zusammenschlüsse und ein dynamisches Auf und Ab im Klassenkampf.

Leider ist die Geschichtsschreibung der deutschen Revolution oft verkürzt und vereinfacht. Dies vor allem aufgrund der vulgären, schematischen und zu Pathos neigenden Verballhornung der materialistischen Dialektik1 und des historischen Materialismus durch den Stalinismus und das bürokratische System der DDR.

So ist beispielsweise um Karl Liebknecht eine regelrechte Legende des stets aufrechten Einzelkämpfers in der SPD entstanden. Liebknecht machte es sich nicht leicht, der SPD nach dem Burgfrieden mit der deutschen Bourgeoisie anlässlich des Kriegsbeginns 1914 einfach den Rücken zu kehren oder auch nur mit der Fraktionsdisziplin zu brechen aus Sorge, sich innerhalb der Partei und der Arbeiterbewegung zu isolieren. Bei der Abstimmung über die Kriegskredite votierte er nur in der Vorabstimmung innerhalb der SPD-Fraktion dagegen (dort wurde mit 78 gegen 14 Stimmen die Annahme beschlossen). Im Verlauf des 1. Weltkriegs dann jedoch stimmte Liebknecht zunächst als erster und einziger (im Dezember 1914), später mit einer wachsenden Gruppe SPD-Abgeordneter mehrfach gegen die Weiterbewilligung der Kriegskredite. Mit dieser ersten Gegenstimme im Dezember 1914 wurde Liebknecht für die Konstituierung einer Bewegung gegen den Krieg ein wichtiger Bezugspunkt.

Darum, das Richtige“ zu tun, hatte er aber gerungen und tat es in den Folgejahren immer wieder. Sein Abstimmungsverhalten (und anderes) diskutierte er mit Verbündeten, vor allem einer kleinen Gruppe von Revolutionären in der SPD der Gruppe Internationale“ – und befreundeten Revolutionären außerhalb der SPD. Grundlage war für die Gruppe Internationale“ einerseits die Erkenntnis, dass die Führung der SPD einer unabhängigen Klassenpolitik unumkehrbar abgeschworen hatte und ein Bruch mit ihr nötig sei; andererseits die Befürchtung, den Dialog zu dem großen Teil der Arbeiterklasse, der sich an der SPD und den mit ihr verbundenen Gewerkschaften orientierte, durch den offenen Bruch mit der Partei zu verunmöglichen.

Heute gilt es unter vielen revolutionären Linken als gesichertes Wissen“, dass das Zögern der Gruppe Internationale“ und die Umwege über die erst noch in der SPD verbleibende Spartakusgruppe, den Anschluss an die USPD und den Spartakusbund dazu führten, dass die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zu spät stattfand um die Novemberrevolution anführen und zu einer sozialistischen Revolution vollenden zu können. Im Nachhinein ist ein solches Urteil denkbar leicht zu fällen. Die historischen Debatten und Erfahrungen der deutschen Revolutionäre jedoch zeigen, wie schwierig es sein kann, die Frage der Organisierung klar und konkret zu beantworten. Auch international war diese Frage Gegenstand von Debatten, die immerhin erst 1919 ein halbes Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der 2. Internationale und nach der Russischen Revolution zum endgültigen Bruch mit der alten Internationale und zur Gründung der 3. Internationale führten.

In seinem, den gesamten hier skizzierten Zeitraum untersuchenden Werk The German Revolution“ fasst Pierre Broué den Prozess folgendermaßen zusammen und warnt damit vor einer schematisierenden Darstellung der Ereignisse: Von 1918 bis 1923 war der Kampf im revolutionären Deutschland nicht täglicher Straßenkampf und Barrikadensturm; er wurde nicht ausschließlich mit Maschinengewehren, Mörsern und Flammenwerfern geführt. Er war auch und vor allem der versteckte Kampf in den Fabriken, den Bergwerken, den Volkshäusern, den Gewerkschaften und den Parteien, in öffentlichen Veranstaltungen und Komitees, durch politische und wirtschaftliche Streiks, Demonstrationen, Polemiken und theoretische Debatten. Es war ein Klassenkampf und vor allem ein Kampf in den Reihen der Arbeiterklasse; es ging darum, in Deutschland und in der Welt eine revolutionäre Partei aufzubauen, die entschlossen war, die Welt zu verändern. Der Weg zu diesem Ziel ist weder gerade noch einfach oder auch nur leicht zu erfassen. Zwischen `Linksradikalismus´ und `Opportunismus´, zwischen `Sektierertum´ und `Revisionismus´, zwischen `Aktivismus´ und `Passivität´ mühten sich die deutschen Revolutionäre – vergeblich um ihren Weg in die Zukunft, darum zum Teil mithilfe ihrer eigenen negativen Erfahrungen, zum Teil nach dem Beispiel ihrer russischen Genossen einen Weg zu finden, die Machtergreifung der Arbeiterklasse in ihrem Land zu erreichen.“2

Die SPD und der 1. Weltkrieg

Zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs 1914 erfüllte das deutsche Reich (ganz im Gegensatz zu Russland 1917) alle von Marx und Engels für eine sozialistische Gesellschaft beschriebenen sozialen Voraussetzungen geradezu idealtypisch: 2/3 der deutschen Bevölkerung lebte in Städten (1871 waren es noch 30 Prozent gewesen), davon viele in Großstädten, die Gesamtbevölkerung war auf 67 Millionen angewachsen. 1910 gab es in Deutschland bereits 23 Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern, ein Großteil gehörte der Arbeiterklasse an.

1914 hatte die SPD mehr als eine Million Mitglieder, bei den Wahlen 1912 hatte sie 4 Mio. Stimmen erhalten, sie besaß 90 Tageszeitungen und beschäftigte fast 300 Vollzeitjournalisten. Die Reichstagsfraktion umfasste 110 Abgeordnete, in den verschiedenen Landtagen saßen zudem 220 weitere SPD-Abgeordnete. Die freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften hatten mehr als zwei Millionen Mitglieder. Viele ältere Parteimitglieder erinnerten sich noch gut an die Zeit der Illegalisierung und Verfolgung unter den Sozialistengesetzen (1878-1890).

Es hatte bereits vor 1914 Polarisierungen zwischen Reformern (Revisionisten), Zentrum und Marxisten3 in der SPD gegeben und zugespitzte, leidenschaftliche Debatten, wie beispielsweise um die Jahrhundertwende die bekannte Revisionismusdebatte oder die Massenstreikdebatte 1905/06.

Trotzdem kam das völlige Umkippen der SPD- und der Gewerkschaftsführungen vor dem Säbelrasseln der Kriegsbefürworter auch für die Linken in der SPD überraschend und die Spaltung der SPD war zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs ausgemacht. Noch im Sommer hatten die SPD-Führung und das SPD-Zentralorgan der Vorwärts“ – Haltung gegen den drohenden Krieg bezogen, so dass die Kapitulation umso mehr wie ein Schock wirkte. Angeblich soll der russische Bolschewist Lenin, als er von der Zustimmung der SPD-Fraktion zu den Kriegskrediten hörte, dies für eine Falschmeldung gehalten haben.

Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!“ ließ der SPD-Parteivorstand noch am 25. 7. 1914 zwei Wochen vor der Zustimmung zu den Kriegskrediten verbreiten. Es gibt zwar rekonstruierbare Gründe für das Umkippen der SPD-Führung4, aber für Zeitgenossen war dieser scharfe Bruch mit den Grundsätzen der Partei nicht vorhersehbar. Vor 1914 hätte kein Sozialdemokrat, was immer seine Kritik an der Parteiführung war, es gewagt zu behaupten, dass diese ihre Klassenpositionen und die Perspektiven ihres Maximalprogramms aufgegeben habe.“5

und

Die Spaltung zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, deren Grundlage seit August 1914 bestanden hatte, als fast jede sozialistische Partei zu Beginn des Ersten Weltkrieges ihre Regierung unterstützte, warf ein verzerrendes Licht auf die Geschichte der Internationale. Viele Schriftsteller, Politiker und Historiker, die versuchten, die Wurzeln dieser wesentlichen Spaltung aufzudecken, behandelten sie wie ein Phänomen, das hätte vorhergesehen werden können. Doch obwohl die Spannungen und Debatten innerhalb der Internationale vor 1914 indirekte Hinweise auf eine Spaltung darstellen, wollten nur wenige, wenn überhaupt irgendwelche Sozialdemokraten ein Schisma.“6

Zunächst führte die Burgfrieden-Politik und die damit einhergehende Illegalisierung von politischer Arbeit bei den revolutionären Linken in der SPD zu einem gewissen Pessimismus. Die Folgen des Burgfriedens waren zudem heftig und erschwerten jede politische Betätigung. Die Gewerkschaften unter Carl Legien verpflichteten sich zu einem uneingeschränkten Streikverzicht und leerten die Streikkassen. Alle, die sich nicht der Kriegstreiberei anschlossen, waren von Verfolgung, Zensur und Repression betroffen. Das traf zum Beispiel die von Luxemburg und Liebknecht herausgegebene Zeitschrift Internationale“ oder führte zur Einberufung Liebknechts an die Front trotz seiner parlamentarischen Immunität.

Er war indes nicht der Einzige: Die SPD-Führung kooperierte mit dem Staat, um auch gezielt SPD-Linke und Anti-Kriegsaktivisten zu Himmelfahrtkommandos an die Front einziehen zu lassen. So wurde eine der ersten physischen Säuberungswellen des 20. Jahrhunderts gegen Linke organisiert.

Über die Gründe für das Umkippen der Sozialdemokratie in der Kriegsfrage (nicht nur in Deutschland) ist seit nunmehr einem Jahrhundert debattiert worden. Wichtig bleibt aus meiner Sicht festzuhalten, dass es keine Folge persönlicher moralischer „Verkommenheit“ war, dass in fast allen Ländern der 2. Internationale Sozialchauvinisten die Führung übernommen hatten. Politisch und zahlenmäßig starke Organisationen der Arbeiterbewegung, wie es die SPD gewesen ist, sind auf Dauer schlicht unvereinbar mit der Existenz des Kapitalismus. Unvereinbares wird dann (scheinbar) vereint durch merkwürdige Gebilde wie zum Beispiel prokapitalistische Führungen in Arbeiterorganisationen.

Wie organisieren?

Als Reaktion auf die Zustimmung der SPD-Fraktion zu den Kriegskrediten hatte Rosa Luxemburg im August 1914 unmittelbar die Initiative zur Gründung der Gruppe Internationale“ ergriffen. Noch am Tag des 4. August traf man sich. Hugo Eberlein darüber 10 Jahre später:Am 4. August trat dann die furchtbare Katastrophe ein. Die Sozialdemokratie stimmte für die Kriegskredite. […]. Gleich, nachdem die Entscheidung im Reichstag gefallen war, eilte ich zu Rosa. Sie war fassungslos vor Empörung. Keiner empfand die Schmach des Verrats so tief wie sie. Was war zu tun? Rosa sprach zuerst von Selbstmord, als sichtbarsten Protest gegen den Verrat der Partei, als sichtbarstes Warnungssignal an die Massen des Proletariats. Wir redeten ihr mit aller Energie solche Absichten aus. […] Dann holte ich noch am Abend die besten und bekannten Genossen zu einer Besprechung zusammen. Der alte Franz Mehring kam, tobte und schimpfte, wie nur Franz Mehring schimpfen konnte. Es kam unser alter russischer Freund Marchlewski (Karski), es kam Hermann Duncker, Wilhelm Pieck und Ernst Meyer […].“7

Erste Versuche, Mitstreiter für eine Opposition gegen den Krieg aus den Reihen der SPD zu sammeln und prominente Unterstützer für eine öffentliche Gegenstellungnahme im Vorwärts“ zu finden, scheiterten. Aber der Grundstein für die Gruppe Internationale“ war gelegt. Die Möglichkeit, öffentlich und aus Protest der SPD den Rücken zu kehren, wurde diskutiert, aber abgelehnt.

In der (sich im Verlauf des Jahres 1915 so nennenden) Gruppe Internationale“ kamen SPD-Mitglieder zusammen, die die Burgfriedenpolitik ablehnten. Neben Luxemburg waren dies zunächst Hugo Eberlein, Julian Marchelewski, Ernst Meyer, Franz Mehring, Hermann Duncker und der spätere DDR-Präsident Wilhelm Pieck. Kurz darauf kamen Leo Jogiches und Karl Liebknecht, Bertha und August Thalheimer sowie Martha Arendsee, Fritz Ausländer, Heinrich Brandler, Käte Duncker, Otto Gabel und Otto Geithner hinzu. Clara Zetkin unterstützte die Opposition ebenfalls. Luxemburg (ab März 1915 im Gefängnis) und Liebknecht waren zweifelsohne die bekanntesten Mitglieder der Gruppe, doch in Wirklichkeit sind sie nur zwei der bekanntesten Figuren einer Strömung, die sich Schritt für Schritt von den Journalisten und Theoretikern entfernte, die sich im Verlauf der `Bernstein-Affäre´ und dem Kampf gegen den Revisionismus um Kautsky versammelt hatten.“8

Die Gruppe um die Kriegsgegner Hugo Haase und Georg Lebedour gehörte nicht dazu. Haase, der 1914 Fraktions- und Parteivorsitzender der SPD war, hatte sich wie auch Liebknecht in der Vorabstimmung am 4. August gegen die Zustimmung zu den Kriegskrediten ausgesprochen beugte sich dann aber dem Zwang der Fraktionsmehrheit, als Vorsitzender der Fraktion im Reichstag die Zustimmung der SPD begründen zu müssen. Mit zunehmender Dauer des Krieges wurde auch Haase konfrontativer gegenüber der SPD-Fraktionsmehrheit im Reichstag.

Diese Strömung bildete 1916 nach Ausschluss aus der Fraktion unter Führung Haases die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft (SAG) und gründete später die USPD. Ein Treffen zwischen der Spartakusgruppe und der SAG im Januar 1917 führte schließlich zum Ausschluss der SAG-Genossen und der Spartakusgruppe aus der SPD (zu diesem Zeitpunkt saß Karl Liebknecht bereits seit Monaten im Gefängnis) und zur Gründung der USPD, der sich Mitte 1917 auch die Spartakusgruppe anschloss. Trotz enger Freundschaft zwischen beispielsweise Liebknecht und Haase und immer wieder unternommenen Versuchen einer Zusammenarbeit der beiden Strömungen vor allem im ersten Jahr des Krieges, waren die politischen Unterschiede groß genug, um von Seiten der Spartakusgruppe (und zuvor der Gruppe Internationale“) mehr und mehr auf Distanz zu gehen. Während die Spartakusgruppe auf revolutionären Marxismus pochte und eine sozialistische Arbeiter-Internationale für nötig hielt (formuliert in den Leitsätzen, ihrem Programm), vertraten die Genossen um Haase zwar ein im Vergleich zur (M)SPD erst recht radikales, jedoch kein revolutionäres Programm und waren bei ihren konkreten Schritten zögerlicher als die Gruppe Internationale“. Das war zu diesem Zeitpunkt keine abstrakte, sondern eine sehr konkrete Frage, denn es ging unter anderem darum, ob man glaubte, den Krieg nur durch eine Revolution beenden zu können oder durch eine wachsende Anzahl von Kriegsgegnern im Reichstag.

Die Gründung der Spartakusgruppe

Seit Beginn des Krieges hatten die Genossen der Gruppe Internationale“ alle möglichen Versuche unternommen, überall im Deutschen Reich revolutionär gesinnte Kriegsgegner zu sammeln und auch über die Grenzen des Landes hinaus Kontakte zu pflegen. Im September 1915 fand die Zimmerwalder Konferenz statt, im April 1916 die Folgekonferenz von Kiental. Regen Austausch gab es auch mit links-revolutionären Gruppen, die früher die Spaltung vollzogen hatten und außerhalb der SPD standen, wie zum Beispiel mit den Bremer und Hamburger Linksradikalen, die der Gruppe Internationale“ und später der Spartakusgruppe ihren Verbleib in der SPD vorwarfen und sich nicht der USPD anschlossen.

Im Dezember 1915 stimmten bereits 20 SPD-Abgeordnete gegen die Weiterbewilligung der Kriegskredite. Am 12. Januar 1916 wurde Karl Liebknecht aus der Fraktion ausgeschlossen, im März achtzehn weitere Abgeordnete, unter ihnen auch Hugo Haase. Otto Rühle verließ aus Protest gegen den Ausschluss Liebknechts die Fraktion von selbst.

Die (später so genannte) Spartakusgruppe hatte sich am Neujahrstag 1916 im Anwaltsbüro von Karl Liebknecht gegründet, noch immer explizit als revolutionäre Strömung innerhalb der SPD, mit dem Anspruch einer Struktur, die sich über das Deutsche Reich erstreckte. Ziel war es, aus der Gruppe Internationale“ eine festere, einheitlicher auftretende Strömung zu formen, zudem war der Gründung der Spartakusgruppe nach mehreren Versuchen der Zusammenarbeit mit den gemäßigteren Kriegsgegnern in der SPD, wachsende Abgrenzung zu diesen vorausgegangen. Die Gründung vom 1. Januar war sorgfältig vorbereitet worden, es nahmen Mitglieder der Gruppe Internationale“ aus allen Teilen des Landes teil, außerdem die Bremer Linksradikalen“ und ihr Hamburger Pendant.

Bei der Gründung gab sich die Gruppe als Programm die von der inhaftierten Rosa Luxemburg formulierten Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie“ und begann noch im gleichen Monat mit der Herausgabe der Spartakusbriefe“ unter Ernst Meyer. Mit dem Namenswechsel ging auch eine veränderte Ausrichtung einher: Die von Januar 1916 bis zu seiner Verhaftung im August 1916 von Meyer herausgegebenen Spartakusbriefe unterschieden sich auch in ihrer Ausrichtung von den bisherigen Materialien der Gruppe Internationale. Während sie sich bisher viel mit parteipolitischen Fragen beschäftigten und sich v.a. an SPD-Mitglieder richteten, wurde nun die gesamte Arbeiterschaft zum Adressaten, die man auch mit einer verstärkten Betonung der mit dem Krieg verbundenen wirtschaftlichen Nöte zu erreichen versuchte.“9

Ausblick

Bei der Diskussion um die Leitsätze“ (die als Programm der Spartakusgruppe am 1.1.1916 angenommen wurden und unter Leitung einer Redaktion überarbeitet werden sollten) ging es vornehmlich um die Frage, wie scharf die Abgrenzung zu den Zentrums-Linken ausfallen müsse.

Unter anderem um diese Frage drehte sich auch die Debatte um die Junius-Broschüre(„Die Krise der Sozialdemokratie“ – verfasst von Rosa Luxemburg 1915 im Gefängnis – erschien ebenfalls Anfang Januar 1916). In dieser Diskussion kritisierte beispielsweise Lenin, `Junius´ habe sich nicht völlig vom Zentrum der deutschen linken Sozialdemokraten freigemacht, die eine Spaltung fürchten und Angst haben, die revolutionären Losungen ganz auszusprechen“.

Mit der „Junius“-Broschüre, den Jahren 1916 und 1917, zunehmenden Streiks und der Gründung der USPD wird sich der nächste Beitrag der Reihe befassen.

Anhang

Das Programm:Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie“

Eine größere Anzahl von Genossen aus allen Teilen Deutschlands hat die folgenden Leitsätze angenommen, die eine Anwendung des Erfurter Programms auf die gegenwärtigen Probleme des internationalen Sozialismus darstellen.

1. Der Weltkrieg hat die Resultate der vierzigjährigen Arbeit des europäischen Sozialismus zunichte gemacht, indem er die Bedeutung der revolutionären Arbeiterklasse als eines politischen Machtfaktors und das moralische Prestige des Sozialismus vernichtet, die proletarische Internationale gesprengt, ihre Sektionen zum Brudermord gegeneinander geführt und die Wünsche und Hoffnungen der Volksmassen in den wichtigsten Ländern der kapitalistischen Entwicklung an das Schiff des Imperialismus gekettet hat.

2. Durch die Zustimmung zu den Kriegskrediten und die Proklamation des Burgfriedens haben die offiziellen Führer der sozialistischen Parteien in Deutschland, Frankreich und England (mit Ausnahme der Unabhängigen Arbeiterpartei) dem Imperialismus den Rücken gestärkt, die Volksmassen zum geduldigen Ertragen des Elends und der Schrecken des Krieges veranlaßt und so zur zügellosen Entfesselung der imperialistischen Raserei, zur Verlängerung des Gemetzels und zur Vermehrung seiner Opfer beigetragen, die Verantwortung für den Krieg und seine Folgen mitübernommen.

3. Diese Taktik der offiziellen Parteiinstanzen der kriegführenden Länder, in allererster Linie in Deutschland, dem bisherigen führenden Lande der Internationale, bedeutet einen Verrat an den elementarsten Grundsätzen des internationalen Sozialismus, an den Lebensinteressen der Arbeiterklasse, an allen demokratischen Interessen der Völker. Dadurch ist die sozialistische Politik auch in jenen Ländern zur Ohnmacht verurteilt worden, wo die Parteiführer ihren Pflichten treu geblieben sind: in Rußland, Serbien, Italien und mit einer Ausnahme – Bulgarien.

4. Indem die offizielle Sozialdemokratie der führenden Länder den Klassenkampf im Kriege preisgab und auf die Zeit nach dem Kriege verschob, hat sie den herrschenden Klassen in allen Ländern Frist gewährt, ihre Positionen auf Kosten des Proletariats wirtschaftlich, politisch und moralisch ungeheuer zu stärken.

5. Der Weltkrieg dient weder der nationalen Verteidigung, noch den wirtschaftlichen oder politischen Interessen irgendwelcher Volksmassen, er ist lediglich eine Ausgeburt imperialistischer Rivalitäten zwischen den kapitalistischen Klassen verschiedener Länder um die Weltherrschaft und um das Monopol in der Aussaugung und Unterdrückung der noch nicht vom Kapital beherrschten Gebiete. In der Ära dieses entfesselten Imperialismus kann es keine nationalen Kriege mehr geben. Die nationalen Interessen dienen nur als Täuschungsmittel, um die arbeitenden Volksmassen ihrem Todfeind, dem Imperialismus, dienstbar zu machen.

6. Aus der Politik der imperialistischen Staaten und aus dem imperialistischen Kriege kann für keine unterdrückte Nation Freiheit und Unabhängigkeit hervorsprießen. Die kleinen Nationen, deren herrschende Klassen Anhängsel und Mitschuldige ihrer Klassengenossen in den Großstaaten sind, bilden nur Schachfiguren in dem imperialistischen Spiel der Großchte und werden ebenso wie deren arbeitende Massen während des Krieges als Werkzeug mißbraucht, um nach dem Kriege den kapitalistischen Interessen geopfert zu werden.

7. Der heutige Weltkrieg bedeutet unter diesen Umständen bei jeder Niederlage und bei jedem Sieg eine Niederlage des Sozialismus und der Demokratie. Er treibt bei jedem Ausgang – ausgenommen die revolutionäre Intervention des internationalen Proletariats – zur Stärkung des Militarismus, der internationalen Gegensätze, der weltwirtschaftlichen Rivalitäten. Er steigert die kapitalistische Ausbeutung und die innerpolitische Reaktion, schwächt die öffentliche Kontrolle und drückt die Parlamente zu immer gehorsameren Werkzeugen des Militarismus herab. Der heutige Weltkrieg entwickelt so zugleich alle Voraussetzungen neuer Kriege.

8. Der Weltfriede kann nicht gesichert werden durch utopische oder im Grunde reaktionäre Pläne wie internationale Schiedsgerichte kapitalistischer Diplomaten, diplomatische Abmachungen über „Abrüstung“, „Freiheit der Meere“, Abschaffung des Seebeuterechts, europäische Staatenbünde, „mitteleuropäische Zollvereine“, nationale Pufferstaaten und dergleichen. Imperialismus, Militarismus und Kriege sind nicht zu beseitigen oder einzudämmen, solange die kapitalistischen Klassen unbestritten ihre Klassenherrschaft ausüben. Das einzige Mittel, ihnen erfolgreich Widerstand zu leisten, und die einzige Sicherung des Weltfriedens ist die politische Aktionsfähigkeit und der revolutionäre Wille des internationalen Proletariats, seine Macht in die Waagschale zu werfen.

9. Der Imperialismus als letzte Lebensphase und höchste Entfaltung der politischen Weltherrschaft des Kapitals ist der gemeinsame Todfeind des Proletariats aller Länder. Aber er teilt auch mit den früheren Phasen des Kapitalismus das Schicksal, die Kräfte seines Todfeinds in demselben Umfange zu stärken, wie er sich selbst entfaltet. Er beschleunigt die Konzentration des Kapitals, die Zermürbung des Mittelstands, die Vermehrung des Proletariats, weckt den wachsenden Widerstand der Massen und führt so zur intensiven Verschärfung der Klassengegensätze. Gegen den Imperialismus muß der proletarische Klassenkampf im Frieden wie im Krieg in erster Reihe konzentriert werden. Der Kampf gegen ihn ist für das internationale Proletariat zugleich der Kampf um die politische Macht im Staate, die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Das sozialistische Endziel wird von dem internationalen Proletariat nur verwirklicht, indem es gegen den Imperialismus auf der ganzen Linie Front macht und die Losung: Krieg dem Kriege“ unter Aufbietung der vollen Kraft und des äußersten Opfermutes zur Richtschnur seiner praktischen Politik erhebt.

10. Zu diesem Zwecke richtet sich die Hauptaufgabe des Sozialismus heute darauf, das Proletariat aller Länder zu einer lebendigen revolutionären Macht zusammenzufassen, es durch eine starke internationale Organisation mit einheitlicher Auffassung seiner Interessen und Aufgaben, mit einheitlicher Taktik und politischer Aktionsfähigkeit im Frieden wie im Kriege zu dem entscheidenden Faktor des politischen Lebens zu machen, wozu es durch die Geschichte berufen ist.

11. Die II. Internationale ist durch den Krieg gesprengt. Ihre Unzulänglichkeit hat sich erwiesen durch ihre Unfähigkeit, einen wirksamen Damm gegen die nationale Zersplitterung im Kriege aufzurichten und eine gemeinsame Taktik und Aktion des Proletariats in allen Ländern durchzuführen.

12. Angesichts des Verrats der offiziellen Vertretungen der sozialistischen Parteien der führenden Länder an den Zielen und Interessen der Arbeiterklasse, angesichts ihrer Abschwenkung vom Boden der proletarischen Internationale auf den Boden der bürgerlich-imperialistischen Politik ist es eine Lebensnotwendigkeit für den Sozialismus, eine neue Arbeiter-Internationale zu schaffen, welche die Leitung und Zusammenfassung des revolutionären Klassenkampfes gegen den Imperialismus in allen Ländern übernimmt.

Sie muß, um ihre historische Aufgabe zu lösen, auf folgenden Grundlagen beruhen:

1. Der Klassenkampf im Innern der bürgerlichen Staaten gegen die herrschenden Klassen und die internationale Solidarität der Proletarier aller Länder sind zwei unzertrennliche Lebensregeln der Arbeiterklasse in ihrem welthistorischen Befreiungskampfe. Es gibt keinen Sozialismus außerhalb der internationalen Solidarität des Proletariats, und es gibt keinen Sozialismus außerhalb des Klassenkampfes. Das sozialistische Proletariat kann weder im Frieden noch im Kriege auf Klassenkampf und auf internationale Solidarität verzichten, ohne Selbstmord zu begehen.

2. Die Klassenaktion des Proletariats aller Länder muß im Frieden wie im Kriege auf die Bekämpfung des Imperialismus und Verhinderung der Kriege als auf ihr Hauptziel gerichtet werden. Die parlamentarische Aktion, die gewerkschaftliche Aktion wie die gesamte Tätigkeit der Arbeiterbewegung muß dem Zwecke untergeordnet werden, das Proletariat in jedem Lande aufs schärfste der nationalen Bourgeoisie entgegenzustellen, den politischen und geistigen Gegensatz zwischen beiden auf Schritt und Tritt hervorzukehren sowie gleichzeitig die internationale Zusammengehörigkeit der Proletarier aller Länder in den Vordergrund zu schieben und zu betätigen.

3. In der Internationale liegt der Schwerpunkt der Klassenorganisation des Proletariats. Die Internationale entscheidet im Frieden über die Taktik der nationalen Sektionen in Fragen des Militarismus, der Kolonialpolitik, der Handelspolitik, der Maifeier, ferner über die gesamte im Kriege einzuhaltende Taktik.

4. Die Pflicht zur Ausführung der Beschlüsse der Internationale geht allen anderen Organisationspflichten voran. Nationale Sektionen, die ihren Beschlüssen zuwiderhandeln, stellen sich außerhalb der Internationale.

5. In den Kämpfen gegen den Imperialismus und den Krieg kann die entscheidende Macht nur von den kompakten Massen des Proletariats aller Länder eingesetzt werden. Das Hauptaugenmerk der Taktik der nationalen Sektionen ist somit darauf zu richten, die breiten Massen zur politischen Aktionsfähigkeit und zur entschlossenen Initiative zu erziehen, den internationalen Zusammenhang der Massenaktion zu sichern, die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen so auszubauen, daß durch ihre Vermittlung jederzeit das rasche und tatkräftige Zusammenwirken aller Sektionen gewährleistet und der Wille der Internationale so zur Tat der breitesten Arbeitermassen aller Länder wird.

6. Die nächste Aufgabe des Sozialismus ist die geistige Befreiung des Proletariats von der Vormundschaft der Bourgeoisie, die sich in dem Einfluß der nationalistischen Ideologie äußert. Die nationalen Sektionen haben ihre Agitation in den Parlamenten wie in der Presse dahin zu richten, die überlieferte Phraseologie des Nationalismus als bürgerliches Herrschaftsinstrument zu denunzieren. Die einzige Verteidigung aller wirklichen nationalen Freiheit ist heute der revolutionäre Klassenkampf gegen den Imperialismus. Das Vaterland der Proletarier, dessen Verteidigung alles andere untergeordnet werden muß, ist die sozialistische Internationale.

Übersetzung der Originalzitate: Aimo Belling.

1Dazu empfehlenswert: Robert Havemann, Dialektik ohne Dogma, Berlin 1965.

2Pierre Broué, The German Revolution, 1917-1923, Chicago 2006, S. 26.

3Wobei die Haltung zum Krieg nicht unbedingt entlang dieser Lager verlief. So war der alte Revisionist Eduard Bernstein überzeugter Pazifist während andere, dem linken Flügel Zugehörige sich plötzlich zu Kriegsbefürwortern wandelten.

4Florian Wilde schreibt zu den Gründen in seiner Biographie von Ernst Meyer: „Die Angst vor der Zerstörung der so mühevoll aufgebauten Organisationen der Arbeiterbewegung, die Angst vor einer Marginalisierung der SPD vor dem Hintergrund der Erfahrung mit der `Hottentottenwahl´ 1907, die Nachricht aus Frankreich, dass die dortigen Sozialisten den Verteidigungsfall annehmen und ihrerseits für die Kriegskredite stimmten. Auf ideologischer Ebene konnte die Reichsleitung durch die Konstruktion einer vermeintlichen Landesverteidigung ebenso an Elemente traditioneller sozialdemokratischer Positionen anknüpfen wie durch das Argument des Antizarismus, das an klassische sozialdemokratische Vorurteile gegenüber dem russischen Autoritarismus anschlussfähig war. Wesentliche Ursache für die Zustimmung zu den Kriegskrediten und der auf sie folgenden Burgfriedenspolitik aber war, dass sich der SPD dadurch eine Möglichkeit zu einer Auflösung der durch ihre `negative Integration´ ins Kaiserreich hervorgerufenen Widersprüche bot.“ Florian Wilde, Ernst Meyer – 1887-1930 – vergessene Führungsfigur des deutschen Kommunismus. Eine politische Biographie, Hamburg 2013, S. 53.

5Pierre Broué, The German Revolution, S. 27.

6Ebenda, S. 11.

7Zitiert nach Florian Wilde, Ernst Meyer, S. 54.

8Pierre Broué, The German Revolution, S. 28.

9Florian Wilde, Ernst Meyer, S. 80.