Am 30. September wurde zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ein Ergebnis ausgehandelt, das zwar Verbesserungen im Vergleich zum Schlichtungsergebnis vom Juni enthält, von dem Ziel einer Aufwertung jedoch weit entfernt ist. Trotz der eindeutigen Ablehnung des Schlichterspruchs durch die Mitgliederbefragung, hat sich unter Kolleg*innen in den vergangenen Wochen zunehmend die Stimmung breitgemacht, ein Abschluss auch ohne deutliche Aufwertung sei unumgänglich, weil im Moment einfach nicht mehr herausgeholt werden könne. Dies hat viel damit zu tun, dass nach der Mitgliederbefragung die Frage, mit welcher Strategie der Druck erhöht werde könne, weitgehend unbeantwortet geblieben ist.
von Nelli Tügel und Christoph Wälz, Berlin
Am 02.10. tagte eine Streikdelegiertenkonferenz in Fulda, die diesen Eindruck – trotz durchaus auch deutlichen Unmuts unter einigen Streikdelegierten – bestätigte. Auch wenn das Ergebnis noch nicht endgültig angenommen wurde, gehen wir daher davon aus, dass die Auseinandersetzung vorerst beendet ist und veröffentlichen eine erste Bilanz aus unserer Sicht.
Die Aufwertung ist es nicht, aber auch keine Niederlage
Die am 30. September ausgehandelten Modifizierungen des Schlichterspruchs führen zwar zu einer gerechteren Verteilung der Verbesserungen. Insgesamt aber hat die VKA nicht mehr viel draufgelegt auf das Schlichtungsergebnis vom 22. Juni (9 Millionen Euro bei einem Gesamtvolumen von über 300 Millionen Euro). Nicht umgesetzt wurde zudem eine zentrale Forderung vieler Aktiver, nämlich die Anerkennung der Berufserfahrung. Bitter ist die lange Laufzeit von 5 Jahren.
Man kann das Ergebnis nicht schön reden. Trotz der erreichten Verbesserungen belaufen sich die Erhöhungen im Schnitt nur auf 3,7 Prozent mehr Lohn. Gemessen an dem eigentlichen Ziel ist das nicht gerade ein Punktsieg.
Die Aufwertung wurde nicht erreicht und bleibt damit als Herausforderung bestehen. In diesem Sinne ist das Ergebnis nicht der „Durchbruch“ von dem Frank Bsirske spricht, eine Niederlage ist es aber auch nicht. Für wenige Bereiche, wie die KITA-Leitungen, sieht der Abschluss deutliche Verbesserungen vor. Für das Gros der Kolleg*innen hat er vielleicht eher den Charakter eines hinnehmbaren Waffenstillstandes.
Die Kolleg*innen haben alles gegeben und mit Ausdauer, Kreativität und Entschlossenheit gekämpft. Sie haben sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und selbstbestimmt den miesen Schlichterspruch abgelehnt. Und trotzdem wurde – wie auch schon 2009 – nur der „Einstieg in die Aufwertung“ geschafft.
Aus dem Kampf für den nächsten Kampf lernen
Wir denken daher, dass es jetzt vor allem darum gehen sollte, die Lehren aus dem geführten Kampf zu ziehen und Bedingungen zu definieren, um einen nächsten Anlauf zu gewinnen. Auch um Demoralisierung und Austritte zu verhindern halten wir eine ehrliche Bilanz für angesagt. Dazu gehört zu klären, warum das Ziel der Aufwertung verfehlt wurde. Dazu gehört aber auch, die vielen positiven Erfahrungen aus dem Kampf – vor allem Beteiligung und Demokratisierung – festzuhalten, weiterzuentwickeln und so für die Zukunft nutzbar zu machen.
Der Göttinger Betriebsexpress schreibt dazu am 30.10.2015: „Übergeordnetes Ziel ist es, die positiven Erfahrungen, die in dieser Auseinandersetzung gemacht wurden, zu bewahren, um sie als Ressource für den nächsten und dann hoffentlich zwingenden Anlauf zu nutzen.“ Dem möchten wir uns anschließen.
Die Kolleg*innen definieren daraufhin folgende Lehren:
„Diese historische Auseinandersetzung wurde mit relativ wenigen Streik-Betrieben geführt: Zum einen sind nur ca. 1/3 der Kindertagesstätten Tarifgebunden im TVöD SuE – und noch weniger Einrichtungen der Sozialarbeit. Zum anderen sind selbst in diesen öffentlichen Einrichtungen nicht alle Beschäftigten – und noch nicht mal alle Gewerkschaftsmitglieder – streikfähig! Unser Fazit: Für einen nächsten Anlauf bedarf es eines besseren Basisaufbaus und zwingend der Einbindung auch der frei-gemeinnützigen Einrichtungen in die Auseinandersetzung.
Wir brauchen auch eine bessere und gemeinsam von den Streikbetrieben entwickelte Eskalationsstrategie, um mangels ökonomischen Druckpotentials den öffentlich-politischen Druck auf die Arbeitgeber zu maximieren. In dieser Runde haben wir zwar unglaubliche Energie und Kreativität entwickelt, trotzdem hat es noch nicht gereicht, um die öffentlichen Arbeitgeber ernsthaft zu bewegen. Auch deshalb scheint uns …
zumindest rückblickend unsere Kommunikationsstrategie gegenüber den Eltern und der breiteren Öffentlichkeit ungenügend, ebenso wie unsere Handlungsfähigkeit über die engen Grenzen des ver.di FB Gemeinden hinaus.“
Daran anschließend denken auch wir, dass für einen nächsten Anlauf festgehalten werden kann, dass es mehr Streikende werden müssen und mehr Bündnispartner*innen. Das heißt vor allem, die Eltern stärker einzubeziehen. Es heißt aber auch, dass die anderen DGB-Gewerkschaften und linke Organisationen – aus unserer Sicht vor allem die LINKE – ihr Potential ausschöpfen und mehr reale Solidaritätsarbeit leisten sollten. Denn da wäre wirklich mehr drin gewesen! Gerade bei einer Auseinandersetzung, in der die Kolleg*innen durch den Streik keinen ökonomischen Druck zu erzeugen in der Lage sind, ist eine breite öffentliche Unterstützungskampagne, die von gesellschaftspolitischen Akteuren getragen wird, mehr als nur das moralische Rückgrat eines Kampfes.
In der Partei DIE LINKE geht es nicht vor allem darum, „noch mehr“ Aktivismus an den Tag zu legen. Gefragt ist hingegen eine qualitativ andere Art von Kampagne-Arbeit. Die langfristig angelegte Kampagne „Das muss drin sein“, die sich gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse richtet, kann von Basisgruppen der Partei genutzt werden, um gezielt gesellschaftlich wichtige Kämpfe von Lohnabhängigen aufzugreifen. Durch Solidaritätsarbeit unter der lokalen Bevölkerung, die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und die Kontaktaufnahme zu betrieblichen Aktiven lässt sich der Fokus von Kampagnen ändern. Es geht dann darum, als Partei selber zu einem Faktor dabei zu werden, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten der Beschäftigten zu verschieben. Das erfordert zwar längerfristige Schwerpunktsetzungen. Allerdings kommen gerade bei Tarifbewegungen, die so politisiert sind wie der Kampf um die Aufwertung sozialer Berufe, auch viele politische Fragen zusammen.
Breit getragene Unterstützungskampagnen können ein organischer Bestandteil einer Streikstrategie und als solcher ein entscheidender Faktor für den Erfolg werden. Gut vorgemacht haben es die Kolleg*innen an der Berliner Charité, die sich erfolgreich um die Unterstützung von Patient*innen bemüht haben. Damit haben sie dem Arbeitgeber den Wind aus den Segeln genommen, der versucht hatte, die Streikenden gegen die Patient*innen auszuspielen. Das Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ hatte bereits Jahre vor dem Streik für mehr Personal die ver.di-Betriebsgruppe an der Charité unterstützt. Während des Streiks wurde daraus eine wichtige Ressource für die Beschäftigten. Solche Erfahrungen können möglicherweise für den Sozial- und Erziehungsdienst von Nutzen sein.
Und: Der Bereich selber, vor allem auch die freien Träger, kann und muss weiter organisiert werden. Wenn von 240.000 kommunalen Beschäftigten 50.000 gestreikt haben und noch mal 500.000 Beschäftigte bei den Wohlfahrtsverbänden dazu kommen, dann ist wirklich noch viel Luft nach oben.
Die Schlichtung hat für außerordentlich viel Unmut gesorgt. Von der Tarifkommission hieß es, sie sei unvermeidlich gewesen. Einige behaupteten daraufhin, dies stimme nicht und es hätte keine Einlassungspflicht für die Gewerkschaften bestanden. Für die Zukunft muss das geklärt werden – unbedingt. Die Schlichtungsvereinbarung für den Öffentlichen Dienst ist ein Klotz am Bein der Kolleg*innen, sie sollte gekündigt und alle Versuche, auf einem gesetzlichen Weg einen Zwang zur Schlichtung durchzusetzen, zurückgewiesen werden. Aber für den nun zurückliegenden Streik steht eine andere Frage im Vordergrund. Denn – auch wenn der plötzliche Streikabbruch fatal für die Auseinandersetzung und die Moral der Kolleg*innen war – so stimmt doch auch, was die Kolleg*innen vom Göttinger Betriebsexpress schreiben: „Auch ein Weiterstreiken im Sommer hätte uns in keine bessere Position mehr gebracht, da die öffentlichen Arbeitgeber keinen ökonomischen Druck verspürten, im Gegenteil Geld sparten und mit öffentlich geheucheltem Verständnis ihre knallharte Position am Verhandlungstisch verdecken konnten.“
Wäre jetzt mehr drin gewesen?
Die Kampfbereitschaft der Kolleg*innen während des Streiks war enorm, die Ausdauer bewundernswert und die Kreativität beeindruckend. Und auch nach vier Wochen Streik – als die Schlichtung Viele traf wie eine Keule – stand der Streik keineswegs kurz vor dem Zusammenbruch. Die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes haben mehr als deutlich gemacht, dass die Aufwertung her muss, die 25.000 Neueintritte waren ein Vertrauensvorschuss in ver.di, diesem wichtigen Anliegen zum Erfolg zu verhelfen.
Alle Angebote, die ver.di zur Beteiligung gemacht hatte, wurden sofort angenommen und mit Leben und Eigensinn gefüllt. So zum Beispiel die Streikdelegiertenkonferenzen, ein Modell, das wir für ausbaufähig halten. Es hat die Partizipation und Demokratisierung während des Streiks gefördert, den Kampf selbst und ver.di dadurch gestärkt. Daher können die erprobten Beteiligungsformen auch ein Modell für andere Fachbereiche und Gewerkschaften sein.
Das Schlichtungsergebnis konnte nur wie ein schlechter Witz erscheinen. Dass entgegen der Empfehlung der ver.di-Vertreter*innen in der Verhandlungskommission die Kolleg*innen der Streikdelegiertenkonferenz aufbegehrten und die Mitgliederbefragung durchsetzten, die dann wiederum mit 70 Prozent den Schlichterspruch ablehnte, hat die Entschlossenheit mit einem Ausrufezeichen versehen. Die 70 Prozent zeigten aber nicht nur, was ein Großteil der Kolleg*innen von dem miesen Ergebnis hielt. In den vielen Nein-Stimmen kam auch die Zuversicht zum Ausdruck, mit einer Wiederaufnahme des Arbeitskampfes mehr rausholen zu können.
Diese Zuversicht ist in den Wochen zwischen dem Ende der Mitgliederbefragung und der Verhandlungsrunde Ende September einer wachsenden Resignation gewichen. Grund dafür ist, dass keine Antwort auf die Frage gefunden wurde, wie der Druck auf die VKA und die politisch Verantwortlichen überhaupt erhöht werden könne. Und so haben vor allem in den letzte Wochen viele Aktive den Mut verloren, dass es zeitnah möglich sein würde, wieder streikfähig zu werden.
Ein Streik lässt sich nicht ohne Weiteres an- und aus- und wieder anknipsen. Auch wenn zum Zeitpunkt des erzwungenen Streikabbruchs im Sommer die Streikfront stand, war es nach der Mitgliederbefragung nicht möglich, einfach so wieder in den flächendeckenden Erzwingungsstreik einzutreten. Vor allem aber hätte auch das die Arbeitgeber aller Voraussicht nach nicht in die Knie gezwungen. Wie dies möglich gewesen wäre, darauf haben wir auch keine befriedigende Antwort. Aber wir denken, dass es für den nächsten Anlauf wichtig ist, jetzt die richtigen Fragen zu stellen. Dazu gehört: Wie kann in einem Bereich wie dem Sozial- und Erziehungsdienst eine Streik- und Eskalationsstrategie aussehen, die Druck erzeugt? Aber auch: Wie haben die Arbeitgeber agiert und was bedeutet das für die Gewerkschaften?
In vielen Pressekommentaren hieß es im Nachhinein, ver.di habe mit den Forderungen „zu hohe Erwartungen“ geweckt, die dann nicht eingehalten werden konnten. Die andere Lesart ist, der Führung von ver.di habe nach der Mitgliederbefragung schlicht der Wille gefehlt, eine effektive Kampfstrategie zu entwickeln. Die Wahrheit ist komplizierter. Die Erwartungen waren nicht zu hoch. Aber es ist doch offensichtlich, dass die Gewerkschaftsführungen – allen voran von ver.di – sich mehrfach verschätzt haben. Sie haben unterschätzt, wie unnachgiebig die Arbeitgeberseite agieren würde. Sie haben unterschätzt, wie entschlossen viele Kolleg*innen sind, die Aufwertung wirklich durchzusetzen.
Unter anderen Frank Bsirske und die ver.di-Vertreter*innen in der Schlichtungskommission hatten sich vor der Streikdelegiertenkonferenz am 24. Juni in Frankfurt am Main für die Annahme des Schlichtungsergebnisses ausgesprochen. Die Eindeutigkeit der Kolleg*innen hat diejenigen, die – wie Bsirske – zunächst für die Annahme waren, zwar beeindruckt. Bsirske hat sich dann auch mit deutlichen Worten hinter die Beschäftigten gestellt, diesen Worten aber sind keine entsprechenden Taten gefolgt. Der Stimmungsumschwung unter den Kolleg*innen rührt auch daher, dass die Führung in den letzten Wochen keine Führung war und die Aktiven mit der Aufgabe, die Wiederaufnahme des Kampfes zu planen, weitgehend allein gelassen hat.
Letztlich hat ver.di aus dem entstandenen Dilemma keinen Weg gefunden. Dieses bestand darin, dass der Schlichterspruch zwar inakzeptabel war, aber gleichzeitig eine Idee und ein Plan fehlte, wie die Auseinandersetzung gewonnen werden kann. Denn einfach wieder in den flächendeckenden Erzwingungsstreik gehen und streiken „bis zum Umfallen“ war keine Option. Wir glauben, es ist enorm wichtig dies festzuhalten, weil sich da unserer Meinung nach ein Phänomen feststellen lässt, das auch in anderen Kämpfen sichtbar wurde.
Neue Zeiten
Denn wenn wir eine Lehre aus diesem Streik ziehen können, dann, dass die Zeiten sozialpartnerschaftlich weitgehend einvernehmlicher Streikrituale im Öffentlichen Dienst endgültig vorbei sind. Dass die Gewerkschaften nach 4 Wochen Streik planlos dabei wirkten, den zunehmenden Problemen (Wut unter Eltern, wachsendes Unverständnis in der Öffentlichkeit) eine Strategie entgegenzusetzen, während die VKA gleichzeitig hart blieb und keinen irgendwie annehmbaren Kompromissvorschlag unterbreitete, offenbart, dass auf gewerkschaftlicher Seite die Zeichen einer Zeit harter Arbeitgeberstrategien noch nicht wirklich erkannt wurden. Das Bild komplettiert sich, wenn wir die anderen Streikerfahrungen der letzten Monate und Jahre einbeziehen: Amazon, Charité, Post, angestellte Lehrer*innen in Berlin, Bahn und Lufthansa.
In all diesen Auseinandersetzungen – so unterschiedlich und speziell sie auch sein mögen – zeigt sich doch auch, dass die Arbeitgeberseite mehr noch als in der Vergangenheit ohne mit der Wimper zu zucken bereit ist, stur zu bleiben und die Gewerkschaften gegen die Wand laufen zu lassen. Das bedeutet für uns, dass wir nicht darauf hoffen können, dass nach ein paar Wochen Streik schon etwas Akzeptables rumkommen wird. Die Sozialpartnerschaft wurde – gerade in vielen von ver.di organisierten Bereichen – von den Arbeitgebern endgültig aufgekündigt. Die Diskussion um die Bilanz des Kampfes bei den Sozial- und Erziehungsdiensten kann uns helfen dafür Sorge zu tragen, dass auch ver.di aufhört, der Beziehung nachzutrauern und sich auf härtere Zeiten einstellt.
Lesetipp:
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Ein Gedanke zu „Nach dem Abschluss im Sozial- und Erziehungsdienst: Gemeinsam die Lehren ziehen“
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