Solange der Kapitalismus fortbesteht, ist keine Errungenschaft der Arbeiterbewegung sicher. Diese historische Erkenntnis bestätigt sich aktuell wieder: In einem Positionspapier fordert die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Abschaffung des Achtstundentags.
von Daniel Behruzi, 24.07.2015
»Um mehr Spielräume zu schaffen und betriebliche Notwendigkeiten abzubilden«, solle das Arbeitszeitgesetz geändert werden, heißt es in dem Text, aus dem am Donnerstag mehrere Medien zitierten. Die tägliche solle durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt werden.
Schon im 19. Jahrhundert gehörte der Achtstundentag zu den Kernforderungen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Erkämpft wurde er schließlich in der deutschen Revolution von 1918, als die Rätebewegung die bürgerliche Herrschaft grundsätzlich in Frage stellte. Knapp 100 Jahre später soll die Höchstgrenze bei der täglichen Arbeitszeit wieder fallen. Gefordert haben Kapitalvertreter das in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder, zuletzt im Jahr 2003. Doch selbst die Schröder-Regierung ließ lieber die Finger davon.
Die Agitation gegen den Achtstundentag ist also ein mehr als 100 Jahre alter Hut. Nur die jeweils vorgebrachten Rechtfertigungen gehen mit der Zeit. Dieses Mal ist es die »Digitalisierung«, die angeblich zur Entgrenzung der Arbeitszeiten zwinge. Das Gesetz erschwere beispielsweise die internationale Kommunikation über Zeitzonen hinweg, klagte die BDA. Nach dieser Logik müssten Beschäftigte freilich 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche im Einsatz sein. Ohnehin schreibt das Gesetz nur die maximale Arbeitszeit vor, nicht, wann diese (an Werktagen) stattzufinden hat. Zudem beinhaltet es die vielfach genutzte Möglichkeit, die Arbeit auf zehn Stunden auszuweiten, wenn dies langfristig ausgeglichen wird. Mit fehlender Flexibilität hat das Ganze daher nichts zu tun. Eher mit grenzenloser Ausbeutung.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles wies den BDA-Vorstoß erst einmal zurück. Entsprechend der Rollenaufteilung innerhalb der SPD zeigte sich ihr Kabinettskollege Sigmar Gabriel hingegen offen. Seine dumm-dreiste Argumentation: Die »Chance der Digitalisierung« müsse genutzt werden, um dem »gewachsenen Bedürfnis der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben« Rechnung zu tragen. Als ob sich der jederzeit auf Abruf zur Verfügung stehende »Cloudworker« besonders intensiv um seine Kinder kümmern könnte.
Die tägliche Höchstarbeitszeit ist ein gewerkschaftlich und politisch erkämpftes Schutzrecht, das dazu beitragen soll, die Gesundheit der abhängig Beschäftigten zu erhalten. Schon heute wird es massenhaft unterlaufen. Die richtige Antwort auf die BDA-Initiative wäre daher, die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeiten auf die Agenda zu setzen. Die Bereitschaft, den Kapitalismus auch grundsätzlich in Frage zu stellen, würde – wie 1918 – bei deren Durchsetzung sicher helfen.
Der Artikel erschien zuerst in der Tageszeitung „junge welt“.