Betrieb und Gewerkschaft, Debatte, Schwerpunkt

Soziale Berufe: Wie eine Aufwertung durchsetzen?

Wir ziehen eine vorläufige Bilanz des Arbeitskampfs im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) und diskutieren, wie eine Aufwertung sozialer Berufe durchgesetzt werden kann. Dazu beleuchten wir die Positionen des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di“, des Göttinger Betriebsexpress und der ver.di-Betriebsgruppe Werkstatt Bremen.

von Christoph Wälz, Berlin

2015 fanden „die heftigsten Streiks seit 20 Jahren“ statt (FAZ). Schon bis zur Jahreshälfte wurden die streikarmen Vorjahre mit 944.000 bestreikten Arbeitstagen locker in den Schatten gestellt. Während in der Industrie und bei den Länderbeschäftigten routinierte Warnstreik-Tarifrunden über die Bühne gingen, hat es in einigen Dienstleistungs-bereichen geknallt. So konnten GDL und ver.di durch ein kämpferisches Vorgehen bei der Bahn bzw. an der Charité Erfolge erzielen. Der Großkonflikt bei der Post endete hingegen mit einem bitteren Ergebnis. Im Sozial- und Erziehungsdienst steht nach vier Wochen Streik eine Annahme oder Ablehnung des Schlichterspruchs noch aus.

Dieser Streik war anders. Hier brach sich die seit Jahren angestaute Wut über die Unterbewertung der qualifizierten Tätigkeiten der Sozial- und Erziehungsarbeiter*innen Bahn. Oft war im Streik von Anerkennung, Respekt und Würde die Rede. Dies war für viele Streikende der eigentliche Antrieb. Er speist sich daraus, dass viele SuE-Beschäftigte auf eine*n besser verdienende*n Partner*in angewiesen sind. Oft sind es Frauen, die in unfreiwilliger Teilzeit arbeiten und im Zweitjob noch kellnern müssen. Die Forderung der Gewerkschaften ver.di und GEW nach einer deutlichen Aufwertung durch eine Bezahlung wie ähnlich qualifizierter Arbeiten in Industrie und Finanzdienst-leistungen, traf den Nerv vieler Kolleg*innen. „Für viele überraschend“, so der Göttinger Betriebsexpress: „mit der Aufwertungskampagne stellte sich ver.di an die Spitze einer gesellschaftlichen Emanzipationsbewegung“, in der „eine unglaubliche Kraft und Dynamik sichtbar“ wurde.

Das Selbstbewusstsein der SuE-Beschäftigten ist insbesondere vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Branche gestiegen. In Sonntagsreden wird der Wert frühkind-licher Bildung gepriesen, das Kita-Netz wird ausgebaut, neue qualitative Anforderungen an die Arbeit kommen hinzu – und auf dem Gehaltszettel herrscht weiterhin Ebbe. Diese „Logik“ wird 2015 nicht länger hingenommen. Hinzu kommt, wie auch in anderen Tarifkämpfen diesen Jahres, das generell gestiegene Selbstbewusstsein in der Arbeiter*innenklasse, endlich einen größeren Teil vom gesellschaftlichen Reichtum abhaben zu wollen. Denn nach dem tiefen Einbruch der deutschen Wirtschaft im Jahr 2009 erleben wir immer noch eine langanhaltende Wachstumsphase. Allerdings kommt von diesen Gewinnen kaum etwas bei der Masse der Beschäftigten an. Stattdessen nehmen Werkverträge, Teilzeitjobs und befristete Beschäftigungen zu.

Vier Wochen Streik

Die SuE-Kolleg*innen haben sich in vielen Regionen schnell organisiert und einen eindrucksvollen Erzwingungsstreik hingelegt. Von 240.000 kommunalen SuE-Beschäftigten traten 50.000 in den Streik. Es kam zu einer Eintrittswelle vor allem in ver.di (+25.000), aber auch in die GEW. Viele Kolleg*innen, für die Gewerkschaftsarbeit noch völlig neu war, haben gleich immense Verantwortung in Streikleitungen, in regionalen Aktionsräten oder bei Delegiertenkonferenzen übernommen. Bei den oft täglichen Streikversammlungen haben sich die Kolleg*innen nicht einfach nur in Streik-listen eingetragen und sind dann gegangen, sondern es wurde lange diskutiert, Aktionen wurden geplant und Material erarbeitet. Es wurde ein Maß an Streikdemokratie entwickelt, das zum Maßstab für künftige Auseinandersetzungen werden wird.

Dass der Arbeitskampf 2015 anders werden würde, war absehbar. 2006 haben die Beschäftigten mit der Einführung des TVöD herbe Gehaltsverluste erlitten, wurden aber auf eine spätere Neugestaltung der Eingruppierung vertröstet. Die Verluste wurden 2009 nach insgesamt 12 Wochen Streik zum Teil wieder ausgeglichen. Von einer Anpassung der Bezahlung an gestiegene Anforderungen oder von der überfälligen Aufwertung typischer Frauenberufe konnte aber keine Rede sein. Während die Gehälter somit weit hinter den Erwartungen zurückblieben, haben Arbeitsbelastungen deutlich zugenommen. Mit Wut im Bauch über diese Missverhältnisse haben Kolleg*innen jahrelang gelebt.

Gleichzeitig gab es in ver.di in den letzten Jahren wichtige Veränderungen. Das Konzept einer konflikt-, beteiligungs- und aktionsorientierten Gewerkschaftsarbeit wird nicht mehr nur in den ver.di-Hochburgen Stuttgart und Hannover praktiziert. In einigen Fachbereichen kam es zu einer gewissen Verschiebung weg von der alten Stellvertreterhaltung. Das Konzept des Organizing findet viel Zuspruch, vor allem bei jüngeren und linkeren Gewerkschaftssekretär*innen. In der SuE-Auseinandersetzung war eine Streikstrategie mit breiter Selbstorganisierung bundesweit gewollt. Zum Teil wurde bereits ein Jahr vorher mit dem Aufbau von Aktionsräten begonnen. Im Streik selbst wurde ver.di von der Beteiligungsbereitschaft der Kolleg*innen dann förmlich überrannt.

Ausgebremst

Jetzt stehen die Kolleg*innen allerdings vor einer schwierigen Situation. Nach vier Wochen Streik zogen die Arbeitgeber die Notbremse „Einlassungspflicht“. Soll heißen: Wenn im Öffentlichen Dienst einer der Tarif„partner“ die Schlichtung wünscht, dann muss diese eingeleitet werden. So wurde es 1974 und zuletzt 2011 in einer Schlichtungsvereinbarung festgehalten.

Solch eine Regelung nützt in Tarifkonflikten nur der Arbeitgeberseite. Denn in der SuE-Auseinandersetzung hat sich – wie auch bei den Streiks bei Amazon, Post, Bahn und Charité – gerade der völlige Unwille der Bosse gezeigt, im „sozialpartnerschaftlichen“ Dialog einen Kompromiss zu finden. Stattdessen setzen sie auf Totalverweigerung. Zwingende Schlichtungsregelungen können unter solchen Bedingungen nur gegen die Gewerkschaften eingesetzt werden. Beim SuE-Streik wurden ver.di und GEW von der knallharten Haltung der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) kalt erwischt. Daraus muss jetzt gelernt werden: Die Arbeitgeber machen oft nur noch Zugeständnisse, wenn sie durch ausdauernde Kämpfe dazu gezwungen werden.

Inzwischen wird in ver.di stark bezweifelt, ob die Einlassungspflicht im SuE-Konflikt wirklich bindend war. Parallel wird die Schlichtung damit begründet, dass man sich ihr angesichts der öffentlichen Meinung nicht verweigern konnte. So oder so war es ein schwerer Fehler der Gewerkschaften, die Streikenden nicht auf die Möglichkeit einer Schlichtung vorzubereiten. Die plötzliche Vollbremsung hat zu Recht die Frage aufgeworfen, wie weit es im Ernstfall mit der Streikdemokratie her ist.

Es kam dann in der Schlichtung, wie es kommen musste: Als der Streik erst mal ausgesetzt war, machten die Schlichter einen Vorschlag, der völlig inakzeptabel ist. Er bedeutet hier und da ein paar Zuwächse, je nach Beruf von durchschnittlich 3,3%. Von einer qualitativen Aufwertung der sozialen Berufe, die ver.di und GEW mit durchschnittlich +10% ansetzten, kann jedoch keine Rede sein.

Bsirske für Schlichterspruch

Von der Streikdelegiertenkonferenz am 24. Juni 2015 berichtet der Dortmunder Delegierte Julian Koll: „Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske argumentierte für die Annahme des Schlichterspruchs. Dabei warf er vor allem Zweifel an den Erfolgs-aussichten einer Streikfortführung auf, vor allem wegen feindlicher Medien-berichterstattung und einer drohenden Entsolidarisierung der Eltern.“

In einer ersten Abstimmung folgten Bsirske drei Landesbezirke, fünf stimmten dagegen. Weiter berichtet Koll: „Nun schlug Frank Bsirske vor, eine Urabstimmung einzuleiten. Doch das wäre eine Urabstimmung über das Schlichter-Ergebnis gewesen, also das, was die Mehrheit nicht wollte! Das lehnte die Versammlung ab. Daher wurde am Ende auf Bsirskes Vorschlag hin eine Mitgliederbefragung beschlossen. Bei dieser gibt es keine 75-Prozent-Regelung.“

Diese Mitgliederbefragung, in der die betroffenen Kolleg*innen mit einfacher Mehrheit über den Vorschlag der Schlichter abstimmen sollen, läuft jetzt noch bis zum 5. August. Danach soll eine weitere Delegiertenkonferenz über die Strategie und Taktik ent-scheiden. „Klar ist aber“, so Koll weiter: „Die ver.di Führung will keine Fortsetzung des Streiks und sie wird dies in den gewerkschaftsinternen Rundschreiben und Medien deutlich machen. Bsirske hat bereits in einem Video auf der ver.di homepage gesagt, dass es ja nicht darum ginge, ob man sich ein besseres Ergebnis vorstellen könne, sondern ob man mit einer Fortsetzung des Streiks etwas besseres erreichen könne. Das kann nur so verstanden werden, dass er selbst dies nicht für möglich hält.“

Dass die Streikdelegierten Bsirske zwei Mal nicht folgten, ist zunächst mal ein wichtiger Erfolg für die angestrebte Aufwertung. Eine Annahme des Schlichterspruchs hätte eine fünfjährige Friedenspflicht nach sich gezogen. Die Möglichkeit, in den regulären Entgelt-Tarifrunden (TVöD) für prozentuale Lohnerhöhungen zu streiken, wäre davon zwar nicht berührt worden. Aber der Weg, über die Eingruppierung (TVöD-SuE) einen Durchbruch bei der Bezahlung zu erzielen, wäre erst mal versperrt gewesen.                                            Das Votum der Streikdelegierten ist aber auch ein Erfolg für die Gewerkschafts-demokratie. Seine Bedeutung zeigt sich, wenn wir dieses Beispiel mit dem Post-Streik vergleichen, wo ein schlechtes Ergebnis ohne eine Urabstimmung angenommen wurde, von einer breiten Beteiligung in Form einer Streikdelegiertenkonferenz ganz zu schweigen.

Auf die Mitgliederbefragung mit formaler 50%-Mehrheit können wir uns allerdings nicht verlassen. Der Einschätzung des Kollegen Julian Koll muss nach mehreren Wochen Mitgliederbefragung unbedingt zugestimmt werden: Die ver.di-Führung will keine Wiederaufnahme des Streiks. Bsirske warnte auf Versammlungen vor „verbrannter Erde“ im Falle einer Fortsetzung des Arbeitskampfes. Eine Ablehnung des Schlichterspruchs mit „nur“ 60-70% wird immer noch dazu führen, dass die Streikfähigkeit bezweifelt wird. Da wird sich das Schwergewicht des Apparates auch gegen neue demokratische Formen des Arbeitskampfes, wie die Streikdelegiertenkonferenz, durchsetzen. Um also ein eindeutiges Mitgliedervotum zu erhalten, ist eine gründliche Diskussion über die Bedingungen einer Fortführung des Arbeitskampfes wichtig.

Die Position des ver.di-Netzwerks

Unter anderen hat sich das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ zu Wort gemeldet und am 7. Juni, zu Beginn der Schlichtung, seine Vorschläge veröffent-licht. Während der Mitgliederbefragung folgte eine weitere Stellungnahme am 10. Juli.

Um einen Abschluss zu erzielen, der „eine deutliche Aufwertung ALLER Berufsgruppen beinhaltet“, schlug das Netzwerk am 7.6. eine Fortsetzung des Streiks auch über die Sommerferien hinweg vor: „Die versetzten Schließungszeiten der Kindertagesstätten sind ein Faktor, der für eine Fortsetzung des Arbeitskampfes bedacht werden muss, aber kein Argument dagegen!“ Die Herausforderung der „Aufrechterhaltung der Eltern-solidarität“ wird genannt, aber nicht mit konkreten Vorschlägen verbunden. Stattdessen sieht das Netzwerk die Gewerkschaften insgesamt in der Pflicht, eine „groß angelegte Solidaritätskampagne in die Betriebe hinein“ zu tragen, weil der Arbeitskampf „nur durch massiven politischen Druck und auf der Grundlage ungebrochener Solidarität gewonnen werden“ kann.

Konkret wird vorgeschlagen, „bei einer Fortsetzung des Arbeitskampfes unmittelbar Betriebs- und Personalversammlungen zu organisieren, um auch dort die Beschäftigten über die Ziele des Arbeitskampfs zu informieren und für Solidarität zu werben.“ Verbunden werden soll das mit Solidaritätsaktionen vor den Rathäusern und einer „Diskussion über unterstützende Arbeitskampfmaßnahmen und Solidaritätsstreiks“. Angesichts zeitgleicher Arbeitskämpfe in anderen ver.di-Fachbereichen wie Post und Einzelhandel forderte das ver.di-Netzwerk Anfang Juni „gemeinsame Protestkund-gebungen vor Ort“ sowie eine „bundesweite Protestkundgebung aller zeitgleich streikenden KollegInnen“.

Solidaritätsstreiks

Die harte Haltung der Arbeitgeber hat gezeigt, dass die Gewerkschaftsbewegung auch zu Solidaritätsstreiks übergehen muss. Dem stehen bislang nicht nur das restriktive deut-sche Streikrecht, sondern auch fehlende Traditionen und Erfahrungen entgegen. Solidaritätsstreiks bieten sich am ehesten bei freien und kirchlichen Trägern der Sozial- und Erziehungsarbeit an, da die Beschäftigten dort oft angelehnt an den TVöD-SuE bezahlt werden. Während des SuE-Streiks wurden von ver.di auch Anstrengungen unternommen, die Kolleg*innen dort zu Protestaktionen zu mobilisieren und eine Streikbereitschaft herzustellen, leider bisher mit mäßigem Erfolg. Hier hätte noch viel früher mit Organisierungskampagnen in den betroffenen Betrieben begonnen werden müssen. Für die Fortführung des Arbeitskampfes ist es eine zentrale Aufgabe, die bisherigen Erfahrungen in diesem Bereich auszuwerten.

Über diese mittelbar betroffenen Beschäftigten hinaus wird die Anforderung nicht geringer. Es wäre zum Beispiel nicht mit einem Aufruf der IG Metall getan, um Daimler-Arbeiter*innen in Solidarität mit dem SuE-Streik aus den Werkshallen zu holen. Deshalb ist es zu begrüßen, dass das Netzwerk nicht nur die Aufgabe (Solistreiks) benennt, sondern auch andeutet, welche Schritte (Betriebsversammlungen, Aktionen vor Rathäus-ern…) dahin führen könnten. Betriebsversammlungen könnten auch sehr konkret an der Situation der im Betrieb beschäftigten Eltern von Kita-Kindern anknüpfen. Die SuE-Beschäftigten tragen mit ihrem Streik die politische Frage, wie diese Gesellschaft Kinder-erziehung organisieren will, in die Betriebe. Sie verursachen Probleme im Betriebsablauf von Unternehmen, mit denen dort alle umgehen müssen.

Die IG Metall hat im Mai Informationen für betroffene Beschäftigte und für Betriebsräte herausgegeben. Darin werden „unbürokratische Lösungen“ wie „das Arbeiten von zu Hause und flexible Arbeitszeiten“ gelobt. Es wurde dazu aufgerufen, die politisch Verantwortlichen durch Protestschreiben unter Druck zu setzen. Diese Initiative ist im Ansatz richtig, bleibt aber noch weit hinter den Erfordernissen zurück. Gewerkschaftliche Betriebsgruppen und Betriebsräte sollten auch Forderungen an die Unternehmens-leitungen richten, für die Dauer des Streiks eine alternative Kinderbetreuung zu organisieren. Der Druck kann durch im Büro spielende Kinder erhöht werden. Die Arbeitgeber werden den Druck an die kommunalen Arbeitgeber weiterleiten, schnell zu einer Einigung mit den Gewerkschaften zu kommen.

Gemeinsame Streiks

Grundsätzlich richtig ist die Forderung nach einer Koordinierung von Tarifkämpfen mit gemeinsamen Kundgebungen. Im Ansatz hat es das im SuE-Streik ja auch schon gegeben. Auf lokale Initiativen hin kam es vereinzelt zu gemeinsamen Kundgebungen mit Beschäftigten von Bahn, Einzelhandel, Versicherungen oder Post. Solche Aktionen sind wünschenswert und werden erfahrungsgemäß von Streikenden durchgehend begrüßt. Sie stärken die Solidarität und das Bewusstsein für die gleichen Klasseninteressen. Sie können unter Umständen auch die Mobilisierung der Beschäftigten verbessern und den Druck auf die jeweiligen Arbeitgeber erhöhen.

Problematisch ist es nur, wenn die Zusammenführung von Streiks als eine Strategie beschrieben wird, die einzelnen Kämpfe zu gewinnen. Wenn die Arbeitgeber andere sind (z.B. Kommunen und Einzelhandelsverband), wenn die Ziele unterschiedliche sind (z.B. Aufwertung des Berufs und Verhinderung von Outsourcing), wenn die Rhythmen und die Orte des Arbeitskampfes ganz andere sind (z.B. beim SuE und an der Charité), dann lassen sich Tarifkämpfe nicht ohne weiteres über einzelne gemeinsame Kundgebungen hinaus verallgemeinern. Das Netzwerk hat Anfang Juni den gemeinsamen Kampf mit Post- und Einzelhandelsbeschäftigten als Teil seiner Strategie beschrieben – Mitte Juli ist das bereits nicht mehr aktuell.

Arbeitskämpfe brauchen eine erfolgversprechende Strategie, die sich vor allem aus ihnen selbst heraus herleitet. Gemeinsame Aktionen mit anderen können den Kampf dann stärken, sie können eine eigene Strategie aber nicht ersetzen. Für eine Weiterführung des SuE-Streiks stellen sich wichtige Fragen, vor allem nach dem Zeitpunkt eines zweiten Anlaufs und nach einem längeren Erhalt der Elternsolidarität, die vom Netzwerk nur angeschnitten werden.

„Der selbstbewusste dritte Weg“

Der Göttinger Betriebsexpress hat am 26.6. einen Beitrag von Streikaktivist*innen dokumentiert, der einen dritten Weg zwischen der Annahme des Schlichterspruchs und einem einfachen „Weiterstreiken“ skizziert. „Tatsächlich geht es um viel mehr [als nur um eine bessere Bezahlung]: um Würde und Respekt. Weil es aber um so viel geht, stellt sich nun das Ergebnis der Schlichtung auch als schmachvolle Niederlage dar. […] Den lächerlichen Schlichtervorschlag anzunehmen wäre entwürdigend – dafür haben wir nicht gekämpft! Das Ergebnis wäre eine Spaltung und jahrelange Schwächung der Belegschaften.“

Die Kolleg*innen machen ein Dilemma aus: „Weiterstreiken geht aber auch nicht! Denn erstens würde die veröffentlichte Meinung sich vor dem Hintergrund des medial inszen-ierten Schlichter-Kompromisses gegen die Streikenden wenden und diese zermürben, zweitens beginnen die Sommerferien und danach die besonders sensible Eingewöh-nungszeit für Kinder in den Kitas und drittens gibt es keine neue und bundesweit abgestimmte Eskalationsstrategie, mithin auch keine realistische Perspektive, nach einem möglicherweise wochenlangen Weiterstreiken mehr rauszuholen.“

Vor diesem Hintergrund stellen sie einen „dritten Weg“ vor: „Wir nehmen den Schlichtungsvorschlag nicht an, wir pfeifen auf die paar Euros mehr, lassen (selbst-) bewusst die Entgeltordnung offen und setzen uns in den kommenden Monaten zusam-men, um in Ruhe auszuwerten, was in dieser Streikbewegung gut gelaufen ist und was nicht. Wir stellen uns neu auf, für den dritten und dann zwingenden Anlauf für eine gesellschaftliche Aufwertung der Sozial- und Erziehungsarbeit.“

Auf der Grundlage dieses „dritten Wegs“ hat die ver.di-Betriebsgruppe der Werkstatt Bremen am 29.6. den Aufruf „Kein Abschluss ohne Aufwertung“ initiiert, in dem die Gruppe weiter argumentiert:                                                                                                    „Damit behalten wir das Heft in der Hand. Wir sind für alle Mitglieder solidarisch und können auf dieser Basis auch neue Mitglieder überzeugen. Wir sind eine kämpferische und uns neu aufstellende ver.di und bereit, neue Wege zu gehen! Wir rufen deshalb alle ver.di-Mitglieder dazu auf, bei der Mitgliederbefragung das Schlichtungsergebnis abzulehnen. Wir sollten uns die Zeit nehmen, die wir brauchen, um alle gemeinsam einen neuen, gut vorbereiteten Anlauf zu wagen. Wir nehmen uns die Zeit zu diskutieren, wie wir Politiker, kommunale und Landesparlamente sowie Bundestag stärker in die Verantwortung nehmen können. Wir nehmen uns Zeit, zu überlegen, wie wir die Zusammenarbeit mit Eltern verbessern und wie wir noch mehr und besser die anderen ver.di-Fachbereiche und DGB-Gewerkschaften sowie die freien und kirchlichen Träger in die Auseinandersetzung und Solidaritätsarbeit einbeziehen können. Und wir nehmen uns Zeit, neue Formen des Arbeitskampfes zu entwickeln.“

Politischer Druck

Zum einen werden beim „dritten Weg“ richtigerweise ähnliche Herausforderungen in der Solidaritätsarbeit gesehen wie auch beim ver.di-Netzwerk. Denn gewonnen wird der Kampf über die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung und nicht über einen verursachten ökonomischen Schaden. Im Gegenteil: Die Kommunen sparen bei einem Streik die Gehaltszahlungen. Selbst wenn Eltern massenhaft die Kitagebühren zurück-fordern oder diese den Kommunen vorenthalten, können sie damit nicht die eingesparten Gehälter aufwiegen. Ökonomischer Schaden entsteht höchstens bei den vom Streik betroffenen Eltern und deren Arbeitgebern. Es ist eine Herausforderung für die Solidar-itätsarbeit, diesen Schaden in politischen Druck gegen die öffentlichen Arbeitgeber zu wenden.

Zum anderen gibt es aber einen wesentlichen Unterschied in den Positionen: Das ver.di-Netzwerk führt keine genauen Schwierigkeiten bei einer Fortführung des Streiks auf; es macht Vorschläge für eine Strategie, deren Ressourcen im Wesentlichen außerhalb des Bereichs liegen, auf den die Streikenden einen unmittelbaren Einfluss haben. Die Ver-fechter*innen eines „dritten Weges“ hingegen sehen die Schwierigkeiten, den Arbeits-kampf sofort fortzuführen, als gewichtig an. Ein großer Fortschritt ist es, dass daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen wird, man müsse nun eben das annehmen, was unter den gegebenen Kräfteverhältnissen erreicht wurde. Stattdessen wird die Strategie eines gut vorbereiteten dritten Anlaufs vorgeschlagen, wobei die Vorbereitung dazu dient, die Kräfteverhältnisse noch einmal qualitativ zu verschieben.

Ein Ansatz für die Stärkung unserer Kräfte mit den Mitteln, über die die Beschäftigten direkt verfügen, sind betriebliche Druckkampagnen. Dort, wo ver.di besonders gut organisiert ist, wie zum Beispiel in Hannover, ist es in den letzten Jahren vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels gelungen, auf lokaler Ebene eine höhere Eingruppierung im Rahmen der Spielräume des Arbeitgebers durchzusetzen. Schon in Vorbereitung auf eine erneute bundesweite Streikwelle kann in einzelnen gut organisierten Dienststellen damit begonnen werden, Druck auf die eigene Kommune auszuüben, Erziehungsarbeit als eine höherwertige Tätigkeit anzuerkennen. Wenn die Gewerkschaften sich dort damit durchsetzen, kann auch der Druck für eine flächen-deckende Aufwertung erhöht werden. Dieses Konzept sollte auch im Falle eines bundesweiten Teilerfolgs oder sogar einer Niederlage weiterverfolgt werden.

Es stellt sich die Frage, ob die Stellungnahme des ver.di-Netzwerks eine ausreichende Antwort auf die von Bsirske betonten Schwierigkeiten ist. Der ver.di-Vorsitzende nutzt diese Schwierigkeiten, um die Streikenden zu einer Annahme des Schlichterspruchs zu drängen. Er gefährdet damit die emanzipatorische Wirkung, die die Streikbewegung hatte, weil er Selbstbewusstsein untergräbt. Eine Antwort darauf muss sich dennoch den praktischen Schwierigkeiten, die im Streik aufgetreten sind, stellen. Vor diesem Hinter-grund erscheint die Positionierung im Göttinger Betriebsexpress als besser geeignet, um zum einen die ver.di-Spitze argumentativ stärker herauszufordern und zum anderen mehr Kolleg*innen, die angesichts von Schwächen des Streiks Bedenken haben, für eine Nein-Stimme zu gewinnen.

Elternsolidarität

Nach vier Wochen Streik nahmen Berichte über aufgebrachte Eltern zu, da die Streikwirkung massiv zu spüren war. In ländlichen Regionen nahmen Streikende zum Teil längere Wege zum Einkaufen im Nachbarort auf sich, um Pöbeleien von Eltern aus dem Weg zu gehen. Dennoch war der Streik insgesamt nicht gefährdet. Unterstützer*innen halfen dabei, den Zorn der Eltern auf die politisch Verantwortlichen zu lenken, die sich beharrlich einer Aufwertung entgegenstellten und keinerlei Angebot vorlegten.

Aktive des Kasseler Solidaritätskomitees erzählen, dass sie schon in Vorbereitung auf die Streiks bei einem Kinderfest einen Schminkstand angeboten haben, um mit Eltern ins Gespräch zu kommen und dabei Vordrucke für eine Rückforderung der Kitagebühren zu verteilen. Die Hamburger Gruppe „Eltern in Solidarität mit dem Kitastreik“ stellte auch arbeitsrechtliche Hinweise online, um Eltern praktisch zu unterstützen. Außerdem regte sie mit einem detaillierten Leitfaden zur selbstorganisierten Kinderbetreuung an, wie sich Betroffene gegenseitig unterstützen können. Diese Arbeit kann helfen, die Solidarität unter den Eltern zu erhalten.

Obwohl viele Eltern weiterhin solidarisch mit dem Streik waren, ist es noch nicht ausreichend gelungen, diese Eltern auf die sprichwörtlichen Barrikaden vor den Rathäusern zu bringen. Für einen neuen Anlauf ist es notwendig, die Erfahrungen in der Solidaritätsarbeit auszuwerten und die nächsten Kampfschritte auch mit solidarischen Eltern abzusprechen, sie in Aktionsplanungen einzubeziehen. Das könnte zum Beispiel auf einer bundesweiten Aktivenkonferenz passieren.

Wann soll es weitergehen?

Bei der Planung einer Wiederaufnahme des Streiks sprechen die geringen Auswirkungen eines Streiks in den Sommerferien sowie die Probleme in der Eingewöhnungsphase gegen ein unmittelbares Weiterstreiken. Der Erklärung im Göttinger Betriebsexpress ist zuzustimmen, dass eine Neuaufstellung des Streiks nötig ist. Leider macht die Erklärung aber keine Vorschläge, wann ein erneuter Streikbeginn sinnvoll sein könnte. Beim Timing muss in jedem Fall die reguläre Entgelt-Tarifrunde im Frühjahr 2016 beachtet werden. Soll der SuE-Streik möglichst frühzeitig vor dieser TVöD-Runde beginnen, gleichzeitig mit ihr oder im Anschluss an diese?

Das ver.di-Netzwerk schreibt am 10.7.: „Sollte sich eine Fortsetzung des Streiks nicht sofort umsetzen lassen, würden sich Möglichkeiten über die Einbettung der Aufwertungskampagne in die Tarifrunde Bund und Kommunen 2016 ergeben. Dafür müsste eine ganz andere Vorbereitung dieser Tarifrunde erfolgen. Hier müssten kühne Forderungen nach mehr Geld aber auch besseren Arbeitsbedingungen, beispielsweise durch drast-ische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich in die Diskussion gebracht werden.“

Das Netzwerk beschreibt damit, wie sich Gewerkschaften in Tarifrunden allgemein verändern müssen, weg von Routine-Warnstreiks hin zu offensiven Kämpfen um gesellschaftliche Umverteilung. Die Fragen dabei sind, wie wir dahin kommen und ob das im konkreten Fall eine Perspektive für den Streik der SuE-Beschäftigten aufzeigt.

„Kühne Forderungen“ (nach einer Aufwertung!) wurden für die SuE-Verhandlungen aufgestellt und sie hatten tatsächlich einen mobilisierenden Effekt. Ein Zusammenbringen der SuE-Forderungen mit den Entgelt-Forderungen der übrigen kommunalen und Bundesbeschäftigten würde zunächst die SuE-Kolleg*innen in der Bundestarif-kommission in eine Minderheitenposition bringen. Die Arbeitgeber bekämen damit Möglichkeiten in die Hand, die Beschäftigten zu spalten. Sie würden zum Beispiel eine Aufwertung der SuE-Beschäftigten nur im Falle einer Kompensation bei der allgemeinen Lohnentwicklung anbieten und damit letztlich verhindern.

Diese Taktik haben auch die Bundesländer von 2006 bis 2015 angewandt, um in den     TV-L-Tarifrunden immer wieder eine tarifliche Entgeltordnung der angestellten Lehrkräfte zu verhindern. Hoffnungen in der GEW auf eine größere Kampfkraft zusammen mit anderen Beschäftigten, die unter den Tarifvertrag der Länder fallen, haben sich immer wieder zerschlagen. Den Beschäftigten in Verwaltungen und Autobahnmeistereien wurde in jeder Tarifrunde damit gedroht, dass die besonderen Forderungen der Lehr-kräfte auf ihre Kosten gehen würden. Seit 2013 orientiert sich die GEW stattdessen zumindest in gut organisierten Bundesländern darauf, einen speziellen Lehrkräfte-Tarifvertrag selbstständig auf Landesebene durchzusetzen.

Die Lehre für den SuE-Kampf sollte sein, die Kampfkraft der SuE-Kolleg*innen auf den einen Punkt der Aufwertung zu konzentrieren und ihre speziellen Forderungen so durch-zusetzen. Natürlich haben die SuE-Kolleg*innen die gleichen Interessen wie auch andere kommunale und Bundesbeschäftigte nach „mehr Geld, aber auch besseren Arbeits-bedingungen, beispielsweise durch drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich“. Wir sehen die Chancen für ein perspektivisch gemeinsames Vorgehen für diese Ziele aber eher darin, dass Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen jetzt ihre Teilinteressen kämpferisch selbst durchsetzen. Die andere Variante birgt unter den gegenwärtigen Umständen das hohe Risiko einer Spaltung und Niederlage.

Um die Aufwertung durchzusetzen, ist somit eine zügige Wiederaufnahme der Streik-bewegung nötig. Die Neuaufstellung – wie im Göttinger Betriebsexpress angeregt – könnte auf betrieblichen, regionalen und bundesweiten Konferenzen unter Einbeziehung von Eltern, Unterstützer*innen, Beschäftigten freier und kirchlicher Träger sowie Aktiven anderer Gewerkschaften und der LINKEN erfolgen. Die Gewerkschaften sollten anstreben, mit möglichst viel zeitlichem Abstand zur TVöD-Tarifrunde kampffähig zu werden, also spätestens im November. Sollte sich dies noch nicht realisieren lassen, dann erscheint eine gut vorbereitete Aufwertungsrunde im Anschluss an die TVöD-Runde als aussichtsreich.